Afghanische Soldaten während einer militärischen Operation in Kunduz. Foto: dpa

Afghanische Soldaten während einer militärischen Operation in Kunduz. Foto: dpa

14.10.2015

Wenn die Wirklichkeit die Wünsche einholt: Die "plötzliche" Rückkehr der Taliban

Berlin. Am 28. September war es soweit: Es geschah, was keiner für möglich gehalten hätte – offiziell jedenfalls: Nach heftigen Angriffen eroberten die Taliban Kunduz. Wir erinnern uns: Kunduz, den Ort, an dem die Bundeswehr die heftigsten Gefechte, die schlimmsten Verluste ihres Afghanistan-Einsatzes erleben musste. Den Ort, der vor zwei Jahren in die „Sicherheitsverantwortung“ der Afghanen übergeben worden ist. Den Ort, über den es noch wenige Tage zuvor, am 23. September in der „Unterrichtung des Parlaments“ hieß:„Die Sicherheitslage in der Provinz Kunduz ist in den urbanen Gebieten und entlang der Hauptverbindungsstraßen ausreichend kontrollierbar.“ Der Gefährdungs-Status für die Region war „mittel“: „Allgemeine, nicht spezifizierte Anzeichen deuten auf möglicherweise bevorstehende Angriffe hin.“

Offiziell vollständig überrascht zeigte sich auch die Bundesregierung. In der Regierungspressekonferenz teilte unter anderen die stellvertretende Sprecherin des Außenministeriums, Sawsan Chebli, zur Lage mit:„Ich habe dazu keine eigenen Erkenntnisse. Wir wissen es nicht im Detail. Wir haben gelesen, dass die Lage sehr angespannt ist und die Taliban versuchen, verschiedene Großstädte einzunehmen. Ich kann das nicht bestätigen.“ Wenig hilfreich waren auch die Einlassungen des Regierungssprechers und des Sprechers des BMVg.

Das passte zur Linie. In der Broschüre „Das deutsche Engagement in Afghanistan“ vom Juni 2015, herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, heißt es: „Afghanistan geht es heute deutlich besser als 2001.“ Und unter der Überschrift „Afghanische Sicherheitskräfte funktionstüchtig“: „Das Ansehen von Armee und Polizei ist in der afghanischen Öffentlichkeit gestiegen und steigt weiter. (…) Die Kräfte sind in der Lage, die Sicherheit – zumindest entlang der Haupverkehrtswege und in Ballungsgebieten – ausreichend zu gewährleisten.“

Soweit die Wünsche. Einen Eindruck von der Wirklichkeit vermittelt die „Unterrichtung des Parlaments“ vom 7. Oktober:„Am Abend des 30.09.15 haben afghanische Spezialkräfte einhergehend mit Luftnahunterstützung begonnen, gegen die OMF im Stadtgebiet von Kunduz vorzugehen, um die Kontrolle über die Stadt wiederzuerlangen. (…). Unverändert ist bisher nicht absehbar, wann es den ANDSF gelingt, die Widerstandsnester zu zerschlagen und somit die vollständige Kontrolle über das gesamte Stadtgebiet von Kunduz zurück zu erlangen.“OMF, gegnerische militante Kräfte – das sind die Taliban. Folglich wird die„Bedrohungslage für die Stadt Kunduz mit erheblich bewertet.“

Musste das sein? Mussten wir so kalt erwischt werden? Der Deutsche Bundeswehrverband sagt: Nein. Das war eine Katastrophe mit Ansage. Die Militärs vor Ort haben immer wieder gewarnt. Sie haben vor der zu niedrigen Mandatsobergrenze gewarnt, die alle Möglichkeiten zur flexiblen Reaktion und zum Selbstschutz nimmt, und sie haben vor einer Destabilisierung der Region gewarnt. Sie haben immer wieder verlangt, länger in der Fläche zu bleiben, um den Aufbau der afghanischen Streitkräfte nachhaltig zu unterstützen. Das haben sie auch den Parlamentariern gesagt – wenn sie sie denn zu Gesicht bekommen haben.

Und jetzt? DBwV-Chef Oberstleutnant André Wüstner stellt klar: „Unsere Streitkräfte sind nicht für das Erstarken der Taliban verantwortlich. Deutsche Militärs haben lange vor dem vorschnellen Abzug der ISAF-Kräfte gewarnt. Jetzt muss sich die Bundesregierung zusammen mit ihren internationalen Partnern eine neue Strategie überlegen. Aber diesmal bitte eine wahrhaft vernetzte! Unabhängig davon muss jetzt die Mandatsobergrenze für den laufenden Einsatz erhöht werden.“

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