Wüstner schließt vorzeitiges Ende des Patriot-Einsatzes nicht aus
Mehr als 30 Monate dauert der Einsatz "Active Fence" der Bundeswehr in der Türkei schon an. Unter der Führung der Nato haben die rund 260 Soldaten den Auftrag, die Bürger der Stadt Kahramanmaras nahe der syrischen Grenze mit dem Raketenabwehrsystem "Patriot" vor Angriffen aus der Luft zu schützen. Das Mandat ist derzeit bis zum 31. Januar 2016 befristet. Doch in Berlin schwindet der Rückhalt für den Einsatz. In den Fraktionen des Bundestages wird immer häufiger die Frage gestellt, ob die "Patriot"-Batterien angesichts der neuen Lage weiter in der Türkei bleiben sollen. Dies hat mehrere Gründe.
Das türkische Militär hat im Zuge der Luftschläge gegen Stellungen des Islamischen Staates (IS) auch Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK angegriffen. Dies ist für Deutschland und die Nato nicht ganz unproblematisch. Denn die Kurden kämpfen ebenfalls gegen den IS in Syrien und im Irak. Dafür werden sie von der Bundeswehr vor Ort ausgebildet und mit Waffen und Gerät unterstützt. Parallel hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Friedensprozess auf politischer Ebene mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK beendet. Ausgangspunkt der veränderten Politik in Ankara war der Selbstmordanschlag von Suruc. Am 20. Juli sprengte sich ein Selbstmordattentäter 10 Kilometer vor der syrischen Grenze in einer Menschenmenge in die Luft. Die Explosion tötete 31 Menschen. Mehr als 100 wurden verletzt. Die meisten Opfer waren Jugendliche, die sich darauf vorbereiteten, beim Wiederaufbau der syrischen Stadt Kobane zu helfen. Die Regierung in Ankara macht den IS für den Anschlag verantwortlich.
Der Deutsche BundeswehrVerband schließt unter dieser veränderten Lage ein vorzeitiges Ende des Einsatzes nicht aus. Für den Bundesvorsitzenden Oberstleutnant André Wüstner „darf dies kein Tabu sein und muss im Parlament diskutiert werden". Der Auftrag der Bundeswehrsoldaten, die türkische Bevölkerung vor Angriffen aus der Luft zu schützen, bleibt jedoch nach wie vor bestehen. „Das ist eine wichtige Verpflichtung gerade für Deutschland, das in dieser Legislaturperiode wieder mehr Verlässlichkeit in der Nato unter Beweis stellen möchte“, so Wüstner.
Unabhängig von den derzeitigen Ereignissen empfiehlt der DBwV die Rotation mit anderen Nato-Partnern, da die "Patriot"-Verbände durch den Dauereinsatz nahe an der Belastungsgrenze ständen. „Die mangelhafte Durchhaltefähigkeit der deutschen Flugabwehrkräfte darf nicht aus den Augen verloren werden: Eine Rotation innerhalb der Nato ist dringend anzuraten. Dadurch hätten die deutschen Verbände endlich Gelegenheit zur Regeneration“, bekräftigt Wüstner.
Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, sieht Grenzen für die Belastungsfähigkeit der Soldaten. „Je länger der Einsatz läuft, desto schwieriger wird es. Vielleicht ist die Flugabwehr im Zuge der Bundeswehrreform doch zu klein geworden“, sagte der Politiker der Nordwest-Zeitung. „Es muss aufgestockt werden, da die Durchhaltefähigkeit kaum noch gewährleistet ist.“
Seiner Meinung nach ist dies insbesondere deshalb wichtig, weil die Luftabwehr eine der wenigen Spezialfähigkeiten sei, die Deutschland ins Nato-Bündnis einbringen könne. Daher dürfe „das nicht zur Restgröße werden“, sagte Bartels. Darüber hinaus sehe er die Sicherheit der Kameraden vor allem außerhalb der Kaserne bedroht. „Spätestens mit dem jüngsten Anschlag in Suruc ist klar, dass die Terrorgefahr in der Türkei größer geworden ist“, so der Politiker.
Das Bundesministerium der Verteidigung ist deutlich zurückhaltender. Im Bendlerblock ist man zur Zeit noch der Auffassung, dass sich an dem Einsatz dadurch nichts ändert. „Wir haben bislang überhaupt keine Auswirkungen auf unsere Einsätze", sagte ein Sprecher. „Der Auftrag läuft bisher planmäßig."