Wüstner: "Bundeswehr als Ganzes hat an Vertrauen verloren“
Dieses Interview mit dem DBwV-Bundesvorsitzenden André Wüstner erschien in der Juli-Ausgabe des Magazins "Europäische Sicherheit & Technik" (ES&T).
ES & T: Die Bundeswehr hat derzeit kein gutes Image. Es sind in diversen Einheiten Fälle von sexueller Belästigung, Mobbing und dubiosen Aufnahmeritualen bekannt geworden – und dazu der Fall des verhafteten Oberleutnants Franco A. aus der Deutsch-Französischen Brigade, der sich als syrischer Flüchtling registrieren ließ, um mit dieser falschen Identität möglicherweise einen Anschlag aus rechtsextremistischen Motiven zu planen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen warf der Truppe daraufhin Ende April ein „Haltungsproblem“ und offensichtliche „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ vor. Als innerhalb und außerhalb der Bundeswehr ein Sturm der Empörung ausbrach, entschuldigte sie sich für diese Äußerung. Dennoch ist nun das Vertrauen der Deutschen in ihre Streitkräfte gesunken. Ende Mai hatten laut ARD-Deutschlandtrend nur noch 49% der Befragten sehr großes bzw. großes Vertrauen in die Bundeswehr. Ein Jahr zuvor waren es noch 59%. Welche Fehler sind gemacht worden?
André Wüstner: Die Zahlen des ARD-Deutschlandtrends sind definitiv alarmierend, insbesondere für eine Freiwilligenarmee. Und natürlich lässt sich das zurückführen auf die Art der medialen Berichterstattung über die Bundeswehr, auch auf Grundlage einer fehlerhaften Krisenkommunikation und eines schlechten Krisenmanagements der Ministerin oder ihres Umfeldes. Insbesondere durch eine unzureichende Differenzierung und das Durchstechen aus noch laufenden Ermittlungsverfahren haben die Ministerin, die militärische Führung, aber auch die Bundeswehr als Ganzes an Vertrauen verloren.
ES&T: Wie kann das verloren gegangene Vertrauen wiedergewonnen werden?
Wüstner: Das ist gar nicht so einfach. An den Standorten, an denen die Bundeswehr noch präsent ist, wo sie also noch „erlebbar“ ist, wo die Soldaten und ihre Familien verankert sind, ist das Vertrauensverhältnis nach wie vor gut. Das ist da teilweise anders, wo die Bundeswehr nach ihrer Verkleinerung und der Aussetzung der Wehrpflicht den Rückzug aus der Fläche angetreten hat. Dort ist es sehr schwer, Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Insgesamt hängt nun auch viel vom Bekenntnis der Politik und der Eliten der Gesellschaft zur Bundeswehr ab. Aber auch Bundeswehr-intern muss Vertrauen wiedergewonnen werden, ohne auf Konsequenzen aufgrund der Verfehlungen zu verzichten. Dazu ist es in den kommenden Monaten wesentlich, wie gute Führung und Haltung auch im Ministerium vorgelebt werden.
ES&T: In der Bundeswehr sollen nun u.a. interne Meldeketten beschleunigt und das Prinzip der Inneren Führung gestärkt werden. Die Wehrdisziplinarordnung soll reformiert und der Traditionserlass aus dem Jahre 1982 überprüft werden, der den Umgang der Bundeswehr mit der militärischen Vergangenheit regelt, nachdem in der Truppe Wehrmachtsdevotionalien entdeckt wurden. Sogar das Liederbuch wird überarbeitet. Sind damit die richtigen Konsequenzen gezogen worden?
Wüstner: Was Traditionserlass oder Innere Führung anbelangt, ist im Weißbuch 2016 bereits ein neuer Ansatz beschrieben. Daher sind die angekündigten Maßnahmen nicht überraschend. Auch die Wehrdisziplinarordnung kann man sicherlich überprüfen und anpassen - für uns geht es da im Wesentlichen um Beschleunigung.
