Bundeskanzler Olaf scholz auf dem Weg zu seiner Regierungserklärung im Bundestag. Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Markus Schreiber

Bundeskanzler Olaf scholz auf dem Weg zu seiner Regierungserklärung im Bundestag. Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Markus Schreiber

15.11.2024
Yann Bombeke

Plötzlich im Wahlkampf

Das Herbstwetter ist zurzeit vergleichsweise ruhig in Deutschland. Heftig indes sind die politischen Stürme, die seit einigen Tagen über die Hauptstadt hinwegziehen. Nach dem Ampel-Aus gibt es in einigen Dingen immerhin nun Klarheit. Reichlich Fragezeichen gibt es dennoch.

Berlin. Man traut sich in diesen Zeiten kaum noch, aufs Telefon zu schauen, wenn die nächste Eilmeldung erscheint. Was mag da als Nächstes kommen? Dieser Monat November hat es jedenfalls gewaltig in sich. Am Mittwochabend vergangener Woche ist man vielerorts noch damit beschäftigt, die Meldung von der erneuten Wahl Donald Trumps als US-Präsident zu verdauen, als diese Schlagzeile über die Ticker läuft: „Bundeskanzler Scholz entlässt Finanzminister Lindner“. Ein kurzer Satz, der sofort klarmacht: Das war es mit der Ampel-Regierung. Schluss, aus, vorbei. Die Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist geplatzt.

Gegenseitigen Schuldzuweisungen folgt ein eher bizarres Gezerre um einen neuen Wahltermin zu Beginn des neuen Jahres. Doch dazu später mehr. Der Wahlkampf ist jedenfalls bereits im vollen Gange. Das wird auch in der Bundestagsdebatte am Mittwoch deutlich, die auf die Regierungserklärung von Olaf Scholz folgt. Der gibt sich zunächst ganz staatsmännisch: Öffentlicher Streit dürfe nie wieder die Arbeit der Regierung überlagern, sagt er. „Natürlich funktioniert das nicht mit der Faust auf den Tisch“, verteidigt er seinen Regierungsstil. Er ruft alle Demokratinnen und Demokraten dazu auf, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Dies sei die zentrale Frage bei der anstehenden Neuwahl. „Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen jeder gegen jeden kommt“, sagt der Sozialdemokrat.

Er spricht sich für mehr Investitionen in Sicherheit aus. Das dürfe aber niemals zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege gehen. Ohne es direkt zu sagen, fordert der Kanzler damit einen Sondertopf für Sicherheitsausgaben, sprich: ein Aussetzen der Schuldenbremse. Dies ist der wunde Punkt, der letztendlich zum Zerwürfnis des Kanzlers mit seinem Finanzminister führte. Ein weiteres Sondervermögen will die FDP nicht mittragen. Sicherheit und Zusammenhalt – das eine sei ohne das andere nicht zu haben, so Scholz weiter. „Dieses ‚entweder oder‘ ist falsch und führt unser Land in die Irre“, sagt der Kanzler, der nur noch eine Minderheitsregierung anführt. Das „entweder oder“ sei ein Konjunkturprogramm für Populisten und Extremisten. „Das schadet und zerreißt Deutschland.“

Scholz schließt Taurus-Lieferung auch für die Zukunft aus

Dann hält ein einzelnes Waffensystem erneuten Einzug in die Debatte. CDU-Chef Friedrich Merz hatte sich im Vorfeld in einem Interview mit dem „Stern“ für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ausgesprochen und ein an Russland gerichtetes Ultimatum ins Spiel gebracht. Bundeskanzler Scholz macht im Bundestag klar, dass dies mit ihm nach wie vor nicht zu machen sei. Weder jetzt noch in der Zukunft. Deutschland tue in Europa am meisten für die Ukraine, betont Scholz, müsse in dieser Rolle aber auch eine Eskalation verhindern. Es sei alles zu unternehmen, damit „wir nicht Kriegspartei werden“. Vor allem von den Rängen der FDP-Abgeordneten sind laute „Taurus“-Rufe zu hören, während der Kanzler spricht.

