„Erinnerung braucht Erzählung“
Zwei Tage nach dem Karfreitagsgefecht, das am 2. April 2010 in der Nähe der Taliban-Hochburg Isa Khel im Nordosten von Afghanistan, ausgetragen wurde, trauern die Kameradinnen und Kameraden im Feldlager Kunduz: Soldaten liegen sich weinend in den Armen. Der Autor und Offizier Wolf Gregis hat das Gefecht in einem Buch minutiös rekonstruiert.
Die Särge mit den sterblichen Überresten von Hauptfeldwebel Nils Bruns, dem Stabsgefreiten Robert Hartert und dem Hauptgefreiten Martin Augustyniak werden in Transportpanzern vom Typ „Fuchs“ an den Trauernden vorbeigefahren. Dann laden Kameraden die Särge in einen Transporthubschrauber CH53, der die Gefallenen schließlich in Richtung Heimat fliegt. Es ist das traurige Ende eines Einsatzes, der für viele, die dabei waren, bis heute nachwirkt.
Wolf Gregis, Offizier der Reserve, war bis 2009 im Afghanistan-Einsatz. Er hat das Geschehen rund um das Karfreitagsgefecht in mehr als einem Dutzend Interviews bis ins kleinste Detail aufgearbeitet und vor allem „entmystifiziert“, wie Brigadegeneral a.D. Dirk Backen zur Vorstellung von Gregis‘ Buch „Das Karfreitagsgefecht. Deutsche Soldaten im Feuer der Taliban“ gesagt hat. Gut 100 Ehemalige, aktive Soldaten, Journalisten, Veteranen und Angehörige waren Zuschauer bei der Premiere in den Räumen des Deutschen BundeswehrVerbandes. Der stellv. Bundesvorsitzende, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, hat zuvor die Gäste begrüßt. „Wir können heute dazu beitragen, die Schere zwischen Bundeswehr und Gesellschaft wieder ein wenig zu schließen“, wünscht sich Bohnert.
Das Gefecht dauert mehr als neun Stunden
Auf fast 300 Seiten beschreibt Wolf Gregis, wie Naef Adebahr, am 2. April Oberfeldwebel vom Fallschirmjägerbataillon 373, heute Stabsfeldwebel, die Kontrolle über die Aufklärungsdrohne „Mikado“ in der Nähe von Isa Khel verloren hatte und dann mit Kameraden des Golf-Zuges das verlorene Gerät sucht. Die Männer geraten unter schweren Beschuss von Aufständischen. Die Taliban-Schützen treffen Naef Adebahr, er wird schwer verwundet, Kameraden – auch mit Schützenpanzern Marder – kommen zu Hilfe. Das Gefecht am Karfreitag des Jahres 2010 endet spätabends nach neun Stunden.
„Erinnerung braucht Erzählung“, beschreibt Wolf Gregis, warum er dieses Buch geschrieben hat, das knapp 15 Jahre nach dem Karfreitagsgefecht veröffentlicht worden ist. „Gelebte Tradition spricht nicht nur Kopf und Verstand an, sondern auch Herz und Gemüt“, heißt es im Traditionserlass der Bundeswehr. „Wir haben in Afghanistan 20 Jahre gute Absichten, Staub, Dreck und Tod erlebt. War das alles umsonst? Soldaten sterben nicht für etwas, sie dienen gut etwas“, sagt Brigadegeneral a.D. Dirk Backen zu seinen Gefühlen: „Das waren Soldaten, die ihr Bestes gegeben haben. Fallis und Grenis sind das Beste, was unser Land zu bieten hat. Sein Herz und seine Seele. Das ist die Botschaft des Karfreitagsgefechts und das ist die Botschaft dieses Buches“, sagt er auch.
„Entwürdigender Umgang mit der Situation“
Das Soldatenhandwerk sei eines, mit dem die meisten Politiker und Bürger unseres Landes nichts zu tun haben wollten. „Die Erinnerungskultur bei uns ist zaghaft und kaum wahrnehmbar. Man findet kaum Inseln der Erinnerung, selbst in der Bundeswehr nicht. Wir gehen entwürdigend mit der Situation um“, macht der pensionierte General deutlich, der Kommandeur der Panzerbrigade 21 in Augustdorf war und von Februar bis Juli 2011 als Regionalkommandeur Nord in Afghanistan diente. Heute ist er Generalsekretär des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
„Im Norden Afghanistans sind drei Bundeswehr-Soldaten getötet worden“, eröffnet Moderator Marc Bator die 20-Uhr-Sendung der Tagesschau am 2. April 2010. „Man kann der Erinnerung nicht entkommen. Nirgends“, sagt Buchautor Wolf Gregis. Es geht in seinem Buch auch um Kameradschaft, Durchhaltewillen und Einsatz. „Die Kameraden in Afghanistan haben treu gedient und haben jetzt unsere Treue verdient“, sagt Gregis.
Am 15. Juni wird der erste Veteranentag in Deutschland ausgerichtet. Der US-Musiker Bryan Adams wird dazu in Berlin auftreten. An vielen Orten quer durch die Republik wollen Veteranen an ihren Dienst und an ihre gefallenen Kameraden erinnern. Auch auf Initiative des Deutschen BundeswehrVerbandes ist der Tag, der jedes Jahr „gefeiert“ werden soll, vom Bundestag 2024 beschlossen worden. „Der Veteranentag ist eine Chance“, hofft der stellv. Bundesvorsitzende Marcel Bohnert auf einen Schulterschluss zwischen Bundeswehr, Veteranen und Gesellschaft.