Deutsche „Leopard 2“ der eVA Battlegroup Slowakei bei der Vorbereitung fürs Schießen auf dem Truppenübungsplatz Lešt‘ in den Karpaten. Foto: eVA Battlegroup

Deutsche „Leopard 2“ der eVA Battlegroup Slowakei bei der Vorbereitung fürs Schießen auf dem Truppenübungsplatz Lešt‘ in den Karpaten. Foto: eVA Battlegroup

07.09.2024
Von Frank Jungbluth

200.000 Flüchtlinge – 2000 Jahre Geschichte – 270 Kilometer bis zum Krieg

In der Slowakei haben deutsche Streitkräfte zweieinhalb Jahre als Teil einer multinationalen Brigade geübt. Der Besuch des DBwV bei der Truppe zeigt: Hier ist das scharfe Ende nah, hier – unweit des Kampfgeschehens im Nachbarland Ukraine – werden Kriegstüchtigkeit und Wehrhaftigkeit Wirklichkeit.

Grüne Berge, Burgen und Burgruinen erheben sich in der Ferne, das Land in den Karpaten in der Mittelslowakei ist ein altes Grenzland, das viel erlebt hat in den 2000 Jahren seiner Geschichte. Oberstleutnant Dennis Bockholt (43) steht auf einer Anhöhe zwischen zwei Bergketten auf dem Truppenübungsplatz Lešt‘, drei Stunden von der slowakischen Hauptstadt Bratislava entfernt. Rechts lang geht es in die Ukraine, 270 Kilometer ostwärts. Links nach Österreich und Tschechien, im Norden nach Polen, im Süden nach Ungarn: Wir sind an der Ostflanke der NATO, am scharfen Ende des Bündnisses. Nebenan tobt der Krieg, 200.000 ukrainische Flüchtlinge sind in ein Land geflohen, in dem nur 5,2 Millionen Menschen leben.

„Willkommen in der Zeitenwende“

„Da sind die Tschechen untergebracht, das sind die ‚Leopard 2A6‘  der Portugiesen. Willkommen in der Zeitenwende“, sagt Bockholt. Er ist der letzte Kontingentführer der deutschen Truppen bei den enhanced Vigilance Aktivities (eVA) in der Slowakei. Verstärkte Wachsamkeitsaktivitäten, so ist der NATO-Begriff zu übersetzen. Am 28. August holte der Kommandeur des Versorgungsbataillons 141, das im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge zu Hause ist, die Bundesdienstflagge vom Feldlager auf einem der anderen Hügel ein, vier Kilometer von unserem Standort entfernt, und am 7. September verlässt er mit den letzten deutschen Kräften das Land.

Zweieinhalb Jahre dauerte die Mission für die deutschen Truppen hier in der Slowakei. Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine waren sie in Marsch gesetzt worden. Patriot-Batterien der Luftwaffe waren im März 2022 die ersten, die Soldaten des Versorgungsbataillons 141 und Spezialpioniere werden die letzten sein. Danach ist das Feldlager der Bundeswehr wieder ein Platz mit Kies und Gras, slowakische Truppen rücken nach und schlagen hier ihre Zelte auf. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Bundeswehr trainierte hier mit dem Gepanzerten Transport-Kraftfahrzeug (GTK) „Boxer“, Schützenpanzern „Puma“ und Kampfpanzern „Leopard 2“ unter Gefechtsbedingungen. „Ideale Bedingungen“, schwärmt Oberstleutnant Dennis Bockholt. Man ist jetzt vorbereitet für den Fall der Fälle an dieser Stelle der Ostflanke der NATO, falls russische Truppen weiter durch die Ukraine marschieren, um auch slowakisches Territorium anzugreifen. Bis 1991 haben sowjetische Truppen mit Soldaten der Armee der Tschechoslowakei hier den Ernstfall trainiert. Der Ernstfall war damals ein Krieg der Staaten des Warschauer Paktes gegen die NATO. Der Ernstfall ist heute ein Angriff russischer Truppen auf das Bündnis. Die Slowakei ist Mitglied, Tschechien auch, ebenso Polen und Ungarn, die alle an die Slowakei grenzen. Nur das Nachbarland Österreich ist seit 1955 neutral, immerhin Mitglied in der NATO-Organisation „Partnerschaft für den Frieden“.

