Oliver Krause ist Geschäftsführer des Bildungswerks des Deutschen BundeswehrVerbandes. Er steht der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie skeptisch gegenüber. Foto: DBwV/Yann Bombeke

01.07.2023
Von Oliver Krause

Nationale Sicherheitsstrategie: gewagt vage

Über die Mitte Juni vorgestellte Nationale Sicherheitsstrategie gehen die Meinungen auseinander. Ist sie nun der große Wurf oder bringt sie uns nicht wirklich weiter? Für Oliver Krause, Geschäftsführer des Bildungswerks des Deutschen BundeswehrVerbandes, hat die Bundesregierung die Chance verpasst, ein richtungsweisendes Dokument vorzulegen.

Ein Beben hat sie nicht ausgelöst, die erste Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) der Bundesrepublik Deutschland, geschrieben unter dem Eindruck der sogenannten „Zeitenwende“ unter Federführung des Auswärtigen Amts. Das liegt zum Teil sicherlich daran, dass sich der Referenzrahmen seit dem 24. Februar 2022 verschoben hat: Ein Bekenntnis zum 2-Prozent-Ziel ist heute keine abseitige Position mehr im politischen Berlin. In der Bevölkerung war sie es ohnehin nie.

Trotzdem dürfte der Umstand, dass bereits ein sicherheitspolitisch grundinteressierter Zeitungsleser bei der Lektüre des immerhin höchstrangigen sicherheitspolitischen Dokuments der Bundesregierung wenig Neues erfährt, die allgemeine Ruhe erklären, die durch die Verabschiedung der NSS nicht gestört wurde. Oder wurde bei Ihnen beim abendlichen Grillen mit Freunden leidenschaftlich über Deutschlands integrierte Sicherheit diskutiert?

Etwas konkreter hätte es sein können

Klar: Wer wollte verlangen, dass die Regierung verbindliche Festlegungen trifft, die ihr die Opposition bei jedem Fehltritt genüsslich vorhalten kann. Auch gilt es zu bedenken, dass Strategien dann am besten aufgehen, wenn die Gegenseite sie nicht kennt und sich nicht darauf einstellen kann. In einer Demokratie, die von öffentlicher Legitimität lebt, ist eine Sicherheitsstrategie also eine Gratwanderung. Dennoch: Etwas konkreter hätte es schon sein können.

Zum Beispiel erfährt der Leser in der einleitenden Lagefeststellung: „Unser Land muss wehrhaft sein, um sich und seine Verbündeten […] verteidigen zu können.“ Eiderdaus! Oder auch: „Es liegt in unserem fundamentalen Interesse, unsere Werte zu verteidigen.“ Heureka! Russland sei, so ist zu lesen, „auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“. Überraschung! Und so geht es weiter und weiter: China sei „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“, kritische Infrastruktur „lebensnotwendig“ und – aufgepasst – „vermehrt erheblichen Bedrohungen und Störungen ausgesetzt“, Cyberangriffe „nehmen zu“, ausländische Nachrichtendienste betrieben bei ihrer Spionage in Deutschland „einen hohen […] Aufwand“, organisierte Kriminalität bedrohe „nahezu alle Staaten der Welt“, die Klimakrise wirke als „Konflikttreiber“. Die Liste ließe sich verlängern.

Das „Wie“ bleibt oft vage

Andererseits kommt die NSS sehr dynamisch und ambitioniert daher. Das Wort „(ver)stärken“ kommt rund 70-mal vor, „ausbauen“ 20-mal, „fördern“ knapp 30-mal, für etwas „einsetzen“ will sich die Regierung 18-mal. Allein das „Wie“ bleibt oft vage, werden beschriebene Zielkonflikte nicht aufgelöst. Aber eben das darf man von einer Nationalen Sicherheitsstrategie erwarten. Klarheit. Orientierung. Führung. Haltung. Selbstverpflichtung.

Beispiel Verteidigungshaushalt: „Zunächst auch durch das […] Sondervermögen Bundeswehr“ würde der 2-%-Beitrag „im mehrjährigen Durchschnitt“ eingehalten werden. Das ist ein Weichmacher, der eigentlich auf irgendeiner EU-Verbotsliste stehen sollte.

Beispiel Bundeswehr: Die sei Parlamentsarmee. Das heißt landläufig, dass bewaffnete Einsätze nur mit Zustimmung des Bundestages erlaubt sind. Gleichzeitig will die Bundesregierung die europäische Verteidigungs- und Handlungsfähigkeit stärken und Mehrheitsentscheidungen in der GASP forcieren. Deutschland will also seine nationalstaatliche Souveränität bewahren und die europäische Integration fördern. Wer kann dazu schon Nein sagen?

