Königsbronn: Die Suche nach dem Notausgang
Die westlichen Vergeltungsschläge mit Marschflugkörpern auf Ziele in Syrien machten das Thema noch einmal brisanter: Was tun gegen das Gefühl der Unsicherheit, das hierzulande immer mehr um sich greift? Darüber diskutierten Wissenschaftler, Politiker, Militärs und Bürger bei den 6. Königsbronner Gesprächen. Sie machten deutlich: Die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu vertrauen, dass es schon nicht so schlimm wird, sei keine Option. Innere und äußere Sicherheit und vor allem auch deren Schnittstellen müssten verbessert werden.
Die Königsbronner Gespräche werden ausgerichtet von Roderich Kieswetter, vom Bildungswerk des DBwV (Karl-Theodor-Molinari-Stiftung) und von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Nach einem Jahr der Pause waren die Erwartungen dieses Mal besonders hoch – und sie wurden nicht enttäuscht. Die Gäste aus Politik, Gesellschaft, Reservisten und auch viele Soldaten waren sich einig: Sicherheitspolitischer Diskurs auf höchstem Niveau ist auch abseits des Berliner Politikbetriebs möglich und vor allem unerlässlich!
In der malerischen Hammerschmiede in dem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb standen die Sicherheitsexperten noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse in der Nacht zuvor. Amerikanische, britische und französische Kräfte hatten präzise Schläge gegen das Chemiewaffenprogramm des syrischen Diktators Assad ausgeführt. Und es herrschte ein wenig Ratlosigkeit.
Markus Kaim von der Stiftung für Wissenschaft und Politik erinnerte an einen ähnlichen Angriff der USA ein Jahr zuvor: „Der hat keine politische oder humanitäre Verbesserung gebracht. Warum sollte es jetzt anders sein?“, fragte er. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, Mitveranstalter der Königsbronner Gespräche und Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, zeigte sich skeptisch: „Es ist ein Zeichen der Rat- und Strategielosigkeit des Westens.“ Der Parlamentarier verwies auf die Folgen des Syrienkriegs für die Menschen, auf die vielen Toten und Vertriebenen. „Wir haben keine Antwort.“
Stattdessen lasse der Westen zu, dass die Türkei ins russisch-iranische Lage abdrifte und das Assad-Regime viel stabiler sei als noch vor einigen Jahren. Auch sei es nicht zufriedenstellend, wenn die Bundeswehr noch nicht einmal in der Lage sei, an einem rechtlich legitimierten Militärschlag teilzunehmen. Denn zu einer Finanzierung, um die Bundeswehr entsprechend auszustatten, habe sich die Politik in den vergangenen Jahren nicht durchringen können.
Eine Steilvorlage, die DBwV-Chef Oberstleutnant André Wüstner gerne aufgriff. Das Siechtum der Bundeswehr sei nicht beendet, ihre Anpassung an die aktuelle Bedrohungslage erfolgte bisher viel zu zaghaft. Mit den Haushaltsverhandlungen und dem 52. Finanzplan für die kommenden Jahre wird sich in Kürze für den Bereich Verteidigung zeigen, ob es Union und SPD ernst mit den Trendwenden Material und Personal meinten. Wie instabil die Weltordnung ist, zeige aktuell nicht nur die Lage im Vorderen Orient.
Einig war sich Wüstner mit den übrigen Experten in der Einschätzung, dass der kürzlichen Angriff auf syrische Kampfstoff-Labore wohl keine unmittelbare Eskalation zur Folge habe. Die Ziele seien sorgfältig genug ausgewählt worden, es erfolgte gar die Vorabinformation Russlands. Pessimistisch zeigten sich alle, was die Befriedung der Region angehe, daran würde der Militärschlag sicher nichts ändern.
Der Bundesvorsitzende brach erneut eine Lanze für die Sensibilisierung unserer Gesellschaft, was Sicherheitsfragen angeht. „Alle müssten wieder begreifen, dass innere sowie äußere Sicherheit Kern staatlichen Handelns sind und es dafür leistungs- und einsatzfähige Sicherheitsorgane bedarf“, sagte Wüstner mit Verweis auf die aktuellen Mängel im Bereich der Sicherheitsvorsorge Deutschlands. Was im Großen fehle, lasse sich schon im Kleinen beobachten: „Bei Veranstaltungen weiß doch jeder, wo das Büfett steht oder sich die Waschräume befinden. Wenn es um die Notausgänge geht, sieht es schon anders aus.“
Übergreifend lasse sich solch eine Vernachlässigung von Sicherheitsfragen leider bis in die Politik verfolgen. So auch im Bereich Verteidigung, welche nicht nur gestärkt, sondern in Teilen künftig auch präventiv gedacht werden müsse. Für die Sicherheit im Cyber- und Informationsraum etwa gebe es keinen ausreichend bestückten Instrumentenkasten, obwohl in den vergangenen Jahren zaghafte Fortschritte festzustellen waren. Sicherlich müsse für die Abwehr von Cyber-Angriffen der rechtliche Rahmen untersucht und in Teilen auch angepasst werden.
Wie lax der Schutz der persönlichen Daten in manchen Ländern gehandhabt wird, schilderte Wolfgang Rudischhauser, Vizechef der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. In Shanghai etwa werde öffentlich ein Foto mit Name und Adresse eingeblendet, wenn jemand bei Rot über die Ampel gehe. Dass das Problem der Cybersicherheit nicht national zu lösen sei angesichts grenzüberschreitender Datenströme, bestätigte auch Kiesewetter. Dennoch fehle zudem eine nationale Sicherheitsstrategie, die ein Kapitel dazu aufweise. Um einen besseren Schutz zu erreichen, müsse man zudem über eine Flexibilisierung der Laufbahnen im öffentlichen Dienst nachdenken. Denn sonst bekomme man zu wenige qualifizierte Fachleute.
