Ein Bild aus 2015: Schiffbrüchige werden unweit der libyschen Küste von Soldaten mit Hilfe von Speedbooten zur Fregatte Schleswig-Holstein gebracht. Foto: Bundeswehr/Alexander Gottschalk

Ein Bild aus 2015: Schiffbrüchige werden unweit der libyschen Küste von Soldaten mit Hilfe von Speedbooten zur Fregatte Schleswig-Holstein gebracht. Foto: Bundeswehr/Alexander Gottschalk

27.03.2019
dpa

EU stoppt Marineeinsatz vor Libyen

Zehntausende Migranten sind in den vergangenen Jahren im Mittelmeer von europäischen Marineschiffen vor dem Ertrinken bewahrt worden. Doch bis heute gibt es keine Einigung, wie die Menschen verteilt werden könnten. Italien stellt sich deshalb quer - mit Folgen.

Brüssel. Die EU stoppt ihren Marineeinsatz vor der libyschen Küste und kann damit auch keine Migranten mehr aus Seenot retten. Die am Mittwoch (27. März) offiziell bestätigte Entscheidung sieht vor, bei der Anti-Schleuser-Operation Sophia vorerst nur noch Luftaufklärung zu betreiben und libysche Küstenschützer auszubilden.

Grund für das Aus der Marineoperation ist, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf ein System zur Verteilung von aus Seenot geretteten Migranten einigen konnten. Die Regierung in Rom hatte dies gefordert, weil Gerettete nach den aktuellen Einsatzregeln ausschließlich nach Italien gebracht werden.

Seit Beginn der europäischen Marinepräsenz vor der Küste des nordafrikanischen Bürgerkriegslandes Libyen im Jahr 2015 kamen so bereits knapp 50 000 Migranten nach Italien - mehr als 22 500 von ihnen nach der Rettung durch die deutsche Marine.

Für die Bundeswehr wird das Aus des EU-Marineeinsatzes allerdings vorerst keine direkten Konsequenzen haben. Da Deutschland bereits seit Februar kein Schiff mehr für die Operation Sophia stelle, müsse auch keines abgezogen werden, erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwoch. Eine Anfrage, sich mit einem Aufklärungsflugzeug an der geplanten Ausweitung der Luftüberwachung von Schleuserbanden zu beteiligen, liege bislang nicht vor. Unverändert bleibe die deutsche Beteiligung an der Einsatzführung im Hauptquartier in Rom. Der zuständige Experte bleibe vor Ort, sagte der Sprecher.

EU-Militärs in Brüssel verwiesen darauf, dass Schiffe schon in der Vergangenheit nur zu einem sehr geringen Teil an der Aufklärung der Aktivitäten von Schleuserbanden beteiligt gewesen seien. Wirklich beeinträchtigt würden damit vermutlich nur Operationsteile, die nichts mit der Bekämpfung der Schleuserkriminalität zu tun hätten. Dazu gehörten die Bekämpfung des Waffenschmuggels und illegalen Ölhandels.

Aus der Opposition im Deutschen Bundestag kam dennoch Kritik. «Die europäischen Regierungen beenden die Solidarität mit Menschen in Seenot und beugen sich dem Willen des italienischen Innenministers und Populisten (Matteo) Salvini», kommentierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Die Lage für die Geflüchteten in Libyen sei verheerend. In Lagern seien Folter, Ausbeutung, Menschenhandel und sexuelle Gewalt an der Tagesordnung.

Der Verband Deutscher Reeder (VDR) befürchtet, dass «angesichts der Handlungsunfähigkeit der Europäer» nun vermutlich wieder verstärkt die Besatzungen von Handelsschiffen in Seenot geratene Menschen retten müssen. «Seeleute sind für solche Einsätze nicht ausgebildet und Handelsschiffe denkbar ungeeignet, Flüchtlinge aufzunehmen», sagte Präsidiumsmitglied Ralf Nagel. Nach internationalem Recht sind Schiffsbesatzungen zur Seenotrettung verpflichtet.

Politiker der AfD und der FDP stellten sich hingegen hinter die von der deutschen Regierung mitgetragene EU-Entscheidung. Der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen sagte, ein weiterer Schiffseinsatz wäre aus seiner Sicht nur sinnvoll in Verbindung mit einem Verteilungsschlüssel für Migranten in der EU - gegebenenfalls verbunden mit einer Zurückweisung nach Nordafrika.

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bezeichnete den Beschluss als konsequent. «Die Flüchtlingsverteilung kann nur europäisch gelöst werden», sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. «Wenn das nicht zu schaffen ist, kann die Mission in der bisherigen Form auch nicht weiterlaufen.»

Die libysche Küstenwache spielte die Bedeutung der Operation Sophia für die Seenotrettung herunter. Es handele sich um eine Sicherheitsoperation, die nicht unbedingt etwas mit dem Kampf gegen illegale Migration zu tun habe, sagte Marinesprecher Ajub Kassim. Das Training der Küstenwache durch die EU gehe weiter.

Wie die zukünftige deutsche Beteiligung an der Operation Sophia aussehen wird, muss die Bundesregierung bis Ende Juni entscheiden. Dann läuft nämlich das aktuelle Mandat für die Bundeswehrbeteiligung aus, während der EU-Einsatz noch bis mindestens Ende September weiterlaufen soll.

Sowohl Grüne als auch Linke forderten die Bundesregierung auf, den Menschen künftig außerhalb militärischer Strukturen zu helfen. «Zivile europäische Seenotrettung ist auch möglich, wenn sich einige Mitgliedsstaaten zusammenschließen», sagte die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner. Der Linken-Politiker Alexander S. Neu sprach sich für die «Stärkung und Entkriminalisierung» der zivilen Flüchtlingshilfe durch Organisationen wie Sea-Watch oder Mission Lifeline aus. Deren Arbeit wird derzeit auch von der italienischen Regierung behindert. Ihnen wird regelmäßig verweigert, mit geretteten Migranten in italienischen Häfen anzulegen.

(aktualisiert am 28.03.2019, 08:45 Uhr)

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