Der Sport als Medizin
Ab dem heutigen Samstag, 16. April, treffen sich bei den Invictus Games in Den Haag Soldaten mit Handicaps aus aller Welt zum sportlichen Wettkampf. Bis Freitag, 22. April, geht’s nicht (nur) ums Siegen: Im Mittelpunkt stehen Rehabilitation und Lebensfreude.
Bei den Invictus Games in Den Haag werden viele Bundeswehrangehörige ganz genau hinschauen. Denn in knapp anderthalb Jahren, im September 2023, werden die Spiele, auf denen sich einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten aus mittlerweile 20 Ländern in diversen Sportarten messen, zum ersten Mal in Deutschland ausgerichtet. „Die Invictus Games sind eine riesige Chance für Deutschland“, sagt der zweite stellvertretende Bundesvorsitzende des DBwV, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert. Bohnert wird die Spiele in Den Haag besuchen, um sich vor Ort mit den Sportlern und Veranstaltern auszutauschen – und Anregungen für die Invictus Games 23 in Düsseldorf mitzunehmen. „Wir haben die einmalige Möglichkeit, die Bundeswehr und die Leistung unserer Soldaten und Veteranen sichtbar zu machen – und dies in den Köpfen der Menschen zu verankern“, so Bohnert. „Der DBwV steht bereit, um die Organisatoren kräftig zu unterstützen.“
Hier liegt noch viel Arbeit vor allen Beteiligten: In Deutschland sind die Invictus Games selbst in der Truppe noch relativ unbekannt. Allenfalls werden die Spiele wegen des prominenten von Zeit zu Zeit Schirmherrn im Boulevard thematisiert – wie vor wenigen Wochen in der BILD-Zeitung, die beklagte, dass Prinz Harry (der die Spiele 2014 ins Leben gerufen hatte) zwar im April von Kalifornien nach Den Haag jettet, aber keine Zeit findet, am Gedenkgottesdienst für seinen verstorbenen Großvater, Prinz Philipp, im nahen England teilzunehmen.
„Der DBwV steht bereit, um die Organisatoren kräftig zu unterstützen.“ Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert
Die Invictus Games sind nicht mit gewöhnlichen sportlichen Wettkämpfen zu vergleichen. „Anders als zum Beispiel auf den Paralympischen Spielen geht es nicht in erster Linie darum, sportliche Höchstleistungen zu zeigen“, erklärt Oberstleutnant Marcus Wesseler, der die Gruppe Sporttherapie in Warendorf leitet und die Teilnehmer zusammen mit seinem Team auf die Invictus Games vorbereitet. Selbstverständlich müssten die Teilnehmer körperlich leistungsfähig sein. Doch das ist längst nicht alles. „Die Teilnahme soll ein sinnvoller Bestandteil im Rahmen der Rehabilitation des Soldaten sein“, so Wesseler. Voraussetzung für die Teilnahme ist dabei nicht zwingend, dass die Verletzung aus einem Auslandseinsatz resultiert. Im Vorfeld wird in Kooperation mit dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) in Warendorf geprüft, ob die Bewerberinnen und Bewerber die bisherigen Ziele in ihrer Reha erreicht haben. Mit ihrer Teilnahme sollen die Sportler auch eine Inspiration für andere Versehrte sein und zeigen, welche Bedeutung Sport und Rehabilitation haben können.
Entscheidend dabei sind die innere Einstellung und Stärke. Die Truppenpsychologie bewertet, ob der Soldat mental ausreichend stabil ist, um die anstrengende Vorbereitungszeit und schließlich das Rampenlicht vor und während der Spiele unbeschadet zu überstehen. Insbesondere bei Soldaten mit psychischen Einsatzschäden sei dies eine wichtige Voraussetzung. Schließlich erwarten das Team in Den Haag Menschenmassen, grelles Scheinwerferlicht und ständig wechselnde Locations und Gesichter.
Grundlegend bei der Auswahl der Teilnehmer ist daneben, ob sie gezeigt haben, dass sie Teamplayer sind. Das Team tritt als Mannschaft auf, die von Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung getragen sein muss.