Der DBwV ist bis zum Schluss dabei

Der Deutsche BundeswehrVerband begleitet das letzte Kontingent, Spezialisten des Versorgungsbataillons 141 aus Niedersachsen, beim Abrücken und dem Ende der Mission. „Wir alle, nicht nur die Bundeswehr, sondern unsere gesamte Gesellschaft, wird sich mehr als bisher vorbereiten müssen. Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit sind das Gebot der Stunde, wenn wir Aggressoren wie Putins Armee glaubhaft davon abhalten wollen, uns und unsere Freiheit anzugreifen“, sagt der stellv. Bundesvorsitznede, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, später im verbliebenen Feldlager vor den letzten 46 Soldaten des deutschen Kontingents.

Am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem Überfall russischer Streitkräfte auf das Nachbarland Ukraine, rief Kanzler Olaf Scholz (SPD) während einer Sondersitzung des Bundestages die Zeitenwende aus und stellte ein Sondervermögen in Aussicht. Heute zeigt sich: Das kann nur ein guter Anfang gewesen sein, denn auch hier – zwischen Karpaten und Hoher Tatra – wird deutlich, dass das Geld nicht reichen wird. 100 Milliarden Euro sind ein Anfang, aber wenn die Abschreckung ernsthaft gelingen soll, muss es sehr viel mehr sein. Für Ausrüstung und Ausstattung, für den Betrieb und den Aufwuchs der Streitkräfte.

Kleinfürstentümer mit Städten, in denen Ackerbürger, Handwerker und Kaufleute ein bescheidenes Auskommen hatten. Der Mongolensturm zog im 14. Jahrhundert übers Land, die ungarischen Fürsten und Könige holten viele Tausend deutsche Bergleute und Handwerker, auch Geistliche ins Land, um wieder aufzubauen und die Bodenschätze zu erschließen. Erz und Silber, Kupfer und Gold. Hier ist, war, die Heimat auf Zeit, für bis zu 300.000 Karpatendeutsche. Michael Stolár verwaltet das, was nach den Wirren der vergangenen Jahrzehnte von der einst reichen deutschen Kultur geblieben ist.

In Lešt‘ übten schon die Soldaten des habsburgischen KuK-Reichs

Die Deutschen in der Slowakei wurden mit verantwortlich gemacht für das Unrechtsregime des Hitler-Faschismus, dabei waren sie ein fester und zuverlässiger Teil des Volkes hier, geachtet, geschätzt, letztlich aber auch verjagt und verfolgt, bis der Umbruch 1990 auch ihnen ihre Rechte in der Slowakei zurückgab. „Wir sind seitdem wieder eine anerkannte Minderheit“, sagt Stolár im Haus der Begegnung in Bratislava, das bis 1945 Preßburg hieß. Gut 4000 Karpatendeutsche gibt es noch. „Unser Altersdurchschnitt ist groß, aber wir treffen uns weiterhin“, sagt der 66-Jährige mit dem deutlich österreichischen Akzent. Kein Wunder, Wien ist nur 60 Kilometer entfernt.

Dr. Michael Stolár ist promovierter Geologe, er kennt den Truppenübungsplatz in Lešt‘ wie die berühmte Westentasche. Er leistete in der tschechoslowakischen Armee seinen Wehrdienst. Natürlich übte und trainierte man auch hier in den Karpaten. Einmal fand er hier bei seinen Forschungen einen alten Benzinkanister, der die Symbole des Afrika-Korps trug. Hier übten zuerst Truppen des alten habsburgischen KuK-Reiches, dann die tschechoslowakische Armee des jungen Staates, der aus den Trümmern des Ersten Weltkrieges entstanden ist, daraufhin die Truppen der Slowakei des Marionettenregimes von Jozef Gašpar Tiso, der erst katholischer Priester und später Kollaborateur mit Nazi-Deutschland war, hingerichtet von den Kommunisten 1947 in Bratislava.

