20.10.2015
cb/dpa

Ein Militärseelsorger und die Nöte der Bundeswehrsoldaten

Was liegt Soldaten auf dem Herzen, wenn sie im Einsatz sind? Ein Militärseelsorger aus Flensburg kennt ihre Nöte. Er weiß: Auf See gibt es für viele junge Leute ein großes Thema.

Berlin (dpa) - In Berlin treffen sich bis Donnerstag (22. Oktober 2015) die katholischen Militärseelsorger zu ihrer 60. Gesamtkonferenz. Einer von ihnen ist Michael Gmelch. Er leitet in Flensburg das katholische Militärpfarramt. Im Sommer war Gmelch 30 Tage lang im Mittelmeer auf einem Schiff der Bundeswehr unterwegs. «Auslandseinsätze werden die Bundeswehr mehr und mehr prägen», sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Er kennt die Nöte der Soldaten gut.

Frage: Was war das eindrücklichste Erlebnis bei Ihrer Arbeit im Mittelmeer?

Antwort: Tatsächlich war dies die erste Begegnung mit Flüchtlingen. Ich war Jahre Pfarrer in Indien und kenne viele arme Menschen in Slums, ich habe keine Berührungsängste. Wenn man die Menschen dann in einem Abstand von einem Meter vor sich hat, die man sonst nur aus den Fernsehnachrichten kennt, dann ist das etwas ganz Anderes. Auf dem Schiff gibt es etwa 200 Leute Besatzung, die haben in der Regel großteils nichts mit den Flüchtlingen zu tun. Es ist ein abgeschlossener Bereich, in den die Flüchtlinge hereinkommen.

Das Spezialpersonal von etwa 50 Leuten wurde extra dafür eingeflogen. Ich war Mitglied des Verpflegungstrupps und habe den Flüchtlingen Essen und Trinken gegeben, eine Decke oder einer jungen Mutter auch mal eine Pampers für ihr Baby in die Hand gedrückt. Ich habe natürlich auch Gottesdienste an Bord gehalten und war ein Ansprechpartner für die Soldaten in persönlichen Angelegenheiten.

Frage: Was hat die Soldaten an Bord bewegt?

Antwort: Die Soldaten machen ihren ganz normalen Alltag, der von früh bis spät geregelt ist. Das normale Stammpersonal macht seine Alltagsroutine, «fährt» eben das Schiff. 24 Stunden am Tag. Die Spezialkräfte jedoch, die Flüchtlinge retten, sind zum Teil richtig stolz. Bei den Soldaten spiegeln sich aber auch die vielfältigen Debatten der Gesellschaft wieder, es gibt auch kritische Stimmen. Einige waren nicht begeistert, dass der Einsatz des Schiffs im Mittelmeer kurzfristig umgeplant wurde.

Frage: Wie wichtig ist das Thema Glaube in solchen Einsätzen, gibt es Soldaten, die eine Bibel auf dem Nachttisch haben?

Antwort: Das ist am aller seltensten der Fall. Was für die Leute, die monatelang an Bord unterwegs sind, natürlich ein Problem ist, sind Fernbeziehungen. Sie sind nicht mehr in der Lage, einfach das zu tun, was sie mit ihren Alltagsgenossen an Land machen würden: alle zehn Minuten auf das Smartphone zu gucken, checken, was passiert ist, auf Facebook, Twitter, in den Mails oder bei WhatsApp. Da ist plötzlich tagelang Funkstelle. Zwei junge Offiziersanwärterinnen haben da auf See aus diesem Grund zu mir gesagt: «Dieser Beruf fällt für mich aus.» Es gibt ganz viele Beziehungskrisen. Ich war mal kurz vor Kanada bei einem Smut (Koch), der zugleich Friseur war: Der hat im Hafen, als der Handy-Empfang so langsam wieder kam, erfahren, dass seine Freundin mit ihm per SMS Schluss gemacht und die Wohnung schon ausgeräumt hat. Das sind Fragen und existenzielle Nöte, die ich dann mit den Leuten bespreche und aushalte.

Frage: Wird die Arbeit von Seelsorgern wichtiger, wenn die Zahl der Auslandseinsätze zunimmt?

Antwort: Bei gefährlichen Einsätzen wie in Afghanistan oder jetzt im Irak werden die Ängste immer größer, auch bei den Angehörigen zu Hause. Manche wollen gar nicht mehr Soldat sein, manche müssen expatriiert, also nach Hause geflogen werden, weil sie es nicht mehr packen. Da sind die Seelsorger schon gefragt. Oder in Afrika, Thema Ebola: Auch da wollten sie an Weihnachten einen Seelsorger haben. Auslandseinsätze werden die Bundeswehr mehr und mehr prägen. Das führt uns natürlich immer an Krisenherde dieser Welt. Und wo es gefährlich wird, kommt man auf bestimmte existenziellere Fragestellungen wie Tod, Verwundung, Sinn des militärischen Handelns oder gar des eigenen Lebens. Da ist die Seelsorge häufiger gefragt und gefordert als am Standort zu Hause.

Zur Person: Dr. Michael Gmelch (56) ist Militärseelsorger. In Flensburg leitet der Pastoraltheologe und Pastoralpsychologe das katholische Militärpfarramt. Er begleitet Offiziersanwärter der Marine auf der «Gorch Fock» und beim Einsatzausbildungsverband (EAV) der Deutschen Marine. Im Sommer war er 30 Tage lang im Mittelmeer auf einem Schiff der Bundeswehr unterwegs, auf dem Einsatzgruppenversorger «Berlin».