Ein weiterer Punkt, der banal klingt, aber keineswegs selbstverständlich ist: Die Teilnehmer müssen sich mit der Bundeswehr identifizieren. Schließlich vertreten die Sportler die Bundeswehr auf den Spielen, was auch deutlich durch entsprechende Embleme auf der Teamkleidung zu Ausdruck kommt.
Die Teilnehmer sind in Warendorf gewöhnlich schon vor Beginn der Vorbereitungszeit bekannt, weil sie dort bereits regelmäßig Reha-Maßnahmen im Rahmen ihrer Therapie absolviert haben. Das erleichtert den Auswahlprozess. Nach Den Haag fahren für die Bundeswehr in diesem Jahr 20 Sportler – ausschließlich Männer, in anderen Jahren waren aber bereits Frauen dabei. Die Vorbereitungen für Den Haag waren ungewöhnlich intensiv, was daran liegt, dass die Spiele pandemiebedingt bereits zwei Mal verschoben wurden. Acht Trainingslager hatten die Sportler am Ende absolviert. Die Gruppe Sporttherapie erstellt und aktualisiert im Lager Trainingspläne, die von den Teilnehmern anschließend eigenverantwortlich im Dienstalltag absolvieren werden müssen. Wie stark die Sportler dabei unterstützt werden, hängt von ihrer Dienststelle ab, erklärt Diplom-Sportwissenschaftler Julian Tatje aus der Gruppe Sporttherapie. „Nach unserer Erfahrung ist die Unterstützung durch Vorgesetzte regelmäßig sehr gut.“ Kurz vor Antritt der Reise nach Den Haag lädt die Gruppe Sporttherapie noch zu einem virtuellen Familienwochenende – für ein letztes Briefing und um die Angehörigen mit einzubeziehen. Denn als Zeichen der Wertschätzung waren bei den Invictus Games von Anfang an auch Angehörige mit eingeladen.
Wertschätzung und Respekt sind Grundpfeiler der Veranstaltung. Vergangene Spiele waren getragen von einer Welle der Begeisterung in der Bevölkerung, sei es in London, Toronto oder Sydney. Teilnehmer berichten noch heute mit Leuchten in den Augen von jubelnden Zuschauermengen und großer Unterstützung.
„Die Invictus Games können zu einem dauerhaft respektvolleren Umgang mit Soldatinnen und Soldaten in Deutschland beitragen.“ Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert
Das soll im nächsten Jahr auch in Deutschland gelingen. Direkt im Anschluss an Den Haag beginnt für die Gruppe Sporttherapie – dem Team hinter dem Team – der Countdown für die Spiele in Deutschland. Vom 9. bis zum 16. September 2023 richtet die Bundeswehr gemeinsam mit der Stadt Düsseldorf die Invictus Games aus. Eine Projektgruppe der Bundeswehr hat bereits im vergangenen Jahr die Arbeit aufgenommen und im BMVg wurde ein Sekretariat für die Invictus Games eingerichtet, um das Event vorzubereiten. Derzeit läuft die Auswahl der Teilnehmer für Düsseldorf. Und das Gremium „Legacy Advisory Board“, in dem auch der DBwV vertreten ist, soll sicherstellen, dass die Spiele einen nachhaltigen Effekt in Deutschland haben.
Die Chancen, dass die Invictus Games auch in Deutschland von einer Welle der Unterstützung getragen werden, stehen derzeit gut. Nach dem Ende des Afghanistan-Einsatzes im vergangenen Jahr wurde Soldaten und Veteranen erstmals seit Beginn des 20-jährigen Einsatzes in breiter Öffentlichkeit Respekt gezollt. Und der Angriff Russlands auf die Ukraine hat selbst eingefleischten Pazifisten die Bedeutung des Militärs verdeutlicht. „Vor diesem Hintergrund können die Invictus Games im nächsten Jahr einen Durchbruch bedeuten“, sagt Oberstleutnant Bohnert. „Und zwar zu einem größeren Interesse an der Bundeswehr – und an einem dauerhaft respektvolleren Umgang mit Soldatinnen und Soldaten in Deutschland.“