Sicherheitspolitischer Bodenseekongress: „Europa in der Ära Trump 2.0 – sicherheitspolitische Perspektiven aus der Sicht der Schweiz, Österreich und Deutschland“
Beim 11. Sicherheitspolitischen Bodenseekongress im Würth-Haus in Rorschach, Schweiz, diskutierten Experten aus Wissenschaft und Politik aus Österreich, Deutschland und der Schweiz die Auswirkungen der sich schnell verändernden geopolitischen Lage. Der DBwV, vertreten durch seinen Landesverband Süddeutschland, war Mitveranstalter. Im Fokus der Diskussion standen die Folgen der US-Politik unter der zweiten Präsidentschaft von Trump, betrachtet aus der Perspektive der jeweiligen Länder.„Europa und die Schweiz haben die Sprache der Macht verlernt!“, war ein Fazit von Dr. Marcel Berni (CH). Der Dozent an der Militärakademie an der EHT Zürich verwies auf die „Great Debate“ über die Lastenverteilung in der NATO, die bereits lange vor Trump 2.0 begann. Die Europäer waren seit langem gefordert, mehr Verantwortung für ihre Sicherheit zu tragen. Mit dem Fokus Amerikas auf China als Hauptgegner bedeutet dies, dass die „USA als Lieferant für Kampfkraft“ in Europa ausfallen. Die „Ära des geopolitischen Outsourcings ist vorbei“.
Unter Trumps unberechenbarer Politik, geprägt von Kosten-Nutzen-Denken und mangelnder Expertise, wurden Vertrauen und Verlässlichkeit in internationale Beziehungen und Bündnisse geopfert. Länder wie Russland, China, Indien und die Türkei verfolgen nationale Interessen nach dem „MAGA“-Prinzip, während Frankreich, Deutschland und Kanada internationale Organisationen wie UN, EU und NATO stärken wollen. Staaten wie Israel und die Ukraine setzen auf eine ausreichende Stärkung ihrer eigenen Positionen. In dieser unberechenbaren Weltlage müsse die Schweiz ihre Neutralität glaubhaft kommunizieren und verteidigen, so Berni.
Europa zwischen den Machtzentren: Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit
Wie sich Europa aus österreichischer Sicht zwischen den neu entstehenden Machtzentren behaupten kann, leitete Generalmajor Dr. Peter Vorhofer (AT) in seiner Analyse her. Die fundamentale Zeitenwende, geprägt durch Klimawandel und neuer Weltordnung, erfordere von Europa einerseits eine Anpassungs- und andererseits eine Sicherheitsleistung, so der Krisensicherheitsberater der österreichischen Bundesregierung. Nach dem Ende eines regelbasierten Nebeneinanders werden Machtoptionen durch eine starke Wirtschaft und Verteidigungsfähigkeit definiert, wobei Strategie und Forschung entscheidend seien. Vorhofer sieht hinter Trumps Politik keinen großen Plan, sondern eine Reaktion auf die immense Verschuldung der USA und die daraus resultierende Hinterfragung ihrer Rolle als globaler Konfliktbewältiger.
Globalisierung wird zunehmend als Sicherheitsrisiko für Amerika wahrgenommen. Europa müsse daher das transatlantische Verhältnis neu definieren und sich zwischen den Machtzentren USA, Russland und China eigenständig positionieren. Die EU müsse handeln und sich von der Regelungspolitik der Friedenszeit lösen. In dieser Krisenphase seien neue Partnerschaften und flexible Koalitionen der Willigen („Koalition-Jumping“) notwendig. Europa müsse bereit sein, Macht über Wirtschaft, Information, Diplomatie und militärische Stärke auszuüben, wozu es die Unterstützung der Bevölkerung brauche. Angesichts der Tatsache, dass 90 Prozent der Bedrohungen (Desinformationen) und Angriffe (digitale und kritische Infrastruktur) die Zivilbevölkerung treffen, sei die Stärkung von Sicherheitskräften und die Sensibilisierung der Bevölkerung essenziell. Vorhofer appelliert: „Europa muss ins Handeln kommen – start the engine!“
Strategische Weitsicht statt Vasallentum: Europas Chance in der multipolaren Weltordnung
Dr. Josef Braml (DE) kritisiert, dass die deutsche Politik jahrelang die imperialen Absichten Russlands und die mögliche Wiederkehr Trumps als Präsident ignoriert haben. Deutschland habe die Vorteile der bisherigen Weltordnung genutzt, ohne notwendige politische Konsequenzen zu ziehen. Vom ehemaligen Vermittler von Werten sei Deutschland zum Vasallen mutiert, der das Denken eingestellt hat. Der Senior Fellow bei der DGAP sieht in Trump den Sargnagel für die bisherige Weltordnung. Die neue multipolare Weltordnung werde auch in Amerika noch nicht vollständig akzeptiert. Mit dem Fokuswechsel der USA auf Asien sei Europa bereits abgeschrieben.
Braml fordert deshalb, dass Deutschland und Europa „strategische Foresight“ entwickeln müsse, um langfristige Entscheidungen in Wirtschaft, Militär und Politik treffen zu können. Die zerstörerische Politik Trumps biete Europa die Chance, eigene Stärken aufzubauen. Braml plädiert für „Vereinte Staaten von Europa“ mit einem Kern aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, den Ausbau des Euros zur Weltwährung und eine enge Verzahnung von Wirtschaft und Militär. Nur so könne Europa in der multipolaren Weltordnung zwischen USA, Russland, China und anderen aufstrebenden Staaten bestehen. Er erinnert an Wolfgang Ischingers Aussage: „Diplomatie ohne Militär ist heiße Luft!“
In der Podiumsdiskussion vertieften die Referenten ihre Ansichten zu zentralen Themen wie der Gewinnung der Bevölkerung für eine stärkere Verteidigungsfähigkeit, der effektiven Vermittlung politischer Expertisen an Entscheidungsträger und der Vorbereitung der drei Länder auf den Ernstfall. Besonders für Deutschland wurde die strukturelle Schwäche deutlich: Es fehlen ressortübergreifende Gremien für eine nationale Sicherheitsvorsorge sowie ein Nationaler Sicherheitsberater und ein Nationaler Sicherheitsrat. Diese Defizite wurden als Hindernisse für eine umfassende und koordinierte Sicherheitsstrategie hervorgehoben.