29.10.2024
dpa

Tote und Verletzte durch russische Raketenangriffe

Berichte über eine Beteiligung Nordkoreas am Ukraine-Krieg lösen weltweit Besorgnis aus. In Washington ist von etwa 10.000 nordkoreanischen Soldaten zur Unterstützung Russlands die Rede.

Kiew/Washington/Reykjavík. Russland hat die Ukraine erneut mit Raketen und Kampfdrohnen angegriffen. Dadurch wurden in der ostukrainischen Großstadt Charkiw mindestens vier Menschen getötet. Sie seien von Rettungskräften in den Trümmern zerstörter Häuser gefunden worden, teilte Bürgermeister Ihor Terechow auf Telegram mit. Er sprach von 4 zerstörten und 19 beschädigten Gebäuden.

Die Stadt dicht an der Grenze zu Russland war schon am Montagabend Ziel eines russischen Angriffs mit Gleitbomben gewesen. Beschädigt wurde das historisch wichtige Gebäude Derschprom, das erste Hochhaus der Sowjetunion. Neun Menschen wurden verletzt. Das Bauwerk war Anwärter für die Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco.

Russland überzieht das Nachbarland Ukraine seit mehr als zweieinhalb Jahren mit Krieg. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew lösten die Trümmer abgeschossener Kampfdrohnen in der Nacht auf Montag kleinere Brände aus. Es gab nach Behördenangaben fünf Verletzte. In der südukrainischen Industriestadt Krywyj Rih wurde ein Mensch durch einen Raketenangriff getötet, 14 Menschen wurden verletzt.

Pentagon spricht von 10.000 Soldaten aus Nordkorea in Russland

Nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums beläuft sich die Zahl der nach Russland entsandten Soldaten aus Nordkorea auf etwa 10.000. «Wir gehen davon aus, dass Nordkorea insgesamt etwa 10.000 Soldaten zur Ausbildung nach Ostrussland geschickt hat, die wahrscheinlich in den nächsten Wochen die russischen Streitkräfte in der Nähe der Ukraine verstärken werden», sagte die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh. Ein Teil dieser nordkoreanischen Soldaten sei bereits näher an die Ukraine herangerückt. Befürchtet werde ein Einsatz im russischen Gebiet Kursk nahe der Grenze zur Ukraine.

Sollten die Soldaten aus Nordkorea tatsächlich auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen, bedeute dies eine weitere Eskalation des Kriegsgeschehens und zeige auch «die zunehmende Verzweiflung» von Russlands Präsident Wladimir Putin auf, dessen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld «außerordentliche Verluste» erlitten hätten, sagte Singh. Es sei «ein Hinweis darauf, dass Putin möglicherweise in größeren Schwierigkeiten steckt, als den Menschen bewusst ist». Der Einsatz der Nordkoreaner im russischen Angriffskrieg hätte auch «schwerwiegende Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa und im indopazifischen Raum», warnte Singh.

Nach russischen Angaben wurde die nordkoreanische Außenministerin Choe Son Hui erneut zu einem neuen Aufenthalt in Moskau erwartet, nachdem sie bereits im Januar zu einem dreitägigen Besuch in der russischen Hauptstadt gewesen war. Putin selbst bestreitet die Anwesenheit nordkoreanischer Soldaten nicht und verweist darauf, dass auch die Ukraine auf Personal aus Nato-Staaten zurückgreife.

Selenskyj dringt bei Nordischem Rat auf Nato-Einladung

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt seit Tagen vor einer weiteren Eskalation in dem Krieg, sollte Russland die Nordkoreaner im Kampf einsetzen. Die Ankunft der nordkoreanischen Soldaten war auch Thema bei seinem Auftritt in Island beim Treffen des Nordischen Rates, wo er vor den Regierungschefs von Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen und Island erneut mehr Militärhilfe und vor allem die Einladung zu einem Nato-Beitritt forderte.

Man erwarte keinen Nato-Beitritt der Ukraine während des laufenden russischen Angriffskriegs, sehr aber wohl eine Einladung zur Mitgliedschaft als konkretes Zeichen, sagte Selenskyj in seiner Rede in Reykjavik.

«Schutzwall gegen Russlands imperiale Ambitionen»

Selenskyj bat die Regierungschefs des Nordischen Rates, auch Druck auf Deutschland auszuüben. Er erwarte «eine politische Entscheidung, die geopolitische Klarheit für die Ukraine und ganz Europa bringen und uns in der Diplomatie mit Russland stärken würde», sagte er. «Wenn die Ukraine eine Einladung in die Nato erhält, wird sie zu einem unüberwindbaren Schutzwall gegen Russlands imperiale Ambitionen.» Sein Land verdiene eine ehrliche Antwort. «Bitte arbeiten Sie mit Partnern in ganz Europa - insbesondere in Berlin - zusammen, damit wir diese geopolitische Klarheit gemeinsam erreichen können.»

Selenskyj hatte in diesem Monat auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und andere europäische Staats- und Regierungschefs getroffen, um für eine rasche Einladung in die Nato zu werben. Die Forderung ist Kernpunkt des von ihm so bezeichneten «Siegesplans» im Kampf gegen den seit fast 1.000 Tagen andauernden russischen Angriffskrieg. Der Chef seines Präsidentenbüros, Andrij Jermak, wird heute (19.30 Uhr Ortszeit; Mittwochmorgen deutscher Zeit) zu einem Treffen mit US-Außenminister Anthony Blinken in Washington erwartet.

Präsident fordert Waffenkäufe und Investitionen

Selenskyj dankte Dänemark und den anderen Staaten für die bisher geleistete Militärhilfe und Investitionen in die Waffenproduktion in der Ukraine. Sein Land brauche unabhängig von Lieferengpässen oder wechselnden politischen Stimmungen etwa Artilleriegeschosse und Drohnen.

«Wir sehen, dass Putin seine Waffenproduktion hochfährt und Schurkenregime wie Pjöngjang ihn dabei unterstützen. Nächstes Jahr will Putin die gleiche Menge an Munition wie die EU produzieren. Wir müssen jetzt handeln, um das zu verhindern», so Selenskyj. Deshalb dränge er darauf, die Investitionen in die Waffenproduktion zu erhöhen, besonders um Langstreckenwaffen und Drohnen herzustellen, «Schlüsselwerkzeuge zur Einschränkung der russischen Fähigkeiten».

Er forderte die Mitglieder des Nordischen Rates auf, Artilleriegeschosse in Drittstaaten einzukaufen, um den ukrainischen Soldaten an der Front zu helfen. «Unser Team wird Sie mit allen notwendigen Informationen über die Länder versorgen, die diese Munition liefern können.» Zugleich rief er die Staaten dazu auf, selbst ihre Verteidigungsindustrie weiterzuentwickeln. «Europa braucht industrielle Stärke und Unabhängigkeit von anderen Teilen der Welt», unterstrich Selenskyj.