Bei der Podiumsdiskussion – moderiert von Oberst i.G. Dr. Dieter Wicki (3.v.l.) – begründeten die Referenten Dr. Remo Reginold (v.l.), Prof. Dr. Udo Steinbach und Dr. Walter Posch ihre dargelegten Positionen. Foto/Collage: Ingo Kaminsky

18.05.2022
Ingo Kaminsky

Sicherheitspolitischer Bodenseekongress thematisiert Krisenherd Naher und Mittlerer Osten

Gastgeber des 8. Sicherheitspolitische Bodenseekongresses – traditionelle Drei-Länderveranstaltung von Offiziergesellschaften, Vereinen und Gesellschaften der Sicherheits- und Wehrpolitik aus Österreich, Schweiz und Deutschland, darunter der DBwV – war die Schweizerische Offiziersgesellschaft unter Vorsitz von Präsident Oberst Dominik Knill. Im vollbesetzten Tagungsraum im schweizerischen Ermatingen im Lilienberg Unternehmerforum diskutierten Wissenschaftler und Gäste – darunter auch Mitglieder aus dem Landesverband Süddeutschland – über sicherheitspolitische Aspekte der krisenhaften Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten und deren Gefahren.

Der diesjährige Bodenseekongress war nach drei Jahren Corona-bedingter Unterbrechung lange geplant, weshalb die Veranstalter trotz des Ukraine-Krieges am Thema festhielten, so Oberst Knill in seiner Begrüßung. Angesichts des Ukraine-Krieges, aber auch der Auseinandersetzungen in anderen Regionen in der Welt habe sich der Fokus politischen Handelns von Wirtschafts- auf Sicherheitsinteressen verlegt. Der Moderator der Veranstaltung, Oberst i.G. Dr. Dieter Wicki, versprach mit der Vorstellung der Referenten und Experten aus drei Generationen eine differenzierte Sicht auf den Konfliktherd Naher und Mittlerer Osten.

Fehlende klare Strukturen erschweren Konfliktlösungen

Im Impulsreferat "Kultur/Religion/Gesellschaft" machte Dr. Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (Wien) anhand von Begrifflichkeiten deutlich, wie schwierig es ist, Staaten im Nahen und Mittleren Osten nach europäischen Ordnungsvorstellungen einzuordnen. In den dortigen Vielvölkerstaaten mit einer hohen Vermischung von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, ausgeprägtem Nationalismus und Vereinnahmung von Konfessionen mit Folgen für die Besetzung staatlicher, politischer Institutionen und des Sicherheitsapparates sind Auseinandersetzungen meist ethnisch oder religiös motoviert. Es sei für europäische Politik wichtig zu wissen, wer wie darin eingebunden ist, so der Islamwissenschaftler. Die verschiedenen Staatsformen – Posch spricht von Regime, Renten- und Sicherheitsstaat – mit ideologisch getriebenen, ethnischen und religiösen Präferenzen lassen pragmatische Lösungen für ökologische, inner- und zwischenstaatliche Konflikte nicht zu. An Beispielen aktueller Entwicklungen in Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Israel und Ägypten mit einem revolutionären oder konservativen Islam sowie Akteuren wie u.a. Muslimbruderschaft, PKK, HAMAS, AL QUAIDA oder IS macht Posch die schwierige Gemengelage deutlich, die die Konfliktbewältigung erschweren.

Europäische Politik muss arabischen Raum stärker in den Fokus nehmen

Seine Sicht auf die geopolitische und militärischen Situation stellte Prof. Dr. Udo Steinbach vom Maecenata Stiftung/MENA Study Center (Berlin) vor. Der Nahe und Mittlere Osten sei ein Pulverfass mit einem Bündel überlappender und schwer durchschaubarer Konflikten (Iran, Irak, Syrien, Palästina), resultierend aus mangelnder Legitimation der dort existierenden Regimen und dem Wegbrechen früherer regionaler/überregionaler Ordnungsmächte wie Ägypten/USA. Die größten Gefahren sehe Steinbach im Krieg eines jeder gegen jeden, in einer zunehmenden Nuklearisierung (Iran) und Radikalisierung. Zu seiner politischen Agenda zur Lösung der Probleme zähle Steinbach u.a. eine politische Großwetterlage unter Einbeziehung Europas und Russlands, die Annäherung Iran und Saudi-Arabiens, die Türkei auf den europäischen Weg zu bringen und die Kurdenfrage zu lösen. Trotz des Ukraine-Krieges müsse der Nahe und Mittlere Osten wieder in den Fokus europäischer Politik rücken. Die Zukunft Europas werde von der Qualität der Partnerschaften im arabischen Raum bestimmt.

Naher und Mittlerer Osten als Testfeld chinesischer Cyber-Strukturen

Der Einfluss der aufgezeigte Konflikte auf den Zugang zu Ressourcen und die Versorgungswege sei offensichtlich, so der Politikwissenschaftler Dr. Remo Reginold aus der Schweiz. In einer künftigen, informationsgetriebenen Gesellschaft werden jedoch digitale Daten und Systeme wesentlichere Mittel von Geopolitik und Geoökonomie sein, wie der Einfluss führender amerikanischer Tech-Konzerne auf die Weltwirtschaft und der Ausbau des digitalen „Seidenstraßen“-Projekts Chinas zeige. China treibe den Aufbau einer digitalen Infrastruktur weltweit voran, fördere KI in westlichen Staaten und nutze den arabischen Raum als Testfeld für den Aufbau z.B. von Smart-Cities. Der Aufbau bilateraler Beziehungen sichere China den Zugang zu Ressourcen und den Einfluss auf Versorgungswege im arabischen Raum. Auch hier habe Europa an Einfluss verloren und müsse seine geostrategische Ausrichtung überprüfen, erwartet Dr. Reginold.

Podiumsdiskussion thematisiert Ukraine-Krieg und Rolle der Türkei

Während der Podiumsdiskussion spielte der Krieg in die Ukraine gerade im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung Europas dann doch noch eine Rolle. Dass arabische Staaten mit ihrem Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat und in der UNO abweichende Positionen vertreten, zeige, dass sie sich von den USA und ehemaligen Kolonialmächten emanzipieren. Die Werte des Westens, die in der Ukraine verteidigt werden, sehen diese Länder nicht als ihre Interessen. Menschenrechtsfragen seien ihnen nicht so wichtig, stellte Prof. Dr. Steinbach fest.

Dr. Posch konstatierte mit Blick auf die Erdgasversorgung u.a. Fehler der EU im Umgang mit dem Iran, der mit der Sanktionierung als Lieferant vom Markt verschwand. Weitere Versäumnisse beim Bau von LNG-Terminals mache eine schnelle Wechsel der Versorger unmöglich.

Das Verhältnis Europas zur Türkei sei ambivalent. Einerseits werde sie mit ihren Interessen als ein Krisentreiber gesehen – wie in der Kurdenfrage und im Syrienkonflikt deutlich werde -andererseits aber habe sie enorme Bedeutung für Europa z.B. wegen der geostrategische Lage, der Unterstützung der Ukraine und in der Migrationsfrage, so Prof. Dr. Steinbach. Es sei wichtig, mit der Türkei im Gespräch zu bleiben und sie an Europa zu binden.

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