Krisengipfel für die «Gorch Fock» in Berlin
Selbst Kap Horn hat die «Gorch Fock» gemeistert, scheitert das Segelschulschiff jetzt in Berlin? Nach der Kostenexplosion und einem Korruptionsverdacht bei der Sanierung scheint das Schicksal des Dreimasters ungewiss. Der Kommandant macht sich «große Sorgen».
Kiel/Berlin - Auf See hat er jeden Sturm überstanden. An Land kann Nils Brandt derzeit nur hilflos zusehen, wie sich dunkle Wolken über der «Gorch Fock» zusammenbrauen. «Ich mache mir große Sorgen», sagt der Kommandant des Segelschulschiffs der Marine. «Wir haben jetzt drei Jahre für den Erhalt des Schiffes gekämpft und das nicht aus nostalgischen Gründen oder Sentimentalität.» Nach der Kostenexplosion bei der Sanierung und einem Korruptionsverdacht ist das Schicksal des 1958 gebauten Dreimasters ungewiss.
Am Donnerstag wollen sich die Spitzen von Marine und Verteidigungsministerium einen Überblick über die Situation verschaffen. Nach Angaben eines Sprechers soll dabei nicht über die Zukunft der «Gorch Fock» entschieden werden. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betonte im Vorfeld des Treffens: «Die Gorch Fock steht für eine große Tradition in der Marine.» In Medien und in der Marine wird dennoch über ein Aus spekuliert.
Das Schiff wird bereits seit 2016 saniert. Ursprünglich mit zehn Millionen Euro veranschlagt, sind die Kosten aus dem Ruder gelaufen und werden mittlerweile auf 135 Millionen Euro beziffert. Erst vor wenigen Tagen wurden zudem gegen einen Mitarbeiter des Marinearsenals Wilhelmshaven Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts eingeleitet. Laut NDR soll der Mann, der Selbstanzeige erstattet haben soll, mitverantwortlich für die Preisprüfung der «Gorch Fock»-Reparatur gewesen sein. Die Werft betonte jedoch, eine erste Bestandsaufnahme habe ergeben, dass der Verdacht der Vorteilsnahme eines Mitarbeiters des Marinearsenals nicht mit den Kostensteigerungen im Zusammenhang stehe. Dafür spreche schon die begrenzte Zuständigkeit des Mitarbeiters.
Wegen des Korruptionsverdachts sagte die Marine einen für den 17. Dezember geplanten Festakt an der Marineschule Mürwik in Schleswig-Holstein zum 60. Jahrestag der Indienststellung des Schiffs ab. «Die Besatzung war teilweise den Tränen nahe, weil wir alles vorbereitet hatten», sagt Kommandant Brandt. «Wir hatten Kekse gebacken und eine große Geburtstagstorte in Vorbereitung.» Seine Besatzung sei «inzwischen so leid geprüft, dass sie mit diesen Dingen auch sehr sensibel umgeht».
Der Marineoffizier ist von dem Sinn der seemännischen Grundausbildung an Bord weiter überzeugt. «Das Wasser als Element, das uns als Marine ausmacht, und das Klima sind nur auf einem Segelschulschiff so vermittelbar», sagt Brandt. «Dort erfahren junge Offizier-Anwärter was es bedeutet, bei Wind und Wetter seinen Dienst verrichten zu müssen.» Zudem beförderten Extremsituationen an Bord das Teambuilding. Ein altes Schiff wie die «Gorch Fock» biete zudem einen weiteren Vorteil: «Durch die Losgelöstheit vom Mobilfunksystem GSM merken die Kameraden, dass nicht die sozialen Medien ihre Freunde sind, sondern die Kameraden, die links und rechts neben ihnen sitzen.»
Für Krisenforscher Frank Roselieb sind mehrere Themen rund um das Schiff - wie der mittlerweile verfilmte Tod der Kadettin Jenny Böken bei einem Ausbildungstörn 2008 - nicht komplett bewältigt. «Die Gorch Fock hält momentan ein bisschen als Sündenbock her für alle möglichen Probleme von Marine und Bundeswehr», sagt der geschäftsführende Direktor des Instituts für Krisenforschung. Er verweist auf die Schwierigkeiten der Truppe, nach dem Wegfall der Wehrpflicht genügend Nachwuchs zu finden und den umstrittenen Einsatz externer Berater durch das Verteidigungsministerium.
«Da ist solch ein Schiff wie die «Gorch Fock» natürlich greifbar», sagt Roselieb. «An ihr kann man deutlich machen: Wenn wir die jetzt abschaffen, dann schneiden wir damit auch die alten Zöpfe der Bundeswehr ab.» Entscheidend sei, wie viel die Politik bereit ist, in dieses Schiff zu investieren. «Die Elbphilharmonie war auch zehnmal so teuer wie geplant und trotzdem finden sie mittlerweile alle total toll.» Wenn die Bundeswehr es schafft, die «Gorch Fock» mit Hilfe von Emotionen wieder als Verbindung von Tradition und Moderne darzustellen, habe das Schiff eine Zukunft. «Wenn man dieses emotionale in die Krisenbewältigung nicht reinbringt, dann wird die «Gorch Fock» mit Sicherheit nicht mehr saniert werden.»
Für den Bund der Steuerzahler ist klar: «Die laufenden Sanierungsarbeiten müssen sofort abgebrochen und die Reste des Schiffes verwertet werden», sagt dessen Landesgeschäftsführer in Schleswig-Holstein, Rainer Kersten. «Diese Entscheidung hätte schon vor mindestens einem Jahr fallen müssen, dann wären dem Steuerzahler sinnlose Ausgaben in zweistelliger Millionenhöhe erspart geblieben.»
Die Kostenexplosion bei der Sanierung des Schiffs beschäftigt auch den Bundesrechnungshof. In Bälde gehe ein Entwurf der Prüfungsmitteilung zur Stellungnahme an das Verteidigungsministerium, sagt ein Sprecher. Kommandant Brandt befürchtet möglicherweise «kurz vor Weihnachten eine Entscheidung hinnehmen zu müssen, die nur schwer nachvollziehbar ist». Ihn sorge der «mediale Hype» um die Korruptionsvorwürfe. «Das will ich aber gar nicht schönreden, das ist eine unglaubliche Sauerei.»