Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, und Oberst Thomas Behr, Vorsitzender des Landesverbandes Nord im DBwV. Foto: Frank Jungbluth/DBwV

Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, und Oberst Thomas Behr, Vorsitzender des Landesverbandes Nord im DBwV. Foto: Frank Jungbluth/DBwV

06.08.2023
Von Frank Jungbluth

„Wir brauchen jetzt eine wirkliche nationale Kraftanstrengung”

Florian Hahn (CSU), verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag hat gedient und begleitet die Entwicklung der Bundeswehr seit Jahren als Politiker. „Wir haben Russland alle falsch eingeschätzt”, sagt er und fordert zwei Prozent für den Verteidigungsetat.

Sie haben gedient, sind selbst Reservist. Sie kennen die Truppe also gut. Ukraine-Krieg, Zeitenwende, Sondervermögen, Mängel bei Ausrüstung und Material. Was braucht die Truppe eigentlich jetzt schnell? Sie haben zum Beispiel einen Munitions-Beauftragten gefordert.

Florian Hahn: Ja, was brauchen wir, was braucht die Bundeswehr? Wir brauchen tatsächlich eine wirkliche, nationale Kraftanstrengung. Nach Friedensdividende und jetzt neuer Lage seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine müssen wir ganz neu denken, und wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die Zeitenwende nicht nur eine Beschreibung der Situation ist, sondern dass diese Zeitenwende auch starke Konsequenzen hat.

Nationale Kraftanstrengung, eine Überschrift, die Großes verheißt. Was beinhaltet diese Überschrift für Sie?

In diesem Begriff ist nicht nur Verteidigung enthalten. Das ist im Übrigen auch nicht nur Verteidigung, sondern beinhaltet auch die Fragestellung, wie wir uns eigentlich aus den Abhängigkeiten, die wir ökonomisch, bei der Energieversorgung, und die wir eben auch sicherheitspolitisch und verteidigungspolitisch eingegangen sind – wie wir aus denen wieder herauskommen. Und deswegen, in der Tat: Zeitenwende ist etwas Größeres als nur Verteidigung.

Wie haben Sie die Bundeswehr während Ihrer Dienstzeit erlebt und was ist eigentlich der Unterschied zur heutigen Bundeswehr?

Na ja, das war Mitte der 90er Jahre, und da begann gerade der Wandel auch in der Bundeswehr. Wir hatten die ersten Auslandseinsätze, Stichwort Somalia. Das war auch in meiner Zeit aktuell. Die Bundeswehr wurde aber insgesamt kleiner und man hat schon gemerkt, dass gerade mit Blick auf die Wehrpflichtigen viele meiner Kameraden tatsächlich nicht mehr wirklich einen sinnvollen Dienst versehen haben. Gott sei Dank war das bei mir anders. Ich habe in meiner Bundeswehr-Zeit wirklich viel gelernt, und ich habe vor allem auch Freundschaften fürs Leben gefunden.

Musste es eigentlich erst zum Krieg in der Ukraine kommen, bis die deutsche Politik nach Jahren des Sparens wieder erkannt hat, dass wir eine starke, gut ausgestattete und vor allem einsatzbereite, manche sagen kaltstartfähige, Bundeswehr brauchen?

Spätestens 2014 hätten wir alle merken müssen, dass Russland es wirklich ernst meint, und Putin einen ganz anderen Weg verfolgt als den einer kooperativen, gemeinsamen Arbeit in Europa zum Wohle aller, sondern eher seine geopolitischen Interessen durchsetzen möchte. Aber die Gesellschaft war nicht so weit. Sie hat sich ein Stück weit – würde ich sagen – einseifen lassen von den warmen Worten aus Moskau. Ein schwerer Fehler, wie wir gesehen haben. Wir waren da sehr blauäugig.

Wir hatten vor einigen Wochen Ihren Fraktionschef Friedrich Merz hier an Bord. Er hat damals betont, dass CDU und CSU die Parteien der Bundeswehr sind. Wie kann die Union diesem Anspruch glaubwürdig gerecht werden in diesen Zeiten?

Ich glaube, dass die Union immer ein verlässlicher Partner der Bundeswehr war, dass wir immer zur Bundeswehr gestanden haben – zu jeder Zeit sozusagen. Nicht nur, wenn es ist wie aktuell. Gott sei Dank haben inzwischen alle begriffen, dass wir die Bundeswehr wirklich brauchen. Aber es gilt natürlich auch, den schönen, warmen Worten nun in jedem Fall auch Taten folgen zu lassen. Wir kämpfen jetzt auch weiter für tatsächlich die zwei Prozent, die der Kanzler eigentlich in Aussicht gestellt hat. Das bedeutet, dass wir neben dem Sondervermögen jetzt einen Aufwuchs brauchen von etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Stehen Sie auch dazu, dass die Ukraine so lange Waffen aus Deutschland bekommt, wie sie sie braucht?

Ich glaube, dass es hier ganz, ganz wichtig ist, dass wir diesen Krieg sehr nüchtern betrachten. Und dass wir ihn nicht nur betrachten, sozusagen von den Bildern her, sondern auch von den unglaublichen Gräueltaten, die Putin diesem Land antut, beispielsweise den etwa 19.000 Kindern, die inzwischen deportiert worden sind aus der Ukraine nach Russland. Man darf sich rein davon nicht allein leiten lassen, sondern muss es sachlich betrachten, und sachlich ist es so. Ich bin fest davon überzeugt, wenn Putin in der Ukraine Erfolg haben wird, wird er nicht aufhören, sondern er wird den nächsten Schritt gehen. Das kann das Baltikum sein, das kann Polen sein, und dann wäre es ein Angriff auf die NATO und dann wäre es der Bündnisfall. Insofern kämpft die Ukraine aktuell auch unseren Konflikt mit Russland aus.

