Deutsche und litauische Soldaten üben gemeinsam beim Manöver "Engineer Thunder" auf dem Truppenübungsplatz Paprade in Litauen Foto: Bundeswehr

Deutsche und litauische Soldaten üben gemeinsam beim Manöver "Engineer Thunder" auf dem Truppenübungsplatz Paprade in Litauen Foto: Bundeswehr

13.11.2017
ok/mkl

Nato und Pesco: Vom „Bonsai-Wald“ zur Verteidigungsunion?

Berlin. Für die Streitkräfte Europas gibt es den wenig schmeichelhaften Namen „Bonsai-Armeen“. Die Streitkräfte sind zwar breit aufgestellt, halten die einzelnen Fähigkeiten aber nur in geringem Umfang vor, worunter logischerweise Einsatz- und Durchhaltefähigkeit leiden. Auch zusammengelegt ist Europas Verteidigung damit sehr ineffizient. Oberst i.G. Frietzsche, Referatsleiter Pol I 4 im BMVg und damit zuständig für Angelegenheiten der EU und deren „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP), brachte es unlängst auf bmvg.de auf den Punkt: „Die Europäer geben gemessen an den USA ein Drittel für Verteidigung aus. Allerdings haben wir nur 10 bis 15 Prozent der amerikanischen Fähigkeiten.“

Das soll sich aber in naher Zukunft ändern. Deutschland und 22 andere EU-Staaten haben sich zu einer weitgehenden militärischen Zusammenarbeit verpflichtet. Bei einer feierlichen Zeremonie in Brüssel unterschrieben Außen- und Verteidigungsminister der Länder ein Dokument, das den Grundstein für eine europäische Verteidigungsunion legt. Sie soll die EU unabhängiger von den USA machen und zu einer engen Kooperation bei Rüstungsprojekten führen.

„Es war für uns wichtig - gerade nach der Wahl des amerikanischen Präsidenten - uns eigenständig aufzustellen“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). „Wenn es eine Krise gibt in unserer Nachbarschaft, müssen wir handlungsfähig sein.“

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach von einem „Meilenstein der europäischen Entwicklung“. Die geplante Zusammenarbeit sei ein „großer Schritt in Richtung Selbstständigkeit und Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU“.

„Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ) heißt das Vorhaben, das eher unter seinem englischen Namen Pesco („Permanent Structured Cooperation“) bekannt ist und von Deutschland und Frankreich angestoßen wurde. Dass das inzwischen möglich ist, ist auch dem Brexit zu „verdanken“. Die Briten gelten als schärfste Kritiker von militärischen Doppelstrukturen und stellten sich gegen eine rein europäische Militärkooperation außerhalb der Nato. Allerdings ist es nicht den Briten anzulasten, dass die Mitgliedstaaten über Jahre ihre Armeen kaputtgespart haben.

Mehr Teilnehmer als zuvor angenommen


Was ist nun unter SSZ oder Pesco zu verstehen? Laut europäischem Recht können EU-Mitgliedsstaaten zum Zweck der Kooperation und Integration ihrer Streitkräfte sowie für gemeinsame Rüstungsprogramme zusammenarbeiten. Rein formaljuristisch sind die Anforderungen gering, die Staaten müssen an der Europäischen Verteidigungsagentur mitwirken und 5000 Soldaten innerhalb von fünf bis 30 Tagen für einen bis drei Monate bereitstellen können (EU-Battelgroup-Konzept).  

Deutschland wurde von Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Gabriel, die beide nur noch kommissarisch ihr Amt ausführen, vertreten. Dänemark, Großbritannien, Irland, Polen und Portugal beteiligen sich nicht, dafür aber das neutrale Österreich. Mit rund 20 Teilnehmern war schon vorab gerechnet worden, auch weil zu ambitionierte Vorgaben vermieden wurden – auf Bestreben des Deutschlands. Das SPD-geführte Außenministerium lehnte ein Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato in diesem Zusammenhang ab. Das dürfte die Zustimmung der Grünen finden. Bei den Jamaika-Sondierungen war die Erhöhung des Verteidigungshaushalts einer der Knackpunkte. Stattdessen ist nur noch von der Pflicht zur jährlichen, realen Erhöhung der Budgets die Rede. Wie hoch die Steigerung ausfallen soll, ist nicht definiert.