In dieser Frage ist er sich einig mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Innenminister Thomas Strobl. Der CDU-Politiker machte das am Beispiel der Strafverfolgung bei Computerkriminalität deutlich. Von 24.500 Beamten im Polizeivollzugsdienst seien nur 500 im höheren Dienst. IT-Fachleute könnten in der freien Wirtschaft jedoch ein Vielfaches dessen verdienen, was Bedienstete im Staatsdienst erhalten. Strobl schilderte am Beispiel von Ärzten, wie groß die Bedrohung durch sogenannte Hacker-Angriffe schon ist. Sie seien um eine Art Schutzgeld erpresst worden. Die Täter drohten damit, ansonsten die Patientendaten zu stehlen.
Damit war Strobl ganz nahe am diesjährigen Thema der Königsbronner Gespräche: Wie verletzbar ist unsere Gesellschaft? Dass die Risiken hoch seien, liege auch an der Sorglosigkeit vieler Bürger. „Wir schauen, ob die Kaffeemaschine aus ist und machen das Fenster zu, wenn wir aus dem Haus gehen. Aber unseren Computer schützen wir oft nur unzureichend“, sagte der Innenminister. In Baden-Württemberg unternehme die Politik deswegen einiges gegen die Gefahren für den Einzelnen. Die Polizei kläre etwa an Schulen auf. Zudem gebe es eine Art Cyberwehr, die den Menschen helfe. Aber auch in Sachen Katastrophenvorsorge leiste sein Bundesland einiges.
So habe er dafür gekämpft, die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Zivilschutz zu verbessern und das auch zu üben. „Wir haben den klassischen Bevölkerungsschutz mit modernem Krisenmanagement verbunden“, sagte Strobl.
Cybersicherheit war auch ein Thema der zweiten Gesprächsrunde. Matti Maier, Leiter der Informationstechnik bei einem großen Unternehmen, warnte ebenfalls vor den Gefahren, denen nicht nur Unternehmen und staatliche Einrichtungen, sondern auch jeder Bürger ausgesetzt sei. Doch eigentlich ging es in dieser Runde mehr um den Katastrophenschutz und die zivil-militärische Zusammenarbeit. Oberst Christian Walkling, Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, lobt die Kooperation zwischen zivilen und militärischen Stellen im Krisenfall. Was zur kritischen Infrastruktur gehöre, sei festgelegt. Früh werde die militärische Seite eingebunden.
Das übe man regelmäßig, etwa im Rahmen von Getex (Terrorabwehrübung, Anm. d.Red.). „Und dazu gehört auch die Informationsarbeit. Erst, wenn man Betroffenheit beim Bürger erzeugt, wird er aktiv.“ Die Getex-Übung hätte aber gezeigt, dass die Entscheidungsprozesse in Teilen viel zu langwierig seien.
Mathias Brodbeck beklagte, dass ehrenamtlich Tätige für Organisationen wie THW, Rotes Kreuz oder die Feuerwehr immer schwieriger zu finden seien. Noch gelinge es aber, genügend Menschen dafür zu motivieren.
Die Frage der Cybersicherheit stellte sich immer mehr als der Schwerpunkt der diesjährigen Königsbronner Gespräche heraus. Die abschließende Gesprächsrunde war allein diesem Thema vorbehalten. Sandro Gaycken, Technik-Philosoph und Cyberwar-Experte, forderte, sich endlich einmal ehrlich zu den Problemen zu bekennen. Deutschland brauche ein eigenes „Silicon Valley“, in dem das Fachwissen zusammengeführt werde. Dass Deutschland auch offensive Cyberfähigkeiten braucht, stand für Gaycken außer Zweifel.
Rasante Entwicklung im Bereich IT
Generalmajor Michael Vetter stellte noch einmal Aufgaben des neuen Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr vor, dem er als stellvertretender Inspekteur angehört. Zu diesen Aufgaben gehören etwa der Schutz der IT-Systeme der Bundeswehr, die operative Seite (Aufklärung und Wirkung), die IT- Simulation von Kampfräumen und natürlich – gemeinsam mit anderen staatlichen Organisationen – der Schutz der gesamten deutschen IT-Sicherheit. In Sachen Personal habe die Bundeswehr viel in eine eigene Ausbildung investiert, etwa an den Bundeswehruniversitäten. „Das reicht aber nicht“, sagte Vetter. Man müsse auch abweichende Modelle einführen. „Wir müssen die Chance bieten, in der Fachlaufbahn Karriere zu machen und etwa Oberst zu werden.“
Generalleutnant a.D. Kersten Lahl, Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, verwies auf die rasante Entwicklung in der Informationstechnologie. „Da muss man schauen, dass man am Ball bleibt.“ Lahl votierte dafür, auch offensive Fähigkeiten zu entwickeln, „schon, um die eigenen Abwehrfähigkeiten zu testen.“
Welche Dimension hat aber ein sogenannter Hackerangriff? Und wie soll ein Staat reagieren? Da wird es schwierig, waren sich die Gesprächspartner einig. Denn die Ermittlung der Urheberschaft eines Netzangriffs ist naturgemäß kompliziert. Es gehe aber immer darum, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Hackerangriff etwa einen Dritten Weltkrieg auslöst“, sagte Lahl.