Weder Haltungsproblem noch Führungsversagen!
Hat die Bundeswehr ein Problem mit Haltung und Führung? Nein, denn die Innere Führung hat sich bewährt und in der Bundeswehr wird diese in der Regel auch sehr gut und erfolgreich umgesetzt. Wo es Verfehlungen gibt, wird gehandelt. Auch für die Bundeswehr gilt: Wer durch sein Handeln Verantwortung übernimmt, ist nicht davor gefeit, wiederum Fehler zu machen. Deshalb ist eine gute Fehlerkultur zwingend erforderlich, das heißt, der Prozess der Inneren Führung beginnt von Neuem.
Angehörige der Bundeswehr, denen ein Fehlverhalten oder gar eine Straftat zur Last gelegt wird, dürfen nicht vorverurteilt und sozial geächtet werden. Denn auch für Soldaten gelten Unschuldsvermutung und Menschenwürde – grundgesetzlich verbriefte Elemente von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Damit die Bundeswehr eben nicht zu einem Staat im Staate, einer abgeschlossenen Gemeinschaft in der offenen Gesellschaft wird, sind unsere Soldatinnen und Soldaten Staatsbürger in Uniform. Dank der Prinzipien der Inneren Führung ist die Bundeswehr im internationalen Vergleich ein Musterbeispiel.
Es ist durchaus kritisch zu sehen, wenn Menschen vorschnell aus der Bundeswehr entlassen werden und ihnen keine Chance eingeräumt wird, sich weiterzuentwickeln. Wo bleibt hier der pädagogische Anspruch, der gerade die Bundeswehr durch ihre politisch-historische Bildung von anderen Armeen positiv abhebt? „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“, heißt es auf Motiven der Bundeswehr-Kampagne. Ebenso heißt es: „Mach was wirklich zählt“.
Ablehnung, ja Hass hinzunehmen, verlangt Soldatinnen und Soldaten mitunter einiges ab – doch sie tun es, sie müssen es tun. Ihr Vorbild in Sachen Meinungsfreiheit kann dazu führen, dass Gegner ihre Meinung ändern. Sollte diese Maxime – Führen durch Vorbild – nicht auch in der Bundeswehr selbst wahrhaft zur Anwendung kommen? Jeder verdient eine zweite Chance. Nur die Unbelehrbaren, jene, die die Werte unseres Grundgesetzes partout nicht teilen, brauchen Grenzen. Diese Grenzen gibt es und werden auch durchgesetzt.
Viele Vorfälle, die öffentlich als Skandale wahrgenommen wurden, waren anstößiges Verhalten ohne strafrechtliche Relevanz. Gleichwohl können Verfehlungen, auch wenn sie keinen Fall für den Staatsanwalt sind, disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Der juristische Hebel ist die Pflicht zum Wohlverhalten laut Paragraf 17 Abs. 2 Soldatengesetz. Darin heißt es unter anderem: „Außer Dienst hat sich der Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.“
Anstandskontrolle auch im privaten Umfeld
Das führt in der Praxis dazu, dass es bis zu einem gewissen Grad eine – nennen wir es Anstandskontrolle auch im privaten Umfeld – gibt. Aber was heißt „ernsthaft beeinträchtigt“? Laut höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine ernsthafte Beeinträchtigung dann vor, wenn Soldaten als Repräsentanten der Bundeswehr anzusehen sind – ein bestimmter Dienstgrad ist hier keine zwingende Voraussetzung, das Tragen der Uniform kann genügen – und das Verhalten negative Rückschlüsse auf Qualität der Ausbildung, moralische Integrität, allgemeine Dienstauffassung oder generell auf die militärische Disziplin zulässt.
Das Disziplinarrecht und so auch die Wohlverhaltenspflicht beruhen auf einem Erziehungsgedanken. Ob ein bestimmtes Verhalten gegen diese Pflicht verstößt, ob also ein Disziplinarverfahren eröffnet wird, entscheidet der Disziplinarvorgesetzte. Die Entscheidung ist nicht einfach, denn anders als im Strafrecht gibt es im Disziplinarrecht keinen feststehenden Katalog mit zu bestrafenden Handlungen.
Anders ausgedrückt: Ein Diebstahl ist definiert und dafür hat der Gesetzgeber eine Strafe festgelegt, im Disziplinarrecht gibt es das in dieser Form nicht. In der Realität beurteilt der eine strenger als der andere, ebenso unterliegt der jeweilige Referenzrahmen dem gesellschaftlichen Wandel. Gerade weil unsere freie, pluralistische Gesellschaft mitunter verschiedene Wertmaßstäbe hervorbringt, braucht es Orientierung durch Vorbilder und zu einem geringeren Teil Disziplinierung.
Die Grundlage für anständiges Verhalten und treues Dienen sind Vertrauen und Fürsorge, gepaart mit Berechenbarkeit und fairem Führungsverhalten. Die Basis dazu sind ein gemeinsames Verständnis von unseren Werten und die Übereinstimmung von Auftrag und Mittel. Keiner kann von uns Leistungen erwarten, wenn man uns nicht die dafür erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellt. Des Weiteren ist eine zeitgemäße und den militärischen Aufgaben angepasste Fehlerkultur wichtig und nicht die Schuldkultur.