Ob all diese Maßnahmen für immer ausschließen, dass es in der Bundeswehr Verfehlungen gibt, bezweifle ich. Wo Menschen handeln, passieren Fehler. Ja: Jede Verfehlung ist eine zu viel. Und dennoch muss aufgepasst werden, dass jetzt das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird, dass sich eine Art organisierter Kontroll- oder Vertrauensverlust festsetzt. Die aktuell angedachten Maßnahmen scheinen insgesamt eher von Aktionismus geprägt zu sein. Da geht es mehr um die Bekämpfung von Symptomen und nicht ihrer Ursachen. Und deshalb greifen die Ideen nach Auffassung des BundeswehrVerbands noch zu kurz.
ES&T: Was sollte denn geschehen?
Wüstner: Wenn es um gute Führung gehen soll, muss man fragen, wo es Führungserschwernisse gibt. Und da ist das Unverständnis in der gesamten Bundeswehr groß, wenn nun beispielsweise im Abgleich mit verschiedenen Führungsebenen ein zweijähriger „Evaluationsprozess“ aufgelegt werden soll, um herauszufinden, wie „Führung“ verbessert und die Innere Führung besser gelebt werden könnte. Dabei gab es doch in den letzten Jahren schon reichlich Tagungen, ich nenne beispielsweise die Spießtagungen des Generalinspekteurs, auf denen immer wieder Führungserschwernisse herausgearbeitet wurden.
Ein oft benannter Kritikpunkt ist eine teils zu große Führungsspanne für Disziplinarvorgesetzte, beispielsweise in "übergroßen Einheiten“. Dazu kommen Themen wie Verantwortungsdiffusion durch zersplitterte Zuständigkeiten oder eine zu starke Zentralisierung gepaart mit noch mehr Bürokratie und Mangelverwaltung.
ES&T: Konnten Sie das der Verteidigungsministerin schon erläutern?
Wüstner: Ja, wir hatten vor kurzem ein langes und gutes Gespräch. Ich habe unter anderem deutlich gemacht, dass es nun darum gehen muss, schnell Abhilfe in puncto Führungserschwernisse zu schaffen, damit Vorgesetzte eben wieder führen können anstatt nur zu verwalten. Mit einem entsprechenden Workshop "Innere Führung - HEUTE" unter Einbeziehung der Inspekteure, des Zentrums Innere Führung, des DBwV und der Beteiligungsgremien könnte unterstrichen werden, dass sie es ernst meint.
An einen langen Prozess glaubt niemand und mehr Vertrauen wird sich dadurch sicherlich nicht entwickeln. Und als zweites Feld habe ich vorgeschlagen, das „Militärische“, das „Soldat sein HEUTE“ aufzugreifen und über Fragen des Berufsethos zu diskutieren. Nach all den unzähligen, teilweise sehr komplexen Veränderungen brauchen Streitkräfte - und jeder Einzelne darin - auch in dieser Hinsicht wieder mehr Orientierung.
ES&T: Welches Bild haben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Generalinspekteur Volker Wieker beim Krisenmanagement der letzten Zeit abgegeben?
Wüstner: Menschen aus der Bundeswehr und solche mit Bundeswehrbezug sind da sehr deutlich: ein nur bedingt gutes. Und das ist noch höflich ausgedrückt. Das begann mit den Vorfällen in Pfullendorf Ende Januar und zog sich über Verfehlungen in Sondershausen bis zum Fall des Oberleutnants Franco A. aus Illkirch. Viele fühlten sich an den Umgang des Ministeriums mit dem angeblichen Skandal um das Gewehr G36 erinnert, das wir ja noch immer in der Nutzung haben.
Diesmal ging es aber nicht um einen Ausrüstungsgegenstand sondern um Menschen und damit sozusagen um die durch unzählige Reformen ohnehin stark belastete Seele der Bundeswehr. Das Pauschalisieren seitens des Ministeriums, das bewusste Zusammenziehen von räumlich und zeitlich getrennten Vorfällen war ein schwerer Fauxpas. Die Ministerin hat ihre Art der Kommunikation nun mehrfach bedauert und versucht, das dadurch verlorengegangene Vertrauen in zahlreichen Veranstaltungen mit Führungskräften wieder einzufangen. Aber das ist schwer und braucht Taten, nicht nur Worte.
