Bericht zur Einsatzbereitschaft: Offenbarungseid mit Ansage
Berlin. Hiobsbotschaften ist man ja inzwischen schon gewöhnt bei der Bundeswehr, wenn es um die Einsatzbereitschaft geht. Da reichten die Meldungen zuletzt von fehlenden Leopard-2-Panzern bis hin zu mangelnden Schutzwesten und Einmannpackungen.
Doch selten ist das gesamte Desaster so offenkundig geworden wie im vierten Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr 2017, der am Mittwoch (28. Februar) dem Verteidigungsausschuss vorgestellt werden soll und der verschiedenen Medien wie auch dem DBwV vorab vorliegt.
Schnell wird auch klar, dass es wohl kein Zufall gewesen ist, dass der Bericht – zumindest nicht in voller Länge – schon wie üblich im Herbst, sondern erst jetzt mit fast einem Vierteljahr Verspätung erscheint. Denn die Zahlen haben sich im Vergleich zum Berichtsraum 2016 sogar noch spürbar verschlechtert – das zeigt die Auswertung des DBwV (siehe Tabellen weiter unten). Es ist ein Offenbarungseid mit Ansage.
Im Bericht wird das so begründet: „Die vorhandenen Systeme werden sowohl in den Einsätzen als auch in einer Vielzahl von einsatzgleichen Verpflichtungen benötigt. Damit gehen stark erhöhte Anforderungen an Ausbildung und Übungen im Grundbetrieb einher. Insbesondere die gestiegenen Verpflichtungen im Rahmen NATO Response Force und enhanced Forward Presence sind ursächlich für eine deutlich zunehmende Nutzung des Materials. Die vorgeschaltete Ausbildungs- und Übungstätigkeit führt zu einer häufigeren und intensiveren Nutzung der Waffensysteme. Zusätzlich befindet sich die Bundeswehr gegenwärtig in 13 mandatierten Auslandseinsätzen unter teilweise extremen klimatischen Bedingungen weltweit. Im Ergebnis ist eine höhere Beanspruchung nahezu aller Waffensysteme im Vergleich zu vorherigen Berichten zu beobachten. Dies wirkt sich unmittelbar auf die materielle Einsatzbereitschaft aus.“
So sieht es – auch im Vergleich zum Berichtszeitraum 2016 – bei ausgewählten Hauptwaffensystemen in den Teilstreitkräften aus:
Heer
Für das Heer werden für den Bericht insgesamt zehn Waffensysteme erfasst. Bei diesen Systemen lag die materielle Einsatzbereitschaft gemessen am Verfügungsbestand im Mittel bei 64 Prozent. Im Bericht heißt es resümierend: „Die materielle Einsatzbereitschaft der zur Auftragserfüllung benötigten Waffensysteme ist daher als ausreichend zu bewerten. Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen sind sichergestellt. Die Durchführung von Ausbildung und Übungen unterliegt einem zusätzlichen Organisationsaufwand und teilweisen Einschränkungen.“ Das klingt erst einmal gut, doch ein Blick auf die einzelnen Systeme offenbart erschreckende Details.
Boxer
Der Gesamtbestand beträgt laut Bericht 202 Waffensysteme, wovon im Betrachtungszeitraum durchschnittlich 167 Systeme zur Verfügung standen, davon waren durchschnittlich 109 Systeme einsatzbereit. Dies entspricht im Mittel einer materiellen Einsatzbereitschaft von 65 Prozent.
Fuchs
Der Gesamtbestand der Bundeswehr beläuft sich auf 907 Systeme. Davon standen durchschnittlich 684 Systeme zur Verfügung, einsatzbereit waren im Durchschnitt 525, was einer Einsatzbereitschaft von 77 Prozent entspricht.
„Der TPz FUCHS ist ein ausgereiftes System, welches ohne Einschränkungen
genutzt wird. 2017 konnten alle Einsätze, einsatzgleichen Verpflichtungen sowie Ausbildung und Übungen sichergestellt werden. Dies wird auch für 2018, unter anderem für den Beitrag VJTF, erwartet“, heißt es im Bericht.
Leopard 2
Der Gesamtbestand beläuft sich auf 244 Stück. Davon standen durchschnittlich 176 Panzer zur Verfügung; gerade einmal 105 waren einsatzbereit (60 Prozent). Das Problem dabei: Die verfügbaren Geräte sind über ganz Deutschland verteilt, deshalb müssen – wie im Fall der Panzerlehrbrigade 9 in Munster – Geräte aus anderen Verbänden abgezogen werden, wenn an einem Standort eine höhere Zahl an Panzern benötigt wird. Dies hat gravierende Folgen für die Ausbildung.
