Ich denke täglich an den Einsatz
Bei seinem letzten Einsatz in Afghanistan war der ehemalige Fallschirmjäger Dennis Siesing dabei, als sein Freund starb, und hat den Leichnam in den Helikopter verladen. Zurück in Deutschland war sein altes Leben vorbei. Seither kämpft der 36-jährige Hauptfeldwebel täglich damit, sein Leben trotz PTBS sinnvoll und lebenswert zu gestalten.
Nach deinem letzten Auslandseinsatz kamst du verändert zurück. Wann ist dir bewusst geworden, dass du vielleicht krank bist?
Natürlich habe ich schon im Einsatz gemerkt, dass was nicht stimmt. Ich bin aber trotzdem bis zum Ende dort geblieben. Ich habe mir Gedanken gemacht, es hat mich abends verfolgt, aber ich habe versucht, es die ganze Zeit zu unterdrücken. Nach dem Einsatz ist es dann aber immer mehr geworden. Ich wollte nicht mehr rausgehen, habe Menschenmengen gemieden, war schreckhaft bei Feuerwerk und Hubschraubergeräuschen, habe nachts geschrien. Gerade mit den Helikoptern verbindet man vieles, damit wurden damals die Leute ausgeflogen.
Im Juli 2011 sind wir wiedergekommen und im August hatten wir ein Einsatznachbereitungsseminar auf Sardinien. Dort hat die Psychologin zu mir gesagt, dass ich mich untersuchen lassen sollte. Also bin ich zum Truppenarzt, dann nach Bonn ins Psychologiezentrum zum Gutachten und dort habe ich einen Fragebogen ausgefüllt, der nach der Auswertung den Verdacht auf PTBS ausgespuckt hat. Daraufhin bin ich nach Koblenz ins Bundeswehrkrankenhaus gekommen, wo ich zwei Wochen stationär war und später noch sieben, acht Wochen zur ambulanten Betreuung. Im Bundeswehrkrankenhaus habe ich aber ständig Leute getroffen, mit denen ich irgendwo zusammen gewesen bin und so wurde ich immer wieder daran erinnert. Deshalb wollte ich in eine zivile Klinik und wurde nach Dresden geschickt. Das war sehr schwer für meine Frau, denn sie durfte nur zwei Mal dorthin zum Gespräch kommen. Mir tat das aber sehr gut, ich konnte mich auf mich konzentrieren.
Wie ist deine Familie damals damit umgegangen, dass du verändert aus dem Einsatz zurückkamst?
Meine Familie wusste nicht, was ich im Einsatz tatsächlich gemacht habe. Ich habe ja offiziell nur Leute ausgebildet, war nur im Lager. Dass wir da aber zum Teil zehn, vierzehn Tage am Stück draußen waren, wusste keiner. Natürlich hat meine Frau gemerkt, dass ich unruhiger geschlafen habe, mich anders verhielt, wenn ich in Menschenmengen stand. Mein Bruder genauso, wenn wir auf Konzerten waren. Die haben sich natürlich Sorgen gemacht. Meiner Familie habe ich einiges erzählt und die sind auch offen damit umgegangen. Bei vielen Dingen haben sie Rücksicht auf mich genommen, beispielsweise zu Silvester den Kindern verboten, mit Konfetti gefüllte Luftballons zerplatzen zu lassen.
Meine Frau kennt bis heute nicht alle Details. Warum soll man einem anderen Menschen solche Bilder in den Kopf setzen? Sie hatte so schon genug damit zu kämpfen, dass ich weg war. Natürlich hat sie auch im Nachhinein viel mitgekriegt, vor allem, wenn sie zu den Eltern meines verstorbenen Freundes und zu seinem Ehrengrab mitgekommen ist.
Gab es rückblickend einen Moment, in dem du gemerkt hast, dass der Tiefpunkt erreicht ist und es nun langsam besser wird?
Ja, dieser Tiefpunkt war in der Klinik in Dresden. Die wollten ganz tief rein, holten alles raus, wollten alles wissen. Da habe ich sehr viel zugelassen. Das war aber auch gut so, denn ich habe gelernt, auf mich selbst zu hören, die Zeichen meines Körpers wahrzunehmen, mir die Erkrankung einzugestehen. Vieles hatte sich automatisch geändert, ohne dass ich es wirklich gemerkt habe: Ich bin beispielsweise nicht mehr auf Konzerte gegangen und habe dann gesagt, ich hätte keine Zeit. Dass man da etwas vermeidet, muss man erst mal erkennen. Ich habe auch gelernt, wie ich meinen Körper belohne – für mich war es das Pfeiferauchen und das Bogenschießen.
