09.11.2017
Christine-Felice Röhrs und Ansgar Haase, dpa

Einsatz ohne Ende? Nato schickt wieder mehr Soldaten nach Afghanistan

Afghanistan, immer wieder Afghanistan: Für die Nato kommen aus dem Krisenland am Hindukusch nur wenige gute Nachrichten. Jetzt wird reagiert.

Brüssel/Kabul - Noch eine Weile afghanische Sicherheitskräfte ausbilden und dann abziehen: Das waren 2014 - nach dem Ende des Kampfeinsatzes - die Pläne der Nato für Afghanistan. Nun kommt es ganz anders: Zum Treffen der Nato-Verteidigungsminister an diesem Donnerstag haben sich etliche Nationen bereit erklärt, zusätzliche Soldaten zu schicken. Ein Eingeständnis des Scheiterns? Fragen und Antworten im Überblick:

Was sehen die Pläne vor?

Nach Angaben von Generalsekretär Jens Stoltenberg soll die Zahl der Soldaten für den Nato-Ausbildungseinsatz auf rund 16.000 steigen. Das entspricht einem Plus von mehr als 3.000 Soldaten im Vergleich zur aktuellen Truppenstärke, die wechselnd zwischen 12.000 und 13.000 liegt.

Wird sich Deutschland an der Truppenaufstockung beteiligen?

Das ist angesichts der noch nicht abgeschlossenen Regierungsbildung nach der Bundestagswahl unklar. Vieles wird wohl davon abhängen, ob die Grünen an der Regierung beteiligt werden und wenn ja, wie sie sich dort positionieren. Bislang waren sie mehrheitlich gegen den Afghanistan-Einsatz. Im Verteidigungsministerium sieht das anders aus. Dort bestätigte man jüngst Überlegungen, die Ausbildungstruppe der Bundeswehr in Afghanistan wieder zu verstärken. Die sogenannte Mandatsobergrenze ermöglicht derzeit eine Entsendung von bis zu 980 Soldaten.

Warum will die Nato überhaupt mehr Soldaten schicken?

Weil sich Sicherheitslage am Hindukusch seit dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes im Dezember 2014 drastisch verschlechtert hat. Die radikalislamischen Taliban kontrollieren oder beeinflussen mittlerweile 13,3 Prozent des Landes, heißt es in einem am 30. Oktober veröffentlichten Bericht des US-Sonderinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan. Das sind 54 der 407 Bezirke des Landes und neun mehr als noch vor sechs Monaten. Die Regierung wiederum kontrolliert oder beeinflusst demnach nur noch knapp 57 Prozent des Landes - sechs Prozent weniger als zum gleichen Zeitpunkt 2016. Etwa 30 Prozent des Landes sind umkämpft.

Das US-Militär meldet für den Quartalsbericht außerdem einen «Rekord an bewaffneten Auseinandersetzungen». Wie schlecht die Lage ist, zeigt auch die Tatsache, dass das afghanische Militär für diesen wichtigen Report zum ersten Mal die Zahl der getöteten und verletzten Polizisten und Soldaten zensiert. Im vergangenen Jahr waren mehr als 8.000 Sicherheitskräfte getötet worden, mehr als 14.000 wurden verletzt. Internationale Militärs schätzen, dass diese Zahl 2017 übertroffen werden könnte.

Gleichzeitig hat sich ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Afghanistan etabliert, die vor allem die Schiiten des Landes angreift und dem Konflikt mit den Taliban einen Religionskrieg hinzufügen könnte.

Wie konnte es dazu kommen?

Die afghanischen Sicherheitskräfte, die ihr Land eigentlich seit dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes verteidigen sollen, sind überfordert - und die Nato-Ausbildungsmission, die kein Kampfeinsatz ist, gilt als zu klein.

Wird die Nato doch wieder zum Kampfeinsatz zurückkehren?

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schließt das kategorisch aus. Allerdings wollen die USA Afghanistan weiter auch direkt im Kampf gegen den Terror unterstützen und diese Unterstützung sogar noch einmal ausbauen. US-Präsident Donald Trump hatte bei der Vorstellung der neuen US-Afghanistanstrategie im August davon gesprochen, «den IS auszulöschen, Al-Kaida zu zerquetschen» und die Taliban «daran zu hindern, Afghanistan zu übernehmen».

Sind den Ankündigungen bereits Taten gefolgt?

Die «New York Times» berichtete vor kurzem außerdem, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA mehr Agenten nach Afghanistan schickt, um Taliban zu jagen und zu töten. Weil die verdeckt arbeitenden Einheiten der paramilitärischen «Abteilung für Spezialaktivitäten» reguläre Militäreinheiten verstärkten, blieben der Öffentlichkeit nun noch mehr der amerikanischen Kampfaktivitäten verborgen, warnten die Autoren.

Die USA haben auch die Luftangriffe gegen Taliban und IS stark verschärft. Im September hatten US-Piloten laut einem Bericht der Luftwaffe so viele Bomben und andere Munition über Afghanistan abgeworfen wie zuletzt 2012, als noch knapp 80.000 US-Soldaten im Land waren. Um die Luftangriffe so ausweiten zu können, seien auf der größten US-Basis im Land in Bagram bei Kabul sechs weitere F16-Kampfjets stationiert worden, heißt es in dem Bericht. B-52-Bomber dürften ebenfalls mehr Einsätze fliegen.