Von der Aktualität eingeholt
Teil zwei des Sicherheitspolitischen Forums: Ein weltweiter Hackerangriff bestimmt die Schlagzeilen, als in Montabaur über Cybergefahren diskutiert wird.
Montabaur.Wie aktuell und realitätsnah die Themenauswahl beim Sicherheitspolitischen Forum des DBwV in Montabaur mit rund 400 Gästen war, wurde zum Auftakt des zweiten Tags der Veranstaltung klar: Die Nachrichten vermeldeten am Morgen einen groß angelegten Hackerangriff, der weltweit mehr als 100 Staaten traf. So war das richtige Futter für ein Diskussionspanel vorgegeben, das den Cyberraum als Schlachtfeld der Zukunft zum Thema hatte.
Zunächst ergriff aber der Gastgeber, Oberstleutnant André Wüstner, das Wort. Der Bundesvorsitzende nutzte die Gelegenheit und kam auf das Thema vom Vortag zurück, als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu ihrem umstrittenen Vorgehen in den vergangenen Wochen Stellung bezogen hatte. „Wenn Menschen Fehler machen, heißt es nicht per se, dass die Innere Führung versagt hat. Leider wird zu wenig differenziert oder es werden sogar bewusst unterschiedlichste Vorfälle in einen Gesamtzusammenhang gestellt. So kann man den Ruf der Bundeswehr auf die Schnelle in Teilen der Bevölkerung ruinieren, wie es der Deutschlandtrend aktuell zum Ausdruck bringt“, sagte Wüstner in Bezug auf von der Leyens Kritik an Führungs- und Haltungsschwäche in der Bundeswehr.
Wüstner beschrieb, wie verschiedene Sensoren in den letzten Jahren immer wieder auf einzelne Problemfelder in der Truppe hingewiesen und Alarm geschlagen hatten. Ob der DBwV, der Beirat für Fragen der Inneren Führung, der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs und viele mehr. Es erfolgte jedoch keine Reaktion. „Es muss leider immer erst etwas passieren, bis sich der Leitungsbereich eines Ministeriums mit dem angeblich weichen Thema Führungskultur beschäftigt“, sagte der DBwV-Vorsitzende.
Der Verbandschef gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der nun vorherrschende Aktionismus bald zurückgefahren und die richtigen Maßnahmen zur Behebung von Fehlern eingeleitet würden. Gelänge das nicht zügig, würde die Bundeswehr, die militärische Führung und Ministerin von der Leyen nachhaltig Schaden nehmen. „Es steht viel auf dem Spiel“, so der Verbandschef.
Anschließend gab Wüstner einen Einstieg in die ersten Diskussionsrunden des Tages: Seit 1990 habe man die Bundeswehr verkleinert und nahezu kaputt gespart. Die Trendwende kam ab 2014: Zu diesem Zeitpunkt sei der breiten Masse angesichts der Krisen im Nahen Osten und in der Ukraine klar geworden, dass sich die Lage grundlegend verändert habe. „Jetzt nimmt die Politik langsam, aber sicher wahr: Wir müssen gegensteuern und erstmalig in unserer Geschichte zwei Dinge gleichzeitig leisten können – internationales Krisen- und Konfliktmanagement, aber auch Landes- und Bündnisverteidigung“, sagte Wüstner und beschrieb die Herausforderung, vor der die Bundeswehr steht.
Größtes Problem seien neben den Lücken bei Material und Ausstattung der Wissensverlust durch die extrem fehlerbehaftete Neuausrichtung. Mit Bezug zu den Streitkräften sagte er: „Der Personalkörper steht unter enormen Druck. Die kleinste Bundeswehr aller Zeiten ist mit den größten Herausforderungen konfrontiert. Deshalb muss die angestrebte Stärkung der Bundeswehr in der nächsten Legislaturperiode weiter gewollt sowie mit gesetzlichen Maßnahmen unterlegt werden, dass der Aufwuchs entsprechend schnell gelingt."
Im Anschluss begann die erste Diskussionsrunde: Eine Runde namhafter Experten versuchte zu definieren, wie der derzeitige Umbruch der internationalen Ordnung verläuft. Carlo Massala, Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, sieht die Welt in einer Übergangsphase von einer bipolaren zu einer multipolaren Weltordnung – Massala nennt das eine „Weltunordnung“. „Akteure wie China, Russland und der Westen haben keine gemeinsame Vorstellung von den Grundpfeilern einer globalen Ordnung“, so Massala, der deutliche Worte für das Agieren des Westens in den vergangenen Jahren fand: „Wir haben versucht, die Welt zu verwestlichen und sind dabei grandios gescheitert.“
Unklarheit herrscht heute auch in Bezug auf die künftige Rolle der USA, einst Garant einer relativ stabilen bipolaren Weltordnung. Für Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik befinden sich die Vereinigten Staaten nicht mehr in dieser Rolle. „Amerika wird nicht mehr der brave Hegemon sein“, sagte Braml und ging noch weiter: „Ich sehe die amerikanische Demokratie auf dem Prüfstand – sie ist unterhalb der Schwelle einer funktionierenden Demokratie gerutscht.“
Marwan Abou Taam vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung ging auf die unterschiedliche Wahrnehmung der westlichen Ordnung ein. „Im Orient wird sie als Garant der Diktaturen verstanden“, sagte der Terrorismusexperte, und nannte Saudi-Arabien als Beispiel. Auch Terrororganisationen würden je nach Blickwinkel unterschiedlich wahrgenommen. So gilt die Hisbollah im Westen als Terrorgruppe, während die Organisation für Russland mittlerweile gemeinsam mit Iran und dem Assad-Regime ein Verbündeter im Syrienkonflikt ist.