Gerade das Bogenschießen war wichtig für mich, den Mut zu haben, den Pfeil loszulassen. Denn das ist etwas, was man am Anfang der Schädigung oft hat: Man kann nicht loslassen, klammert viel. Beim Bogenschießen bin ich so konzentriert, dass ich keine Zeit habe, an meine Erlebnisse zu denken. Dresden hat mir gezeigt, dass ich viel selbst regulieren kann. Ich habe auch, bis auf zwei oder drei Wochen mit Tabletten, keine Antidepressiva oder Schlafmittel genommen. Das war weitaus anstrengender, aber so habe ich besser gelernt, damit umzugehen.
Was ist damals im Einsatz passiert?
Ich war 2008, 2009 und 2011 in Afghanistan. Dabei habe ich mehrere Anschläge, Feuergefechte, Raketenbeschüsse miterlebt. Eines der letzten Erlebnisse war, dass ein sehr guter Freund gefallen ist. Er wurde in die Luft gesprengt, als wir unterwegs waren. An dem Tag waren wir vorher zur Erkundung gewesen, er war mit anderen zu Gesprächsaufklärungen. Danach sollten wir weiter in den Norden fahren. Die sind an uns vorbei gefahren und dann hat man nur noch gehört, dass es knallt, man hat die Wolke gesehen und sein Fahrzeug war darin. Wir haben es zunächst über Funk versucht, wussten nicht, was da los ist. Dann ist noch das zweite Ding genau zwischen drei Fahrzeugen hochgegangen, wobei unsere Windschutzscheibe komplett durch die Splitter kaputt gegangen ist. Bei uns ist aber keiner verletzt worden. Wir sind dann abgestiegen mit meinem Trupp und dann war schon klar, dass da nicht mehr wirklich viel zu machen ist. Mein Freund war direkt tot, die Explosion war direkt unter ihm.
Dann wurden die Rettungssanitäter über Funk alarmiert, alles wurde abgesperrt und abgesichert, mein toter Freund in den Black Hawk verladen. Ich bin dann auf dem Feld solange stehen geblieben und habe salutiert, bis ich ihn nicht mehr gesehen habe. Wir wurden mit der restlichen Bergung des Fahrzeugs beauftragt. Später hieß es dann, dass es auf dem Rückweg Verdachtsflächen gäbe, also sind wir abgesessen und gute dreieinhalb Stunden zu Fuß voraus marschiert. Ich hatte auch vorher viele schlechte Erlebnisse gehabt, aber dieser Tag war der Schlimmste und hat wahrscheinlich auch die Krankheit ausgelöst.
Und diese Erinnerungen lassen dich auch heute nicht los?
Ich denke täglich, während dieses Gesprächs, während der Arbeit an den Einsatz, an das, was passiert ist.
„Dieser Film läuft immer ab: die Explosion,
der Flug des Helis, aber auch die Raketenanschläge.“
2008 gab es 34 Raketenanschläge aufs Lager und da war auch ein Treffer sehr nah. Ich kann die Tage an einer Hand abzählen, an denen ich nicht mindestens einmal daran gedacht habe. Auch Musik erinnert mich daran. Das Ereignis durchlebe ich so gut wie jede Nacht. Da werde ich zwei bis drei Mal wach davon. Ich sehe das Auto in die Luft fliegen. Gerüche wie verbranntes Fleisch, zum Beispiel beim Grillen, wenn Fleisch auf die Kohlen fällt, lösen sofort Flashbacks aus.
Aber mit den Jahren kommt man damit klar, lernt damit umzugehen. Ich komme halt mit weniger Schlaf aus, meist zwei bis drei Stunden. Im Sommer ist es etwas besser, weil es dann noch relativ hell ist, wenn man ins Bett geht. Im Winter ist es schlimmer.
Wirst du manchmal aggressiv?
Nein, das nicht. Aber ich habe diese innere Wut auf mich und auf alles. Natürlich streitet man sich dann zu Hause auch mal öfter. Ich versuche eigentlich, alles von zu Hause fernzuhalten und für meine Frau da zu sein. Bisher hat das gut geklappt. Aber sie weiß mittlerweile auch genau, was wann mit mir los ist. Ich würde mir oder anderen Menschen nie etwas antun, aber die Gedanken sind das Schlimme und wenn mich jemand aufregt, dauert es lange, mich wieder runterzufahren. Dann mache ich Sport und power mich richtig aus.
Ist es dein Ziel gewesen, Berufssoldat zu werden, und war der Weg zur Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung schwierig?