Was würden Sie heute einem jungen Mann oder einer jungen Frau sagen, wenn Sie gefragt würden: Welche Argumente sprechen da eigentlich für den Dienst in der Bundeswehr, auch – oder gerade – in diesen Zeiten? 

Freiheit, Frieden, Wohlstand – das alles ist nicht selbstverständlich, sondern wir müssen auch bereit sein, all das zu verteidigen. Und deswegen ist es ein absolut ehrenvoller Beruf, tatsächlich für diese Sicherheit zu sorgen. Die Bundeswehr ist dazu ein attraktiver Ausbilder in vielen Berufen und bietet viele Möglichkeiten. Personal ist und bleibt ein großes Thema. 183.000 Soldatinnen und Soldaten dienen im Moment in der Bundeswehr. 203.000 sollten es sein. Das ist der Plan für die nächsten Jahre.

Wie kann es gelingen, die Reihen zu schließen?

Wir brauchen vor allem Fähigkeiten, und die Frage ist, wie wir diese erfüllen. Rein durch Kopfzahlen sicherlich nicht, aber wir brauchen natürlich einen bestimmten Personalumfang. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – und das sage ich auch auch schon seit einigen Jahren – ich bin etwas pessimistisch, wenn es darum geht, das Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten tatsächlich zu erreichen.

Eine Möglichkeit wäre ja, die seit mehr als zehn Jahren ausgesetzte Wehrpflicht wieder zu aktivieren. Der Bundespräsident hat eine Dienstpflicht ins Gespräch gebracht. Seitdem wird über Wehrpflicht und/oder Dienstpflicht gesprochen. Schon vor 50 Jahren, das habe ich beim Blick ins Archiv gesehen, hat der damalige Bundesvorsitzende Heinz Volland eine allgemeine Dienstpflicht gefordert, weil schon damals mehr wehrfähige Männer da waren, als die Truppe brauchte. Was ist für Sie sinnvoll? Die alternative Dienstpflicht, die Wehrpflicht – oder beides?

Oder vielleicht gar nichts? Eine spannende Diskussion, und ich würde sagen, dass ich mir eines auf keinen Fall vorstellen kann, das ist sozusagen die Reaktivierung der Wehrpflicht, so wie wir sie von früher kennen. Da sprechen viele Dinge dagegen, beispielsweise auch das Thema Gleichberechtigung. Kann man das in einer heutigen Gesellschaft überhaupt noch machen? Also reden wir doch über die allgemeine Dienstpflicht, und bei der allgemeinen Dienstpflicht sage ich: In der Theorie klingt das gut, gar keine Frage, jeder sollte einmal in seinem Leben etwas für sein Land tun. Da bin ich dabei.

Verteidigungsminister Boris Pistorius ist jetzt ein halbes Jahr im Amt. Sie sind einer seiner schärfsten Kritiker – was würden Sie anders machen?

Als Oppositionsführer im Verteidigungsausschuss muss ich natürlich auch der schärfste Kritiker des Ministers sein. Aber diese Kritik ist bei seiner Vorgängerin mit Sicherheit deutlich schärfer ausgefallen. Das heißt, wir sehen hier schon einen Fortschritt. Es muss ihm vor allem gelingen, Vertrauen zur Truppe aufzubauen, auch zwischen Politik und Truppe. Die Truppe ist zu oft enttäuscht worden. Zu oft sind Zusagen gemacht worden, die dann nicht eingehalten wurden. Beim Thema Beschaffung will er schneller werden, aus Mali will er bis Ende des Jahres raus sein und das Zwei-Prozent-Ziel beim Verteidigungsetat hat er unterstützt. Ich bin gespannt, ob er auch liefert, unsere Unterstützung hat er in jedem Fall.

Stichwort Personal. Das betrifft ja auch die Reserve. Da sind wir – um es mit einem drastischen Bild zu beschreiben – ordentlich ausgeblutet. Wenn man sich in anderen NATO-Mitgliedsstaaten umsieht, bei den neuen Mitgliedern Finnland und Schweden zum Beispiel, da hängen wir eindeutig hinterher. Was können wir tun, um kurzfristig oder auch mittelfristig die Reihen wieder zu schließen?

Ich glaube, dass es tatsächlich unerlässlich ist, dass wir eine neue Strategie für die Reserve brauchen, wenn wir eine Aufwuchsfähigkeit in Deutschland etablieren wollen. Reserve muss viel attraktiver sein, als sie aktuell ist.

Auch für den Deutschen BundeswehrVerband mit 205.000 Mitgliedern ist die Zeitenwende eine wichtige Veränderung. In welcher Rolle sehen Sie den BundeswehrVerband derzeit?

Der BundeswehrVerband ist natürlich gerade in diesen Zeiten ein extrem wichtiges Sprachrohr für die Anliegen der Soldatinnen und Soldaten. Der DBwV ist im Übrigen auch für uns als Politiker ein verlässlicher Partner, weil wir natürlich die Möglichkeit haben, mit seiner Hilfe in die Truppe reinzuhören. Das ist ja nicht immer so gegeben, wenn sie über das BMVg anfragen. Ich bin genauso überzeugt, dass der BundeswehrVerband eben auch den Laden zusammenhält, dass er den Soldatinnen und Soldaten eine Sicherheit gibt und auch hier verlässlicher Unterstützer und Interessensvertreter für ihre Belange sowie für die der Zivilbeschäftigten ist.

Unsere Podcast-Folge mit Florian Hahn finden Sie >>hier.

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