Fertigung von 155mm-Artilleriemunition bei Rheinmetall: Erst vor wenigen Tagen hat Verteidigungsminister Boris Pistorius die Beschaffung von Munition für die Bundeswehr zur "obersten Priorität" erklärt. Doch noch immer dauert es zu lange, bis dringend benötigtes Material den Streitkräften zur Verfügung gestellt wird. Foto: picture alliance/dpa/Philipp Schulze

25.07.2023
Von Frank Jungbluth

Gutachter gegen Bremsklötze bei Beschaffung

Berlin. Wenn Politiker gefragt wurden, warum es oft so lange dauere, bis neue Ausrüstung und Material für die Bundeswehr beschafft werden könne, war meist das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAIINBw) verantwortlich: Zu lange Wege, Entscheidungsschwäche und die notorische Suche nach der „Goldrandlösung“ wurden als Gründe benannt. Gabriele Korb, langjährige Präsidentin der Behörde, wurde im März 2023 entlassen. Ihre Stellvertreterin Annette Lehnigk-Emden rückte auf.

„Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch durch diese Entscheidung nochmal einen neuen drive gewissermaßen in die Geschichte reinkriegen, was notwendig ist, weil wir an jeder Beschleunigungsschraube drehen wollen und müssen, die wir finden können“, sagte damals der seinerzeit erst zwei Monate im Amt dienende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Ziel sei es, schneller und effektiver zu werden. Dabei hatte der Bundestag erst am 7. Juli 2022 das Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr (Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz - BwBBG) verabschiedet, mit dem das Verteidigungsministerium die Beschaffungs-Bummelei beenden wollte.

Ein Papier mit Zündstoff

Es gibt inzwischen allerdings auch gewichtige Hinweise, dass es auch die Politik selbst ist, die als Bremsklotz die Beschaffung verzögert. Das haben Experten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ermittelt. Ihr Gutachten dazu ist am Dienstag vorgestellt worden. Das Papier hat einigen Zündstoff in sich. „So sieht das Ausführungsgesetz für das Sondervermögen vor, dass militärische Beschaffungsverträge über mehr als 25 Millionen Euro durch den Haushaltsausschuss nachträglich genehmigt werden müssen. Diese ‚Parlamentsschleife‘ ist eine Besonderheit des Bundeswehretats, die der Gewaltenteilung widerspricht“, kritisieren die Wissenschaftler in ihrem Gutachten.

Diese Parlamentsschleife lade zu Nachverhandlungen ein und schwäche die Verhandlungsposition der Bundeswehr etwa bei Gesprächen mit den Auftragnehmern der Rüstungsindustrie. „Diese Regel sollte abgeschafft werden. Der Bundestag sollte seinen Einfluss darauf beschränken, dem Verteidigungsministerium jährlich seinen Haushalt zuzuweisen“, sagt Prof. Christoph Engel (Max Planck Institut Bonn), federführendes Mitglied der Arbeitsgruppe zu dem Gutachten.

Vorbild DARPA

„Der wissenschaftliche Beirat hat klare Empfehlungen an Regierung und Parlament gemacht. Besonders interessant ist auch die Beschreibung der DARPA – das könnte auch in Deutschland funktionieren“, sagt das der 1. Stellvertretende Vorsitzende des BundeswehrVerbandes, Stabsfeldwebel Thomas Schwappacher. Die DARPA ist eine Behörde, die in den USA seit 1958 als Organisation für Forschungsprojekte der Streitkräfte arbeitet und Rüstungsvorhaben in den Vereinigten Staaten wissenschaftlich begleitet. GPS oder die Tarnkappentechnologie für Kampfflugzeuge wurden dadurch erfunden. „Insgesamt sehe ich im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates elf klare Prüfaufträge“, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende weiter. „Ich bin gespannt, ob man sich ernsthaft und intensiv damit beschäftigen wird.“

Der Deutsche BundeswehrVerband begrüßt grundsätzlich jede Initiative, die hilft, das Beschaffungswesen der Bundeswehr zu beschleunigen, denn man brauche ein hohes Tempo, damit die Bundeswehr die Aufträge der Politik umsetzen kann. „Gut ist auch, wenn diese Unterstützung aus der Flanke kommt, nicht nur aus dem BMVg. Die Regierung zeigt, dass sie verstanden hat, dass die Zeitenwende Aufgabe der gesamten Bundesregierung und der Bundeswehr ist. Nun kommt es darauf an, dass aus den Vorschlägen konkrete Umsetzungsschritte vorgenommen werden. Unsere Soldaten und die Menschen im Lande erwarten, dass nicht nur Pläne und Strategien aufgeschrieben werden, sondern dass diese auch schneller umgesetzt werden“, sagt Thomas Schwappacher. „Ich bin überzeugt davon, dass die Menschen der Bundeswehr hier sehr engagiert die neuen Wege mitgehen. Alle machen heute schon, was geht und was das System erlaubt, um die Zeitenwende umzusetzen. Deshalb haben unsere Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivilbeschäftigten gute Rahmenbedingungen verdient und brauchen jede Unterstützung.“

Den Instanzenweg kürzen

Das neue Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz enthält einige sinnvolle Erleichterungen im Beschaffungswesen, geht aber nicht weit genug, so die Gutachter. Der Beirat schlägt unter anderem vor, den Instanzenweg bei Nachprüfungsverfahren zu kürzen, das Mittelstandsgebot zu lockern und die Möglichkeit von Anreizverträgen für die Industrie zu erweitern. Schließlich sollten die Erleichterungen im Beschaffungswesen nicht auf Güter mit rein militärischer Nutzung beschränkt sein, sondern auf den gesamten Bedarf der Bundeswehr ausgedehnt werden. „Die Erfahrungen mit militärischen Beschaffungen sollte man nutzen, um auch andere Beschaffungsverfahren und Großprojekte zu beschleunigen“, fordert Prof. Klaus Schmidt (LMU München), Vorsitzender des Beirats.

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