Angetreten zum traditionellen Gipfel-Gruppenbild: Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten. Foto: NATO

Angetreten zum traditionellen Gipfel-Gruppenbild: Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten. Foto: NATO

11.07.2024
Von Yann Bombeke

NATO-Gipfel: Bündnis lässt die Muskeln spielen

Zum Feiern ist die Lage zu ernst: Der Jubiläumsgipfel der NATO steht unter dem Zeichen der russischen Aggression in der Ukraine. Das Bündnis will daher seine Verteidigungsbereitschaft in Europa stärken – unter anderem sollen wieder weitreichende Waffensysteme in Deutschland stationiert werden. Die Ukraine wird weiter militärisch unterstützt, einen Beitrittstermin zum Bündnis gibt es aber nicht.

Washington. „Die Zukunft der Ukraine ist in der NATO“, heißt es in der am Mittwochabend (10. Juli) veröffentlichten Abschlusserklärung des NATO-Gipfels zur 75-Jahr-Feier des Bündnisses in Washington. Der Weg des von Russland seit nunmehr fast zweieinhalb Jahren brutal angegriffenen Landes in das Bündnis sei „unumkehrbar“. Wann die Ukraine jedoch aufgenommen werden soll, wurde nicht kommuniziert. Das Land habe seit dem Gipfel von Vilnius im vergangenen Jahr konkrete Fortschritte bei der Demokratisierung, bei Wirtschafts- wie auch Sicherheitspolitik erzielt. Doch eine Einladung an die Ukraine zum Beitritt soll erst ausgesprochen werden, „wenn die Mitglieder zustimmen und die Bedingungen erfüllt werden“.

Militärisch soll die Ukraine weiter in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor unterstützt werden. Allein im kommenden Jahr sollen Militärhilfen in Höhe von mindestens 40 Milliarden Euro von den Bündnismitgliedern bereitgestellt werden. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte im Vorfeld des Gipfels versucht, zu erreichen, dass sich die Bündnismitglieder auf jährliche wiederkehrende Hilfen von 40 Milliarden Euro verständigen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.

Neues Ukraine-Kommando in Wiesbaden

Die Ukraine-Unterstützung wird zudem künftig zentral von der NATO koordiniert – bislang lag die Federführung bei den Vereinigten Staaten. Ein neues Kommando soll von Wiesbaden aus Waffenlieferungen und Ausbildungsvorhaben für die ukrainischen Streitkräfte organisieren. Rund 700 Soldatinnen und Soldaten werden dort künftig die Hilfsmaßnahmen koordinieren – 40 von ihnen sollen Bundeswehrangehörige sein, zudem wird Deutschland auch den stellvertretenden Kommandeur, einen Zwei-Sterne-General, stellen.

Dass Putins Russland auf längere Sicht eine Bedrohung für die NATO bleibt, wird in der Abschlusserklärung nochmals betont. Russland baue seine militärischen Fähigkeiten weiter aus und setze „provokative Aktivitäten“ gegen Bündnis-Mitglieder fort. Die ständigen Atom-Drohungen aus Moskau werden als „unverantwortlich“ gewertet. Zudem wirft die NATO Russland Sabotage, Gewaltakte, Provokationen an den Grenzen, die Instrumentalisierung irregulärer Migration sowie Cyber-Angriffe und Desinformationskampagnen vor.

Marschflugkörper und Hyperschallwaffen zur Abschreckung

Das Bündnis bleibt aber nicht bei der scharfen Verurteilung der russischen Aktivitäten und Drohgebärden: Die Verteidigungsfähigkeit der NATO wird deutlich ausgebaut, insbesondere im Bereich der Flug- und Raketenabwehr. So wurde pünktlich zum Gipfel die Einsatzbereitschaft einer Raketenabwehranlage im polnischen Redzikowo verkündet. Das US-System Aegis Ashore ist als Teil des NATO-Raketenabwehrschirms darauf ausgerichtet, ballistische Flugkörper aufzuspüren, zu verfolgen und abzufangen.

Und auch in Deutschland werden demnächst wieder weitreichende Waffensysteme stationiert: Das Weiße Haus und die Bundesregierung verkündeten am Rande des Gipfels, dass von 2026 an Tomahawk-Marschflugkörper, SM-6-Flugabwehrraketen und neu entwickelte Hyperschallwaffen auf deutschem Boden zur Sicherheit des Bündnisgebietes beitragen sollen. Die Tomahawk-Marschflugkörper haben eine Reichweite von bis zu 2000 Kilometern und könnten so auch russisches Territorium treffen. „Wir reden hier über eine durchaus ernstzunehmende Fähigkeitslücke in Europa“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius im Deutschlandfunk zur Stationierungsentscheidung. Es ist das erste Mal seit dem Ende des Kalten Krieges, dass weitreichende Waffensysteme auf deutschem Boden stationiert werden.

Russland reagierte erwartungsgemäß verschnupft auf das NATO-Vorhaben. Die russische Sicherheit werde durch solche Waffen beeinträchtigt, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow russischen Medien zufolge und kündigte die Ausarbeitung einer militärischen Antwort an. Dass Russland schon vor Jahren ballistische Raketen vom Typ Iskander in seiner Enklave Kaliningrad stationiert hat und Belarus im vergangenen Jahr Atomwaffen im Rahmen einer nuklearen Teilhabe zur Verfügung gestellt hat, erwähnte der Vizeaußenminister nicht.

Heeresinspekteur fordert mehr Geld für den Wehretat

Heeresinspekteur Mais hat vor schwerwiegenden Folgen für die Bundeswehr gewarnt, sollte der Wehretat für 2025 nicht höher ausfallen als bislang geplant. Der Generalleutnant sagte dem Magazin „Focus“, notwendige Beschaffungen müssten dann ausfallen. Dies führe dazu, dass die Truppe über einen noch längeren Zeitraum mit hohlen Strukturen zurechtkommen müsse. Mais betonte, die Gesellschaft müsse sich fragen, ob es Verteidigungspolitik nach Bedrohungslage oder nach Kassenlage gebe. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius hat während des NATO-Gipfels im Deutschlandfunk seine Kritik am zu niedrigen Haushaltsansatz für 2025 bekräftigt. Der SPD-Politiker sagte im Deutschlandfunk, vor dem Hintergrund von Zeitenwende und Bedrohungslage sei der vorgesehene Ansatz für nächstes Jahr zu niedrig. Der Kompromiss der Ampel-Parteien für den Staatshaushalt des kommenden Jahres sieht einen Verteidigungsetat von rund 53 Milliarden Euro vor. Pistorius hatte 58 Milliarden gefordert. Mehrere Politiker der Regierungsparteien hatten Verbesserungen nach den weiteren Haushaltsgesprächen in Aussicht gestellt.

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