Hatten wir schon mal: Bedingt abwehrbereit!
Berlin. Zitate wie „Abkehr von den Vorgaben der Neuausrichtung“ oder „Erheblicher Änderungsbedarf für die Bundeswehr in allen zeitlichen und inhaltlichen Facetten“ oder „Refokussierung auf die Landes-und Bündnisverteidigung“ beschreiben den zumindest im BMVg erkannten Paradigmenwechsel in den „Vorläufigen konzeptionellen Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“.
Beim Lesen des Papiers erkennt man das enorme Gap in puncto Aufträge, Aufgaben und damit Strukturen der Bundeswehr im Vergleich zur aktuellen Lage. „Wer daher heute noch von Voller Einsatzbereitschaft spricht, ist des Lesens nicht mächtig. ,Bedingt abwehrbereit´ wäre wie ein Spiegel-Titel aus dem Jahr 1962 auch heute passend“, sagt der DBwV-Bundesvorsitzende André Wüstner.
Das vom Abteilungsleiter Planung - Generalleutnant Bühler - unterzeichnete Papier „Vorläufige konzeptionelle Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr" folgt dem Weißbuch 2016 und dient als Grundlage für die bis Sommer zu erarbeitende Konzeption der Bundeswehr inklusive dem so genannten Fähigkeitsprofil der Bundeswehr.
Es enthält Vorgaben, aber auch viele Prüffragen für die militärischen Organisationsbereiche sowie im Besonderen für Spezialkräfte und das Einsatzführungskommandos. Im Weiteren soll das Planungspapier sicherstellen, dass die Konzeption der Bundeswehr international (EU/Nato) abgestimmt verläuft. Mit Bezug zu Letzterem wird explizit unterstrichen, dass die Bundeswehr der deutschen Lage und Bedeutung in Europa sowie in Nato und EU einen angemessenen, aber wesentlichen Beitrag zum Fähigkeitsdispositiv in den Bündnissen leisten soll.
Festgelegt ist, dass Deutschland gemeinsam mit Beiträgen von Frankreich und Großbritannien das Rückgrat europäischer Streitkräfte-Fähigkeiten in der Nato bilden soll! Insgesamt ist die Klarheit des Papiers nur zu loben. Sätze wie „Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung“ oder „es sind deutlich ambitioniertere Ziele zu erreichen als lange zuvor“ beschreiben die Herausforderungen, vor denen die Bundeswehr in den nächsten Jahren steht.
„Nach Landesverteidigung bis 1990 und folgend Krisen- und Konfliktmanagement wird nun die neue Dimension für die Bundeswehr beschrieben. Es geht um die Gleichzeitigkeit von Bündnisverteidigung und Krisenmanagement in einer 360° Abdeckung“, so der Bundesvorsitzende. Darüber überrascht dürften Sicherheitspolitiker allerdings nicht sein, denn im Weißbuch sind die entsprechenden Vorgaben samt Planungsleitlinien niedergeschrieben. Problematisch ist nur, dass rund 80 Prozent der Parlamentarier das Weißbuch 2016 gar nicht gelesen haben, wie es aus Regierungskreisen zu hören ist.
Aus Sicht des DBwV ist das Planungspapier folgerichtig und politisch mutig, da ehrlich. Es entspricht den politischen Vorgaben des Weißbuchs 2016 und berücksichtigt die zunehmend notwendige europäische Fähigkeitsentwicklung. Allerdings muss zwingend darauf geachtet werden, dass europäische Kooperation auch politisch abgesichert wird, sonst kommt es schnell zur einer kooperativen Handlungsunfähigkeit. „Das ist ein Risiko, dass man im Auge behalten muss“, so der Chef des BundeswehrVerbandes. „Die Zeitachse für das Erreichen der materiellen Einsatzbereitschaft ist allerdings zu langezogen. Die Modernisierung und Stärkung muss wesentlich schneller gehen“, so Wüstner.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Bundeswehr nach Vorliegen eines politischen Konzeptes in der nächsten Legislaturperiode ihr Engagement in Nordafrika, gegebenenfalls in Libyen, erhöhen soll. All das gleichzeitig bei laufenden „Rückversicherungsmaßnahmen“ der Nato, wie beispielsweise im Baltikum, oder den noch laufenden sonstigen Einsätzen oder einsatzgleichen Verpflichtungen. Das geht nur mit einer anderen Bundeswehr, die personell und materiell wieder voll einsatzbereit ist!
Die Herausforderung zum Erreichen einer Grundaufstellung für die Landes- und Bündnisverteidigung inklusive sogenannter Missionspakete für das internationale Krisenmanagement hat drei Dimensionen:
Materielle Dimension
Hier sind die gesteckten Ziele nur mit einer Veränderung des Vergabe und Haushaltsrechts realisierbar. Jahrelange und komplexe Ausschreibe- und Vergabeverfahren passen nicht mehr in die Zeit. Das betrifft nicht nur die Ausrüstung, sondern ebenso den wieder größeren Bedarf an Unterkunfts- und Ausbildungsinfrastruktur.
Personelle Dimension
Sie muss der Demografie sowie den Veränderungen am Arbeitsmarkt Rechnung tragen. Daher muss die Personalstrategie der Bundeswehr in der nächsten Legislaturperiode konsequent in die Umsetzung geführt werden. Das bedarf im Besonderen gesetzliche Maßnahmen, die Personalstruktur, Laufbahnsystematik und das Besoldungssystem im Fokus haben.
Haushaltäre Dimension
Die haushaltäre Dimension trägt den Ansprüchen der Politik an die Bundeswehr mit Blick auf Auftrag, Aufgaben, Fähigkeiten und insbesondere Level of Ambition Rechnung. In diesem Zusammenhang muss der Verteidigungshaushalt bis 2021 schnellstmöglich auf 45 Milliarden Euro anwachsen.
Insgesamt braucht es also überarbeite gesetzliche Rahmenbedingungen, die schnell in der nächsten Legislaturperiode geschaffen werden müssen. Es braucht ein gutes Team, das sich dieser komplexen Mammutaufgabe stellt. Diese Legislaturperiode war aufgrund der sicherheitspolitischen Veränderungen die der Entscheidung, die nächste wird die der schwierigen Umsetzung der viel beschriebenen Trendwenden.
Das wird ein enormer Kraftakt, der nur mit klarem POLITISCHEN WILLEN erfüllen kann. Im Kern geht es schlicht darum, ob Deutschland als mittlerweile wesentlicher Akteur unserer Sicherheitsarchitektur wieder einsatzbereite Streitkräfte haben will. Mit Blick auf unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder, müssen wir weiter daran arbeiten, dass dieses Verständnis weiter wächst. Oder wie sagte es zuletzt ein Oberstabsgefreiter im Zuge einer Landesversammlung: „Man muss schlicht diejenigen wählen, welchen man auch eine gewisse sicherheitspolitische Kompetenz – auch mit Blick auf die Bundeswehr – zuspricht.“
Mit der Kampagne des DBwV „Jetzt schreibst Du“ machen dies aktuell bereits viele Mitglieder ihren Wahlkreisabgeordneten mehr als deutlich! Es bleibt dabei, wir geben nicht auf!