Auch im fernen Osten stehen viele Zeichen auf Konfrontation: China versucht immer offensiver, seine Interessen gegenüber seinen Nachbarn und den USA durchzusetzen. Für Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist es unklar, in welche Richtung die Atommacht steuert. „China baut eine Militärbasis in Djibouti, baut Flugzeugträger. Aber andererseits entsendet China als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen aktuell die meisten Truppen in UN-Einsätze.“
Ruhiger scheint die Welt also auch in Zukunft nicht zu werden. Welche Rolle Deutschland darin spielen soll, war die Frage an die Teilnehmer der zweiten Diskussionsrunde: Die Bundestagsabgeordneten Gabi Weber (SPD), Andreas Nick (CDU) und Tobias Lindner (Bündnis90/Die Grünen). Einige Anhaltspunkte liefert das im vergangenen Jahr vorgestellte Weißbuch. Lindner gab allerdings zu bedenken: „Ich habe eine parlamentarische Debatte darüber vermisst, was eigentlich unsere Interessen sind, nachdem das Weißbuch veröffentlicht wurde.“
Für die Parlamentarierin Weber ist es wichtig, dass Deutschland Teil eines stabilen Bündnisses und Teil der EU-Sicherheitspolitik ist. „Zwei Dinge dürfen wir nie aus dem Blick verlieren: Die UN-Charta für Menschenrechte und das, was in unserem Grundgesetz steht“, sagte die Sozialdemokratin. Der Unionspolitiker Nick betonte die Wichtigkeit des ungehinderten Zugangs zu Handelswegen und Rohstoffen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. „In dieser Hinsicht haben wir bereits mit unseren Marineeinsätzen im Mittelmeer und am Horn von Afrika einen nennenswerten Beitrag geleistet“, sagte Nick.
In der letzten Diskussionsrunde wurde schließlich der Cyberraum thematisiert. Ein Schlachtfeld der Zukunft? So lautete zumindest die Fragestellung des Panels, und die Nachrichten des Tages vom großangelegten Hackerangriff schienen direkt eine Antwort auf diese Frage zu liefern. „Mit der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft muss auch ein entsprechendes Sicherheitskonzept einhergehen“, forderte Tim H. Stuchtey vom Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit, „wir sind an vielen Stellen noch sehr verwundbar“. Stuchtey begrüßte es, dass die Streitkräfte nun mit dem neu geschaffenen Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR) digitalen Bedrohungen entgegenwirken. „Die Bundeswehr ist ein wichtiger Wurf, aber auch nur ein Teil der Gesamtstrategie Cyber“, so Stuchtey.
Zweiter Gast des Panels war Brigadegeneral Michael Färber, Unterabteilungsleiter Cyber/Informationstechnik I BMVg. „Einen richtig schwerwiegenden Angriff hatten wir noch nicht, aber das Szenario kann man sich leicht vorstellen: Nach einem großen Angriff auf das Stromnetz würde es sicher Tage dauern, alles wieder hochzufahren“, sagte Färber. Würde ein solcher Angriff auch noch mit weiteren Attacken kombiniert, etwa auf die Bahn, wäre das Land lahmgelegt, so der Brigadegeneral.
Ein sicherlich düsteres Bild zum Abschluss des Sicherheitspolitischen Forum in Montabaur, doch konnten sich die zahlreichen Teilnehmer mit dem guten Gefühl auf den Heimweg begeben, von ausgewiesenen Experten mit einer Fülle von guten Informationen versorgt worden zu sein. Für den DBwV und seine Stiftung war die Veranstaltung erneut ein voller Erfolg, sei es der gewollte Dialog zwischen Politik, Bundeswehr und Gesellschaft oder die Aufnahme des nüchternen Blicks der Wissenschaft auf die Internationale Ordnung oder der Rolle sowie des Agierens Deutschlands. Einziger Wermutstropfen, der insbesondere bei den Schülerinnen und Schülern des örtlichen Gymnasiums vorhanden blieb: Ministerin von der Leyen nahm sich entgegen vorab erfolgter Zusage keine Zeit für die Beantwortung von Fragen. Um es mit den Worten eines Schülers auszudrücken: „Das war enttäuschend, aber der Rest war gut.“