Im Bericht heißt es: „Die Beschaffung der Ersatzteile ist eingeleitet und die dafür benötigten Haushaltsmittel sind eingestellt. Die Umlaufreserven an Tauschbaugruppen befinden sich derzeit teilweise in der Industrie zur Umrüstung. Die so initiierte Verbesserung der materiellen Einsatzbereitschaft wird nicht vor Ende 2018 erwartet.“
Marder
Beim Marder sieht die Lage ein wenig besser aus: 382 Systeme listet die Bundeswehr im Gesamtbestand, 319 standen zur Verfügung – bei 212 einsatzbereiten Systemen. Das entspricht einem Mittel von 66 Prozent.
„Mit dem einsatzreifen Waffensystem SPz MARDER können bis in die 2020er Jahre die bestehenden Verpflichtungen und zukünftige Herausforderungen mit bis zu 4 einsatzbereiten PzGren-Verbänden sichergestellt werden. Dies schließt den Beitrag für eFP und VJTF 2018 ein“, so der Bericht.
NH 90
Das Fazit zum NH90 fällt vernichtend aus: „Der Einsatz MINUSMA kann mit NH90 sichergestellt werden. Die Bindung der Ressourcen im Einsatz führt zu einer Gefährdung der Durchhaltefähigkeit bei den qualifizierten Einsatzbesatzungen ab Mitte 2018. Daher ist die Rückverlegung – wie den Vereinten Nationen angezeigt – zwingend erforderlich. Zum Erhalt der Grundqualifikation von Besatzungen werden zusätzlich ab 2018 Flugstunden ziviler Anbieter angemietet.“
Der Gesamtbestand der Bundeswehr an NH90 beläuft sich derzeit auf 58 Systeme. Dem Heer standen im betrachteten Zeitraum durchschnittlich 37 Maschinen zur Verfügung, von denen durchschnittlich 13 Systeme einsatzbereit waren. Dies entspricht im Mittel einer materiellen Einsatzbereitschaft von 35 Prozent.
Tiger
Ähnlich fatal wie beim NH 90 fallen auch die Zahlen für den Tiger aus. 52 Stück führt die Bundeswehr im Gesamtbestand, durchschnittlich standen dem Heer 39 Systeme zur Verfügung. Nur 12 davon waren einsatzbereit, das entspricht einer Quote von gerade einmal 31 Prozent. Hinzu kommt die Unsicherheit nach dem bis heute nicht aufgeklärten Absturz im vergangenen Jahr in Mali.
Auch hier lautet das Fazit: „Die Bindung der Ressourcen im Einsatz führt zu einer Gefährdung der Durchhaltefähigkeit bei den qualifizierten Einsatzbesatzungen ab Mitte 2018. Daher ist die Rückverlegung – wie den Vereinten Nationen angezeigt – zwingend erforderlich. Zum Erhalt der Grundqualifikation von Besatzungen werden zusätzlich ab 2018 Flugstunden ziviler Anbieter angemietet.“
Marine
Ähnlich schlimm sieht es bei der Marine aus. „Die materielle Situation der Marine ist gekennzeichnet durch die Herausforderung, die Gleichzeitigkeit von Modernisierungen, das Ausphasen von Altsystemen und die Vorbereitung des Zulaufs neuer Systeme zu realisieren“, heißt es im Bericht, und weiter: „Defizite in der Herstellung und im Erhalt der Versorgungsreife, der Verfügbarkeit von Ersatzteilen sowie verdeckte Schäden haben auch in 2017 dazu geführt, dass Instandhaltungen unplanmäßig verlängert werden mussten.“
Auch für die nähere Zukunft ist kaum Besserung in Sicht: So musste das erste Schiff der neuen F-125-Klasse noch vor Indienststellung an die Werft zurückgegeben werden, weil bei Probefahrten erhebliche Mängel festgestellt wurden.
Fregatten
Besser sieht es bei den Fregatten im Bestand aus. Die Bundeswehr hat derzeit 13 Fregatten im Gesamtbestand. Darin enthalten sind vier Fregatten Klasse F122, die bereits außer Dienst gestellt wurden. Durchschnittlich standen sechs Einheiten zur Verfügung, fünf waren einsatzbereit. Das sind im Mittel 83 Prozent.
U-Boote
Über die U-Boote ist hinlänglich berichtet worden. Seit Ende des Jahres steht kein einziges der sechs Systeme zur Verfügung. Erst im Frühjahr sollen Testfahrten darüber entscheiden, ob das erste Exemplar wieder eingesetzt werden kann.