ES&T: Vor der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 2011 hatten Kritiker darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr damit anfälliger für rechtes Denken werden könnte, während zuvor Wehrpflichtige aus allen Teilen der Gesellschaft für mehr politische Ausgewogenheit unter den jungen Soldatinnen und Soldaten gesorgt hätten. Sind die Kritiker nun bestätigt worden?
Wüstner: Wenn man die jüngsten Fälle genau betrachtet, handelt es sich dabei eher noch um Kinder der Wehrpflicht. Dennoch verändert sich nach Auffassung vieler Spieße und Kompaniechefs das „innere Gefüge“ der Truppe. Sie warnen selbst hinsichtlich der Trendwende Personal, dass in der Nachwuchsgewinnung und -bindung nicht Quantität vor Qualität gehen darf. Die Frage ist nun, wie man damit umgeht.
Es war in den vergangenen Jahren sicher ein Fehler, den „Staatsbürger in Uniform“ mit Blick auf die Innere Führung weniger statt mehr zu bilden, wenn es z.B. um die rechtliche, politische, historische und ethische Dimension des Soldatenberufs ging. Aber auch hier reicht es nicht nur aus, wie aktuell, beispielsweise mehr politisch-historische Bildung zu fordern. Man muss vielmehr dafür sorgen, dass es auch dafür in der Truppe wieder Zeit gibt und schauen, wo es der Nachsteuerung in der Ausbildung unseres Führungsnachwuchses bedarf.
ES&T: Ohne die jüngsten Skandale hätte die Bundeswehr unter der Großen Koalition eigentlich jeden Grund zur Freude gehabt. Die „Neuausrichtung“ genannte weitere Verkleinerung wurde gestoppt. Sie erhält nun wieder mehr Personal, mehr Material und vor allem auch wieder mehr Geld, um angesichts der veränderten Sicherheitslage in Europa ihre NATO-Verpflichtungen erfüllen und auf Bedrohungen auch aus dem Cyberraum besser reagieren zu können. Auch die sozialen Rahmenbedingungen für die Soldatinnen und Soldaten wurden verbessert. Wie fällt Ihre Bilanz für diese Legislaturperiode aus?
Wüstner: Zunächst einmal muss man Verteidigungsministerin von der Leyen großen Respekt dafür zollen, dass sie diese Kehrtwende eingeleitet hat. In Berlin war ja zu beobachten, wie schwer es sogar in Frau von der Leyens eigener Partei war, alle Menschen davon zu überzeugen, die Bundeswehr wieder wachsen zu lassen. Natürlich hatte das auch Ursachen, Stichwort Russland-Ukraine, "Islamischer Staat“ und vieles mehr. Aber das neue Weißbuch und die Beschlüsse zu den Trendwenden Personal, Material und Haushalt sind Schritte, die manch einer insbesondere zu Beginn der Legislaturperiode nicht für möglich gehalten hätte. Nun stehen quasi viele Papiere im Schaufenster, aber wenn man den Laden betritt, ist noch nichts drin. Dennoch sind zumindest die Grundlagen für eine Ausgestaltung und die tatsächliche Stärkung der Truppe in der nächsten Legislaturperiode geschaffen worden.
ES&T: Mit der Neuausrichtung von 2011 sollte die Bundeswehr zu einer Einsatzarmee umstrukturiert werden. Inzwischen hat die neue sicherheitspolitische Lage in Europa dazu geführt, dass z.B. auch in der geplanten neuen „Konzeption der Bundeswehr“ die Landesverteidigung und das Heer plötzlich wieder eine ganz andere Rolle spielen werden. Bedeutet das "back to the roots"? Wüstner: In Teilen ja, aber es geht um mehr. Bis 1990 stand die Landes- und Bündnisverteidigung im Vordergrund, bis 2011 das Krisen- und Konfliktmanagement, danach sah man politisch nur noch "kleine Ertüchtigungseinsätze“ am Horizont. Selbst die Bundeskanzlerin sprach damals schon vom baldigen Abzug aus Afghanistan.