Anschließend kehrte die Tschechoslowakische Armee zurück, die Sowjetarmee übte hier, dann wieder die slowakischen Truppen und heute die multinationale Brigade mit deutscher Beteiligung. So ändern sich die Zeiten. Immer wieder. Die slowakische Armee hat heute ähnliche Probleme wie die Bundeswehr. Die Wehrpflicht gibt es nicht mehr. Es fehlen die Freiwilligen, eine Lücke in den Reihen, die schwer zu schließen ist.

Kümmern, Kameradschaft, Kommunikation – das sind die Prinzipien der Versorger, von den 141ern, die hier den Abzug, das Redeployment aus der Slowakei, mit Tatkraft und Einsatz organisieren. „Verlegung, wie wir sie hier erleben und durchführen, ist zum größten Teil immer noch Handarbeit“, erklärt Oberstleutnant Dennis Bockholt. Seine Einheit wird am Ende knapp 6000 Tonnen mit schwerem Gerät bewegt haben, darunter 557 Container mit Material. Das nicht zurücklieferungspflichtige Material wird verwertet und teilweise den alliierten Partnern überlassen. „Wir haben hier viel gelernt und vor allem Lessons Identified für die Zukunft gewonnen“, wie Oberstleutnant Bockholt sagt. Zweieinhalb Jahre Slowakei waren auch deshalb ein Erfolg, weil die Truppe nachhaltig von den Erfahrungen lernt.

Mehr als nur ein Gruß aus der Heimat

Der stellvertretende Bundesvorsitzende, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, berichtet später vor den Kameraden im Feldlager über die Arbeit des Verbandes, die Lage in Berlin, die Situation insgesamt: „Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit kann nicht nur die Bundeswehr allein gestalten. Das ist eine Aufgabe fürs ganze Land, für die gesamte Gesellschaft. Russland agiert schon gegen uns und gegen die Truppe.“ Dazu kommt: Der Militärische Abschirmdienst identifiziert vor einiger Zeit einen Offizier aus dem BAAINBw, der Russland Dokumente angeboten hat. Es gibt Cyberangriffe und Trollarmeen auch aus Russland. „Der Social-Media-Krieg gegen Deutschland und die NATO wird längst geführt“, macht Bohnert deutlich. Dazu kommt: Die Bundeswehr braucht dringend Soldaten. Im Juni ist die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten zum ersten Mal unter die Marke von 180.000 gefallen. „Wir brauchen 203.000 am Ende wohl auch 270.000“, rechnet der stellvertretende Bundesvorsitzende vor. Die Reserve muss aufwachsen, denn die Drehscheibe Deutschland – strategisch entscheidend für die NATO – soll im Bündnis- und Verteidigungsfall verlässlich rotieren.

Für die hier in Lešt‘ Verbliebenen gibt es willkommene Mitbringsel vom DBwV. Wichtiger aber ist, dass der stellvertretende Bundesvorsitzende sich für den Dienst bedankt. Zuvor zeichnete er gemeinsam mit dem Kontingentführer, Oberstleutnant Dennis Bockholt, Jubilare für langjährige Mitgliedschaft im Verband aus. Das zählt etwas in der Truppe. Es zeigt die Verbundenheit des DBwV mit den Kameraden bei Missionen und im Einsatz. Es ist mehr als ein Gruß aus der Heimat.

„Was wir hier gemacht haben, hat viel zu tun mit Kriegstüchtigkeit und Gefechtsbereitschaft“, sagt Oberstleutnant Bockholt. „Wir können darauf aufbauen. Dieser Einsatz war es wert.“ Hier, an der Ostflanke der NATO, ist Kriegstüchtigkeit und Wehrhaftigkeit viel mehr wert als Worte. Hier ist das der tägliche Dienst fern der Heimat.

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