Tim Focken bei der IPC Weltmeisterschaft im Sportschießen 2014. Die Sporttherapie der Bundeswehr hat ihm ganz neue Perspektiven eröffnet Foto: dpa

Tim Focken bei der IPC Weltmeisterschaft im Sportschießen 2014. Die Sporttherapie der Bundeswehr hat ihm ganz neue Perspektiven eröffnet Foto: dpa

31.03.2017
Markus Hein

Dank Sporttherapie wieder ein Ziel vor Augen

Tim Focken war als Soldat in Afghanistan und wurde dort verwundet. Ein wesentlicher Schritt seiner Genesung war die Teilnahme am  Pilotprojekt „Sporttherapie für Einsatzgeschädigte“. Dort soll verwundeten Soldaten eine neue Perspektive aufgezeigt und die Rückkehr in den Alltag ermöglicht werden. Seither arbeitet Unteroffizier (FA) Focken an einer zweiten Karriere als Hochleistungssportler, wie er im Gespräch mit "Die Bundeswehr" erzählt.

Herr Focken, bitte schildern Sie uns kurz, wie es zu Ihrer Verwundung im Einsatz gekommen ist.

Tim Focken:
  Am 17. Oktober 2010 nahm ich mit meiner Einheit (Anm. d. Red.: Fallschirmjägerzug) zehn Kilometer westlich von Kundus ein Dorf ein, in dem wir zuvor Taliban vermutet hatten. Wir führten schon seit mehreren Stunden ein Feuergefecht, als mich ein Projektil traf. Es bohrte sich durch meine linke Schulter und trat am Rücken wieder aus. Nach dem Transport zu einem Verwundetennest evakuierte mich ein AirMedEvac-Team der amerikanischen Armee per Hubschrauber. 17 Stunden später fand ich mich im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz wieder.

Wie verlief der Genesungsprozess?


Nachdem ich aufgewacht bin, musste ich an den Folgetagen noch zweimal operiert werden. Die Ärzte teilten mir mit, dass meine Schulter dauerhaft gelähmt bleiben würde. Nach etwa einem Monat Aufenthalt wurde ich nach Westerstede verlegt, um näher bei meiner Familie sein zu können. Auf eigenen Wunsch konnte ich nach drei weiteren Wochen entlassen werden.

Anfang 2011 startete die erste Rehabilitationsmaßnahme in einer zivilen Einrichtung. Zunächst hat mir die Behandlung geholfen, allerdings hatte ich meine Erlebnisse aus dem Einsatz bis dahin keineswegs verarbeitet. Daraus resultierte für mich viel Stress, insbesondere im Familienleben. Als Konsequenz hatte ich mich – auch auf Anraten meiner Frau – parallel in psychologische Behandlung begeben.

Zum Programm der Sportschule der Bundes­wehr in Warendorf für Einsatzversehrte: Sind Sie aus eigener Initiative aktiv geworden, oder wurden Sie vom Dienstgeber an diese Möglichkeit der Therapie herangeführt?

Im April 2011 erhielt ich unerwartet einen Anruf aus Warendorf. Oberstarzt Dr. Lison, Leiter des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr, stellte mir persönlich das Pilotprojekt „Sporttherapie nach Einsatzschädigung“ vor. Das Gemeinschaftsprojekt der Gruppe Sporttherapie der Sportschule der Bundeswehr und dem Zentrum für Sportmedizin sollte speziell auf einsatzgeschädigte Soldaten wie mich zugeschnitten sein. Wenige Wochen später reiste ich bereits als Teilnehmer am Pilotlehrgang nach Warendorf.

Wie oft haben Sie in Warendorf trainiert und wie war die Betreuung vor Ort?

Zunächst wurde ich im Zentrum für Sportmedizin durchgecheckt, und es wurde eine umfangreiche Diagnose erstellt. Dabei gingen die Ärzte nicht nur auf die Ursache meines Problems, also meine Schulter, sondern auch auf alle Probleme ein, die daraus folgten. So zum Beispiel meine Rückenschmerzen – ich konnte kaum gerade laufen. Eine vollständige Feststellung meines Ist-Zustands mit einer psychologischen Begutachtung, die mir besonders wichtig war. Nach der Diagnose gab es eine Kennenlernrunde mit den anderen Lehrgangsteilnehmern und den Ausbildern der Gruppe Sporttherapie.

Schnell haben wir individuelle Ziele festgelegt, die eigenständig oder mithilfe der Gruppe erreicht werden sollten, auch wenn die Voraussetzungen bei den Teilnehmern, was die Krankheits- oder Verwundungsbilder betraf, doch sehr unterschiedlich waren. Diese Ziele wurden in Zielvereinbarungen festgehalten. Es gab feste Zeiten und Strukturen, an die wir uns halten mussten. Morgens startete der Tag mit einem Fitnessprogramm, um Körper und Geist auf die kommenden sportlichen Herausforderungen einzustellen: zum Beispiel Fahrradfahren, Schwimmen, kleine Spiele oder Rollstuhlbasketball. Parallel wurden wir ärztlich, physiotherapeutisch und psychologisch betreut.

Hatten Sie das Gefühl, dass das Sportprogramm Sie wieder nach vorne brachte? Und würden Sie die Sporttherapie nach Einsatzschädigung als gutes Angebot der Fürsorge seitens des Dienst­herrn bewerten?

Das Sportprogramm hat mir völlig neue Per­spektiven eröffnet, die für mich vorher undenkbar waren. Mittlerweile bin ich nicht mehr Lehrgangsteilnehmer der Gruppe Sporttherapie, sondern Spitzensportler der Bundeswehr im Behindertensport. Meine Disziplin ist das Sportschießen. Durch die Sporttherapie habe ich viele Sportarten kennengelernt, denen ich trotz meiner Behinderung nachgehen kann. Zuvor bin ich zum Beispiel bereits in der Leichtathletik erfolgreich gewesen (Anm. d. Red.: unter anderem dreifacher CISM-Europameister, Ultimate Champion 2013, dreifacher CISM-Vizeweltmeister).

Ich hatte endlich wieder ein klares Ziel vor Augen, dem ich ehrgeizig nacheifern konnte. Das Festlegen sportlicher Ziele hat mir damals in jeder Lebenslage geholfen und hilft mir immer noch. Denn ich habe auch schon ein neues Ziel: Die Teilnahme an den Paralympischen Spielen 2020 in Tokio wäre für mich ein Traum. Ohne die Sporttherapie wäre meine Entwicklung nicht möglich gewesen. Nicht nur wegen der neuen sportlichen Herausforderungen, sondern insbesondere wegen der einzigartigen Fürsorge und der Menschlichkeit, die uns entgegengebracht wurde, kann ich allen Kameraden die Gruppe Sporttherapie uneingeschränkt ans Herz legen.