Warum die Sicherheitspolitik der EU bislang so ineffektiv ist, hat die ETH Zürich im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz 2016 anschaulich herausgearbeitet. Europas Armeen haben zu viele  verschiedene Waffensysteme der gleichen Kategorie: 17 Kampfpanzertypen, 27 Haubitzensysteme (152/155mm), 20 Kampfflugzeuge, 12 Anti-Schiffs- und 13-Luft-Luft-Raktetentypen, 29 Zerstörer- und Fregattenvarianten, 20 Torpedomodelle, 11 konventionelle und fünf nuklearbetriebene U-Boot-Klassen.

Die USA hingegen haben wiederum beispielsweise nur ihren M1 Abrams. Diese Problembeschreibung ist wahrlich nicht neu und eine Lösung überfällig. Die USA forderten seit Jahren erfolglos einen stärkeren europäischen Nato-Beitrag. Im Zuge der Ukraine-Krise stieg die Bereitschaft in Europas Hauptstädten, mehr in Verteidigung auszugeben. Aber erst der Vertrauensverlust in amerikanische Garantien im Zuge des Amtsantritts von Donald Trump führte dazu, dass in Brüssel institutionelle Schritte erwogen wurden.

Wie geht es weiter mit Pesco? Bis Dezember sollen konkrete Projekte vereinbart werden. Dem Vernehmen nach ist ein europäischer Verteidigungsfond – ausgestattet mit fünf Milliarden Euro – angedacht, der beispielsweise zur Entwicklung einer europäischen Drohne genutzt werden könnte. Das BMVg wirbt für seine Idee eines medizinischen Koordinierungszentrums mit gleicher Ausbildung und Ausstattung. Eine Verteidigungsunion ist also weiterhin außer Sichtweite.

Auch die Nato will Strukturen in Europa ändern


Allerdings hat auch die Nato damit begonnen, die Strukturen in Europa zu verbessern. Konkret geht es um einen Ausbau der Kommandostruktur, den die Nato-Verteidigungsminister bereits Anfang November in Brüssel beschlossen haben. Zwei neue Kommandostäbe sollen sicherstellen, dass Truppenverlegungen innerhalb der EU schneller und vor allem auch mit weniger Bürokratie zu bewältigen sind.

Zuletzt hatte es immer wieder Berichte über stockende Truppentransporte gegeben, teils steckten Panzer wochenlang fest, weil Papiere fehlten. Auch sind gerade in den östlichen Mitgliedsländern – und um diese geht es angesichts der angenommenen latenten Bedrohung durch Russland – viele Brücken und Straßen gar nicht dafür ausgelegt, dass schweres militärisches Gerät darüber rollt.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, das Bündnis nach einem stetigen Abbau seit dem Ende des Kalten Krieges „robust, wendig und voll einsatztauglich“ zu halten. „Militärische Mobilität ist der Schlüssel zu Abschreckung und Verteidigung“, so Stoltenberg. Die Details für die Umsetzung sollen im März 2018 veröffentlicht werden, wie EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc ankündigte. „Physische, rechtliche und regulatorische Hürden behindern die schnelle Fortbewegung von militärischem Personal und Ausrüstung“, sagte Bulc. „Dies führt zu ineffizienten öffentliche Ausgaben, Verzögerungen, Störungen und vor allem zu größerer Angreifbarkeit.“

Was dabei am Ende herauskommen könnte, hat US-General Ben Hodges kürzlich einen „militärischen Schengenraum“ genannt. In einem Interview mit der „Deutschen Welle“ hatte sich der Oberkommandierende der US-Landstreitkräfte für Europa darüber geärgert, dass man bei Truppentransportern den Zollbehörden eine detaillierte Liste aller Fahrzeuge, Fahrer und der Fracht vorlegen müsse – was Wochen dauern könne. Warum, fragte sich Hodges, gibt es diese Sonderregelungen im militärischen Bereich, wo doch der Warenverkehr eigentlich frei ist? Diesem Widerspruch wollen die Verteidigungsminister jetzt also entgegentreten.

Unklar ist bislang noch, wo die neuen Kommandostäbe angesiedelt werden und wie viele Mitarbeiter dafür benötigt werden. Laut Medienberichten soll auch Deutschland für zumindest eines der Kommandos infrage kommen. Aus Sicht des DBwV darf der geplante Aufwuchs aber auf keinen Fall dazu führen, dass die ohnehin schon chronisch unterbesetzten Führungsstellen im Ministerium und den Kommandos weiter ausgedünnt werden.

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