„Verantwortlich sein und Verantwortung übernehmen“ wird bei uns leider zu oft mit Schuld und Strafe gleich gesetzt. Verantwortlich zu sein bedeutet jedoch zuerst, entscheidungsbefugt zu sein und Antwort geben zu können, sollte die Entscheidung falsch gewesen sein. Dann gilt es Ursachen zu ermitteln, Fehler abzustellen, nach vorne zu schauen und den Auftrag zu erfüllen. Dies alles gelingt nur mit der entsprechenden Kommunikation und dem nötigen Vertrauen und erfordert als Grundlage die Bestätigung der Gutwilligen, die Förderung von Leistungswilligen, den Ansporn Gleichgültiger und die Pflichtenerinnerung an die Unwilligen.
Eine Fehlerkultur muss gelebt werden – es genügt nicht, sie nur zu fordern. In vielen Bereichen der Bundeswehr wird das Instrument der Fehlerkultur als Führungsmittel auch seit Jahren mit Erfolg angewendet, beispielsweise mit dem Erlass erzieherischer Maßnahmen, den Vertrauenspersonen und den Personalvertretungen.
Ausbildungsmängel sind nicht der wahre Grund
All unsere Führungsmittel dienen nicht der Bestrafung oder gar Vergeltung, sondern ausschließlich der Erziehung. Ziel ist es, das Verhalten positiv zu beeinflussen und gegebenenfalls zu ändern. Erziehung kommt bei der Bundeswehr sowohl bei guten als auch bei schlechten Leistungen zum Tragen. Bei letzteren ist jedoch immer zu prüfen, ob es sich um einen Ausbildungs- oder einen Erziehungsmangel handelt. Die im Frühjahr medial bekannt gewordenen Vorgänge in Teilen der Bundeswehr auf Ausbildungsmängel zurückzuführen, ist zu kurz gegriffen. Nachweisliches Fehlverhalten dort lag nicht an fehlendem theoretischem Wissen, sondern an fehlendem Unrechtsbewusstsein und in wenigen Fällen sogar am Vorsatz, gegen unsere Werte und Normen zu verstoßen.
Die Innere Führung lebt neben der guten Führung aber eben auch von einer entsprechenden Haltung der Staatsbürger. Diejenigen, die nicht zur Übernahme von Verantwortung fähig oder bereit sind und die den Ansprüchen eines Staatsbürgers in Uniform voraussichtlich dauerhaft nicht gerecht werden können oder wollen, also diejenigen, die tatsächlich ein Haltungsproblem haben, werden auch mit den entsprechenden zur Verfügung gestellten Möglichkeiten des Gesetzgebers konfrontiert.
Zentraler Bestandteil der Inneren Führung ist die Beteiligung der Staatsbürger in Uniform sowie das Einbinden der Erfahrung und des Wissens unserer Menschen in der Bundeswehr. Leider werden die vorhandenen Instrumente einer angemessenen Beteiligung der vorgesehenen Personen und Gremien oft nur als Hindernis betrachtet und bei Prozessen der Neuausrichtung und medienwirksamen Vorgängen nur minimal einbezogen. Dies zu verändern wäre ein wichtiger Schritt. Die Beteiligung von Soldaten an Entscheidungen ihrer Vorgesetzten entspricht den Anforderungen an eine offene und moderne rechtsstaatliche Gesellschaft. Wer dies vorlebt, auch aus dem Ministerium heraus, braucht sich um eine wirksame Fehlerkultur keine Sorgen machen.
Menschen führen zu dürfen, Menschen bei ihrer Entwicklung zu unterstützen, Kameradschaft zu erfahren und dies alles in einem Beruf mit unglaublicher Vielfalt zu erleben, ist ein Geschenk. Die guten Leistungsergebnisse der Bundeswehr zeigen auf, dass trotz Mangel an Ressourcen und Personal sehr gut geführt wird. Die Bundeswehr verfügt über ein Portfolio von Instrumenten, um Defizite in der Haltung zu korrigieren und dort zu reagieren, wo am Ende festgestellt wird, dass eine Übereinkunft mit dem Verständnis unserer Inneren Führung nicht erreicht werden kann. Dann muss auch eine klare Trennung vollzogen werden, denn nur so ist die Bundeswehr glaubwürdig und Vertrauen möglich.
Fest steht, dass der ganz überwiegende Teil der Bundeswehr dieses Vertrauen auch verdient hat. Die Angehörigen der Bundeswehr sind ihrem Dienstgeber und ihrem Auftrag gegenüber treu und loyal und haben somit Anspruch auf Fürsorge. Angesichts des Umstandes, dass die Grundlagen der zur Verfügung stehenden Ressourcen an Zeit, Material und Personal und die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung für die Bundeswehr durch das Bundesministerium der Verteidigung in Übereinstimmung mit dem Auftrag festgelegt wird, liegt dort die Verantwortung in Fürsorge. Ressourcen und Aufträge müssen dringend in Einklang gebracht werden.