Am Anfang wollte ich gar nichts mehr mit Uniform und Bundeswehr zu tun haben. Ich wollte die Bundeswehr eigentlich verlassen und bei der Polizei anfangen, aber durch die Krankheit hatte sich das erledigt. Gespräche mit meinen Vorgesetzten, die mir meine Möglichkeiten zur Übernahme aufgezeigt haben, sowie mit Leuten aus dem BMVg, unter anderem Stabshauptmann Faßbender vom PTBS-Beauftragten, sowie mit Kameraden aus der Gruppe Sporttherapie an der Sportschule in Warendorf haben mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, doch hier zu bleiben. Dann begann das mit den Gutachten, ich musste eins nach dem anderen machen. Das gesamte Verfahren dauerte von Ende 2011 bis März 2015. Im Rahmen des Einsatzweiterverwendungsgesetzes bin ich 2014 in die Schutzzeit gekommen.
Schon vorher hatte ich einen heimatnahen Antrag gestellt und bin seit September 2013 im Munitionsdepot Wulfen, zunächst als Kasernen-/S3-Feldwebel. Das erste halbe Jahr habe ich von 8 bis 12, dann bis 14 Uhr gearbeitet, sofern es mir möglich war. Ab und an hatte ich aber wieder einen Einbruch, den habe ich selbst jetzt manchmal noch, dann musste ich wieder etwas kürzen. Im Rahmen der Übernahme als Berufssoldat mit Einsatzschädigung und aufgrund der Umgliederung zum Munitionsversorgungszentrum bin ich jetzt als S2-Feldwebel eingesetzt.
Hattest du anfangs Schwierigkeiten, wieder in den Beruf einzusteigen?
Es war schwer, wieder in den Ablauf reinzukommen, morgens aufzustehen, die Konzentration, ich musste wieder die Uniform anziehen. Ich habe auch versucht, wieder mit zum Schießen zu gehen, aber das ging nicht, seitdem habe ich eine Befreiung. Leuten zu vertrauen war schwierig, wenn man eh so gut wie niemandem mehr vertraut. Das hat sich bei mir aber recht schnell gelegt, weil ich hier in Wulfen mit vorrangig zivilem Personal so gut aufgenommen wurde.
Ich war der erste mit PTBS hier, mittlerweile aber nicht mehr der einzige. Aber das zivile Verständnis dafür ist ein ganz anderes als das soldatische. Man kommt hierher und denkt, die haben mit Zusammenhalt in der Truppe gar nicht so viel Erfahrung, aber hier ist jeder für den anderen da und ich wurde sehr herzlich aufgenommen. Wenn ich morgens mit roten Augen komme, wissen die Kollegen, dass ich nicht so gut geschlafen habe. Und wenn es wieder besonders schlimm ist wie in den letzten paar Wochen, weil sehr viel los war und der Jahrestag wieder ran war, dann kommen sie auch rein, machen die Tür zu und fragen, was los ist. Sie kümmern sich alle sehr liebevoll um mich. Solche Vorgesetzte und Kameraden bräuchten alle. Als ich im Mai zusammen mit der Gruppe Sporttherapie aus Warendorf bei den Invictus Games in Florida war, haben alle hier in Wulfen mitgefiebert.
Worin bist du dort angetreten?
Ich bin im Bogenschießen gestartet, im Rudern, im Schwimmen und ich habe diese Driving Challenge gemacht. Ich war leider nicht ganz so erfolgreich, wie ich wollte. Aber das war eine tolle Erfahrung. Ich würde gerne in den kommenden Jahren auch wieder mitmachen.
Was sind deine Ziele für die nähere Zukunft?
Mein Sohn wird dieses Jahr eingeschult. Ich war verheiratet, bin geschieden, habe dann meine alte Jugendliebe geheiratet. Ich habe ein Haus und ein Motorrad, einen super Job. Ich hoffe, dass sich meine PTBS nicht noch weiter verschlimmert, dass es so bleibt. Ich bin weiter in Therapie, um den jetzigen Zustand zu halten. Die Therapie ist dafür da, um einen Rat zu bekommen und einfach mit jemandem zu reden, um zu analysieren, was man in bestimmten Situationen besser machen könnte. Ich gehe davon aus, dass ich mein Leben lang diese Träume haben werde. Momentan kann ich damit umgehen. Nochmal die Traumatherapie durchzumachen und mit allem erneut direkt konfrontiert zu werden, das will ich nicht, das würde ich nicht noch einmal durchstehen.
Ich will für die Familie da sein, für meine Kollegen. Ich will Kameraden unterstützen, die wie ich erkrankt sind. Ich möchte als eine Art Vorbildfunktion zeigen: „Männer, es geht weiter! Auch wenn es euch schlecht geht, macht den Schritt, geht zum Arzt, lasst euch behandeln. Natürlich ist es schwer, aber im Nachhinein wird es euch besser gehen.“ Ich möchte anderen helfen, damit auch sie vorankommen.
Vielen Dank für das Gespräch, Dennis, und alles Gute!