Scholz lässt sich nicht beirren: „Und deshalb wiederhole ich meine Haltung in dieser Frage: Ich bin dagegen, dass mit von uns gelieferten Waffen weit in russisches Territorium hineingeschossen werden kann.“ Er werde seine Meinung diesbezüglich nicht ändern. Der SPD-Politiker versichert zugleich, es dürfe in der weiteren Entwicklung „keine Beschlüsse über die Ukraine hinweggeben“. „Sie kann sich auf unser Land und unsere Solidarität verlassen.“ Bei der kommenden Bundestagswahl werde auch die Frage zu entscheiden sein, wie Deutschland die Unterstützung der Ukraine auch in der Zukunft absichern werde. Scholz sagt: „Ich bin froh, dass ich Verantwortung haben durfte in dieser schwierigen Zeit, weil ich sicher bin, dass es dazu beigetragen hat, dass wir besonnen und vernünftig in einer gefährlichen Lage gehandelt haben.“

CDU-Chef Friedrich Merz wirft dem Kanzler hingegen vor, das Land zu spalten. „Sie sind derjenige, der für diese Kontroversen und für diese Spaltung in Deutschland verantwortlich ist. So kann man ein Land einfach nicht regieren“, sagt der Unionspolitiker. Der geschasste Finanzminister spart ebenfalls nicht mit Vorwürfen. Christian Lindner wirft dem Kanzler vor, mit der Forderung nach Aussetzen der Schuldenbremse den Koalitionsbruch provoziert zu haben. Und: „Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung.“ Damit steht Deutschland unerwartet früh plötzlich im Wahlkampf.

Wie geht es weiter?

Dass viele bereits angestoßene gesetzliche Vorhaben nun nicht mehr von diesem Bundestag umgesetzt werden können, liegt auf der Hand. Und dennoch könnte das Parlament, das Zustandekommen der notwendigen Mehrheiten vorausgesetzt, noch einige Punkte durchbringen, bevor es zu Neuwahlen kommt. So hat die Union am Donnerstag erstmals im Bundestag nach dem Ende der Ampel-Koalition mit der rot-grünen Minderheitsregierung für Gesetzesvorhaben gestimmt. Das Parlament billigte am Donnerstag (14.11) mit den Stimmen der Abgeordneten von SPD, Grünen, CDU/CSU sowie auch FDP und des BSW eine Änderung der Rechtslage bei der Vererbung von Bauernhöfen. Mit ihr verknüpft in einem sogenannten Omnibus-Gesetz war auch eine Verlängerung der Telekommunikationsüberwachung bei Wohnungseinbruchsdelikten.

Außerdem hat die Unionsfraktion durchblicken lassen, weitere rot-grüne Projekte nach der Vertrauensfrage zu unterstützen. So soll das Bundesverfassungsgericht durch eine Grundgesetzänderung besser gegen politische Einflussnahme geschützt werden. Fraktionsgeschäftsführer Patrick Schnieder (CDU) erwähnt im Bundestag zudem erweiterte Ermittlungsbefugnisse bei der Verfolgung von Einbrecherbanden. Ferner nennt er eine Änderung des Abgeordnetengesetzes, die den Rechtsrahmen für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen erweitern soll. Und dann gibt es noch einige Mandate für Auslandseinsätze, die verlängert werden sollen und ein Finanzierungsgesetz für das Deutschlandticket. 
Kanzler Scholz appelliert an die Union, weitere Gesetzesvorhaben zu unterstützen. Er bezieht sich auf Entlastungen bei der sogenannten kalten Progression bei der Einkommenssteuer, die zum 1. Januar 2025 gelten soll. Auch eine Kindergelderhöhung möchte der Kanzler noch Anfang 2025 durchsetzen. Nötig sei zudem, schnell möglichst viel von der vorgesehenen Regierungsinitiative für mehr Wachstum zu beschließen.
Lindner forderte von den ehemaligen Koalitionspartnern, die Vorbehalte gegenüber Entlastungen der arbeitenden Mitte aufzugeben. Er sieht die noch offenen Projekte und Gesetzgebungsvorhaben als Herausforderung und als Chance zugleich: „Insofern hat die Regierung die Herausforderung, sollte sie Vorhaben noch einbringen, dafür eine Mehrheit zu organisieren. Umgekehrt kann auch aus der Mitte des Parlaments ein politischer Wille beschrieben werden.“

Die Fristen

Die Bürgerinnen und Bürger dürfte nun ein kurzer, aber intensiver Wahlkampf über den Jahreswechsel erwarten. Immerhin steht nun nach tagelangen Streitigkeiten fest, wann die Neuwahl stattfinden soll: Der Urnengang ist für den 23. Februar angesetzt. Über die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olf Scholz soll der Bundestag am 16. Dezember entscheiden, den Antrag dazu wird der Bundeskanzler am 11. Dezember schriftlich stellen. Damit liegt man im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Fristen. Bekommt Scholz, wie zu erwarten, keine Mehrheit, hat der Bundespräsident 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen. Danach müssen die Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden. Der 23. Februar liegt in dieser Frist.

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