Bei näherer Betrachtung nur Binsen

Beispiel Rüstungsindustrie: Die Bundesregierung will die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie „weiter“ stärken, man will „primär“ europäische Produkte beschaffen. Entscheidend sei aber „das schnelle Schließen von Fähigkeitslücken.“ Das wird man wohl zwangsläufig müssen, nachdem die heimische Industrie in Ermangelung von nationalen Aufträgen und komplizierten Exportgenehmigungsverfahren Kapazitäten abbauen musste.

Beispiel Rohstoffe: Die Bundesregierung wolle „mit Partnern die Erschließung alternativer, menschenrechtskonformer und nachhaltiger Bezugsquellen für strategische Rohstoffe voranbringen.“ Aber was, wenn das nicht geht? Was, wenn zum Beispiel Energie nicht gleichzeitig nachhaltig, sicher und billig sein kann? Wofür entscheiden wir uns dann?

Aber selbst eindeutige Passagen sind bei näherer Betrachtung nur Binsen. Dem linken und grünen Lager dürfte das klare Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe nicht leichtgefallen sein. Aber was ist die Alternative? Ein deutscher Rückzug hätte nur das Bündnis geschwächt. Wer das fordert, übersieht gern, dass die nukleare Teilhabe ein Instrument der Rüstungskontrolle ist.  Der Atomwaffensperrvertrag – das Rüstungskontrollinstrument schlechthin – fußt mit Blick auf den Westen auf der amerikanischen Zusicherung, auch die Verbündeten mit ihrem Arsenal zu schützen, die umgekehrt im Rahmen der Teilnahme mit am Tisch sitzen.

Was passiert, wenn Trump und Le Pen an die Macht kommen?

Der wirklich kritische Punkt wird gleichwohl ausgeblendet. Was macht dieses Land eigentlich, wenn in den USA Donald Trump und in Frankreich Marine Le Pen die Präsidentschaftswahlen gewinnen, wenn die NATO zerfällt und der nukleare Abwehrschirm, unter dessen Schutz sich so prima gegen Atomwaffen demonstrieren lässt, platzt wie eine Seifenblase? Das, so schrieb FAZ-Herausgeber Bernhard Kohler im Herbst vergangenen Jahres in der Sonntagsausgabe seiner Zeitung, sei ein deutsches Tabu, das den Angriff Putins (auf die Ukraine) überstand.

Zurück zu den Binsen: Im konservativen Milieu dürfte die „feministische“ Außenpolitik, die nicht nur Frauen, sondern auch benachteiligte Gruppen in den Fokus nimmt und zu der sich die Koalition in der NSS verpflichtet, bei dem ein oder anderen zu einer reflexhaften Ablehnung geführt haben. Allein: Modernen Demokratien geht es immer um die Teilhabe aller Menschen. Neu ist das Konzept also nicht. Es hat nur einen anderen Namen verpasst bekommen. Ob das Framing die Tagespolitik verändert, muss sich erst noch zeigen. Bislang ist Deutschlands Außenpolitik nur auf dem Papier feministisch.

Der Verfassungsschutz taucht gar nicht auf

Dass die Bundesregierung Deutschlands Cyber- und Weltraumfähigkeiten erweitern möchte, „damit diese einen wesentlichen Beitrag zu kollektiver Abschreckung und Verteidigung in der NATO leisten können“, machte mich hingegen hellhörig. Wenn sich dahinter „Hackbacks“ und „Killersatelliten“ verbergen, sprechen wir von einem deutschen Quantensprung, dachte ich erleichtert. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße: „Mit seiner Selbstverpflichtung, keine destruktiven Anti-Satelliten-Tests mit boden-, luft- oder seegestützten Anti-Satelliten-Raketen durchzuführen, ist Deutschland beispielgebend.“ Den Nachweis für diese These bleibt die Bundesregierung schuldig. Und sodann: „Hackbacks lehnen wir als Mittel der Cyberabwehr prinzipiell ab.“ So bleibt also die Polizei Bremen verantwortlich, wenn dort kritische Infrastruktur aus dem Ausland angegriffen wird.

Bemerkenswert ist auch, was nicht in der NSS steht. Der Bundesnachrichtendienst (BND) zum Beispiel wird nur ein einziges Mal erwähnt. Was denken Sie in welchem Kontext? Ich verrate es Ihnen: Er soll die sicherheitspolitischen Folgen der Klimakrise zusammen mit zivilen Forschungsinstituten abschätzen. Deutschlands Inlandsnachrichtendienst, der Verfassungsschutz, taucht erst gar nicht auf.

In diesem Sinne überrascht auch dieser Satz nicht mehr wirklich: „Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland stehen immer im Einklang mit dem Völkerrecht, dem Grundgesetz und den gesetzlichen Vorgaben.“ Ja, was denn sonst?

Man muss es leider sagen: Abgesehen vom Sondervermögen und den Waffenlieferungen an die Ukraine hat sich Deutschlands Sicherheitspolitik nicht verändert. Das könnte uns ja egal sein, wenn die Bedrohung nicht so ernst wäre.

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