In den vorläufigen Planungspapieren zur neuen Konzeption der Bundeswehr ist nun erstmals in unserer Geschichte von der Gleichzeitigkeit von Landes- und Bündnisverteidigung und von internationalem Krisenmanagement die Rede, und das ist eine enorme Herausforderung. Und da bin ich noch gar nicht beim gewachsenen Anspruch an die Bundeswehr in puncto Cyber- und Informationsraum. Auslandseinsätze werden insgesamt auf der Tagesordnung bleiben, vermutlich mit Blick auf die Fluchtursachenbekämpfung in der nächsten Legislaturperiode sogar noch zunehmen.
ES&T: Der Deutsche BundeswehrVrband ist keine Gewerkschaft, versteht sich aber als Organisation zur Vertretung der Interessen aller aktiven und früheren Soldaten, deren Angehörigen und Hinterbliebenen und auch aller Zivilbeschäftigten der Bundeswehr gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit. Was verbuchen Sie als größten Erfolg des Verbandes in dieser Legislaturperiode?
Wüstner: Wir sind mit unseren Fortschritten als Berufsverband in den letzten vier Jahren sehr zufrieden. Wir optimieren unser eigenes Unternehmen mit rund 250 Mitarbeitern samt Stiftungslandschaft und haben unsere Mitgliederzahl um 10.000, den Organisationsgrad auf über 70% gesteigert. Verbandspolitisch streben wir Ziele auf unterschiedlichen Ebenen an. Auf der „Makroebene“ waren wir daran beteiligt, im sicherheitspolitischen Diskurs Knoten zu lösen, was zum Weißbuch-Prozess und zu den Trendwenden in den Bereichen Personal, Material und Haushalt beitrug.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz provozierten wir schon vor Jahren mit dem Satz: „Wer den Frieden will, muss sich auf den Krieg vorbereiten.“ Das sorgte für immense Empörung, hat aber auch viele aufgeweckt und zum Nachdenken angeregt. Es folgte das Weißbuch und damit auch eine Antwort auf „Wofür Bundeswehr?“.
ES&T: Und wie schaut es mit der Bundeswehr selbst aus?
Wüstner: Intern ging es mit vielen Gesetzen darum, bessere Rahmenbedingungen für eine Freiwilligenarmee zu schaffen. Das ist geschehen, aber wir sind noch nicht am Ziel. Das merken wir, wenn es um die Nachwuchsgewinnung und -bindung geht. Insgesamt geht es uns immer um zwei Linien. Die eine ist ganz klassisch die Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen, was bis heute immer die Kernerarbeit des BundeswehrVerbandes darstellte. Aber es geht uns ebenso um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.
Beide Linien sind für unsere Mitglieder von enormer Bedeutung. Was die sozialen Rahmenbedingungen anbelangt, ist uns gemeinsam mit vielen verantwortungsbewussten Parlamentariern und auch der Ministerin so viel gelungen, wie seit 60 Jahren nicht. Alle erfolgreichen Details des Artikelgesetzes Attraktivität, der Novellierung des Soldatenbeteiligungsgesetzes oder des 7. Besoldungsänderungsgesetzes aufzuzählen, würde das Interview sprengen.
In Sachen Einsatzbereitschaft muss allerdings noch Strecke gemacht werden. Unser Schwerpunkt liegt seit Anfang des Jahres bereits in der Entwicklung und Implementierung unserer Programmatik für die nächste Legislaturperiode, um unseren erfolgreichen Kurs für die Menschen der Bundeswehr wie gewohnt fortsetzen zu können! Der DBwV blickt immer nach vorne, denn unser Anspruch ist, zu gestalten anstatt zu verwalten. Das zeichnet uns seit über 60 Jahren aus.