Im Bericht, der ja einen Zeitraum von einem Jahr abdeckt, liest sich das dann schon ein bisschen anders. Der Marine standen demnach im Jahresmittel 2017 zwei Systeme zur Verfügung, davon war durchschnittlich ein U-Boot einsatzbereit. Dieser nur durch die Statistik geschönte Totalausfall hat weitreichende Folgen: „Durch die zeitweise Nicht-Verfügbarkeit der U-Boote konnten die Ausbildung und Zertifizierung des Personals nicht vollständig sichergestellt werden; dies gilt es schnellstmöglich nachzuholen“, heißt es im Bericht.
Luftwaffe
Die Luftwaffe stellt 15 der untersuchten Waffensysteme. Zwar bescheinigt der Bericht einzelnen Systemen eine sehr solide Einsatzbereitschaft, doch insgesamt ergeben sich erhebliche Probleme. Denn durch die teils geringe Verfügbarkeit der Maschinen ergeben sich Staus in Aus- und Weiterbildung.
„Für einige Waffensysteme konnte nur das niedrige Niveau des Vorjahrs stabilisiert werden, für die Waffensysteme Tornado und Eurofighter ist sogar ein leicht negativer Trend zu verzeichnen“, heißt es im Bericht. Die eingeschränkte Kontinuität in der Ausbildung habe bereits zu einem Verlust fliegerischer Fähigkeiten geführt, langfristig werde sich das auch auf die Einsatzgestellungen auswirken. Auf diese Entwicklung hat auch der DBwV frühzeitig, laut und deutlich hingewiesen!
A400M
„Unter den Erwartungen“ nennt selbst der Bericht des Ministeriums die Zahlen zum neuen Transportflugzeug, das sich noch im Zulauf befindet. Der Gesamtbestand der Bundeswehr an A400M wuchs in 2017 auf 15 Maschinen an. Im Schnitt standen davon acht Maschinen zur Verfügung, nur drei waren im Schnitt einsatzbereit, das entspricht im Mittel einer materiellen Einsatzbereitschaft von ca. 38 Prozent.
„Die geringe und deutlich unter den Erwartungen liegende materielle Einsatzbereitschaft resultierte im Kern aus aufwändigen, nicht planbaren Instandhaltungsmaßnahmen, die auch durch Qualitätsmängel verursacht waren“, so das Ministerium.
Tornado
Der Gesamtbestand an Tornado lag bei 93 Stück. 63 Exemplare standen zur Verfügung, wovon im Schnitt 26 Maschinen einsatzbereit waren (41 Prozent).
„Der geringe Grad an Einsatzbereitschaft erlaubte die sichere Gestellung der Einsatzverpflichtungen, wirkte sich aber negativ auf die Waffensystemausbildung junger Luftfahrzeugbesatzungen, die Aus- und Weiterbildung der Einsatzbesatzungen und den Fähigkeitserhalt für in aktuellen Einsätzen nicht abgeforderten Einsatzrollen der Besatzungen aus“, heißt es im Bericht.
CH-53
Düster sieht es auch bei der CH-53 aus, die von 1972 bis 1975 in die Bundeswehr eingeführt wurde. Nur 40 Prozent des Gesamtbestandes von 72 Hubschraubern waren einsatzbereit, das sind gerade einmal 16 Maschinen.
Das wirkt sich zunehmend auf die Ausbildung des fliegenden Personals aus: „Der Einsatz in Afghanistan war nur noch durch eine konsequente Priorisierung auf die Einsatzausbildung möglich, was eine zunehmende Erosion der Fähigkeiten des fliegenden Personals mit sich brachte.“
Eurofighter
Der Gesamtbestand Bundeswehr an Eurofighter wuchs im Betrachtungszeitraum auf 128 an. Davon standen der Luftwaffe im Schnitt 81 Stück zur Verfügung, 39 waren einsatzbereit – das nennt auch das Ministerium „unbefriedigend“. Und begründet auch gleich, warum es zeitnah nicht besser wird: „Eingeleitete Beschaffungsmaßnahmen können wegen langer Lieferzeiten erst mittelfristig wirken. Die geringe materielle Einsatzbereitschaft wirkte sich jedoch zunehmend auf die Einsatzbereitschaft des fliegenden Personals aus. Der zusätzliche Ausbildungsbedarf durch die seit Anfang 2018 verfügbare Mehrrollenfähigkeit des Eurofighter ist mit Blick auf die zusätzlichen NRF-Verpflichtungen in 2019 nur teilweise gedeckt.“