Sicherheitspolitischer Bodenseekongress diskutiert Folgen des Ukraine-Krieges für Europa
Die Bewältigung der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine erfordert ein geeintes Europa.
Bereits zum zehnten Mal organisierten sicherheitspolitisch aktive Organisationen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland einen gemeinsamen Kongress zur sicherheitspolitischen Lage mit ausgewiesenen Experten. Die diesjährige Drei-Länder-Veranstaltung mit über 150 Teilnehmern im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen unter der Tagungsleitung von Landesvorsitzendem Oberstleutnant a.D. Josef Rauch thematisierte die militärischen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Ukraine-Krieges.
Die Reaktion Europas auf Russlands Bedrohung ist eine starke NATO
Die militärische Antwort auf den Krieg in der Ukraine und den Drohungen Russlands in den Ländern Europas ist der Wiederaufbau erforderlicher Fähigkeiten zu ihrer Verteidigung, so Generalleutnant Magister Bruno Hofbauer, Stellvertretender Chef des Generalstabes (AT). Die Kriegsführung der Russen habe sich nicht wesentlich geändert. Daher brauche es eine Renaissance verlorener eigener Fähigkeiten bei Infanterie- und mechanisierten Kräften, Panzerabwehr, Artillerie- und Pionierkräften. Der massive Einsatz von Drohnen erfordere eine effizientere bodengebundene Flugabwehr. Die traditionellen militärischen Bedrohungen seien nicht verschwunden, aber zu den herkömmlichen Kriegsschauplätzen komme der Cyber- und Informationsraum hinzu. Strategisch führe der Ukraine-Konflikt Europa in einen Kalten Krieg 2.0 und habe die NATO gestärkt, fasste der General seine Bewertung zusammen.
Wichtige strategische Weichenstellungen der Politik sind noch offen
Die Stärkung der NATO sieht Dr. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik nicht nur im Beitritt Schwedens und Finnlands, sondern vor allem in den Anstrengungen für Abschreckungsfähigkeit und einem neuen strategischen Konzept. Zudem bleibe die USA trotz Interessen im indo-pazifischen Raum und der Auseinandersetzung mit China in Europa stark präsent. Dennoch müsse Europa einen stärkeren eigenen Beitrag zur Verteidigung in einer geopolitischen Welt leisten. Obwohl sich die europäische Zeitenwende in einer breiten Unterstützung der Ukraine spiegele, seien wichtige Themenfelder nicht bewältigt. So seien Außen- und Sicherheitspolitik nicht europäisch vereinheitlicht. Eine europäische Armee bleibe wegen nationaler Vorbehalte eine Vision. Die politische Zeitenwende in Deutschland mit dem 100 Mrd. Euro Sondervermögen sei zu kurzgefasst und habe nicht zur Neubewertung militärischer Macht, von Partnern/Bündnissen sowie der internationalen Ordnung geführt. Ein Opfer des Krieges seien die Vereinten Nationen mit einem blockierten Sicherheitsrat. Der erhoffte Neubeginn mit einer Nationalen Sicherheitsstrategie habe nicht die Wirkung entfaltet, um auch eine finanzielle Zeitenwende zu etablieren und die deutsche Gesellschaft auf die Bedrohung Russlands einzustellen, so die Kritik des Politikwissenschaftlers.
Risiken für die Wirtschaft bleiben hoch
Aus wirtschaftlicher Sicht seien die Diversifizierung der Energieversorgung und der Lieferketten eine erste Reaktion europäischer Länder, so Professor Dr. Andreas Müller von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel. Zudem haben die Länder mit der Unterstützung der Ukraine weitere Lasten zu schultern, sei es bei den Flüchtlingsströmen, in den öffentlichen Finanzen und bei den Militärausgaben. Für die europäische Wirtschaft sieht Dr. Müller die größten Risiken neben dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA in einer Ausweitung des Krieges auf die NATO-Staaten. Wesentliche Herausforderungen sieht der Wirtschaftsexperte bei der Koordination von Verteidigungs- und Rüstungsausgaben bei bestehenden nationalen Interessen.
Einfache Antworten auf komplexe Herausforderungen gibt es nicht
In einer lebhaften Paneldiskussion unter der Moderation von Dr. Sabine Donauer, Vorstandsmitglied im Arbeitskreis Außen- und Sicherheitspolitik der CSU, vertieften die Experten ihre Thesen. Dabei wurde deutlich, dass es keine einfachen Antworten auf die komplexen Herausforderungen gibt. Fragen aus dem Plenum gab es u.a. zur Wirksamkeit von Sanktionen, zum Ende des Ukraine-Konfliktes, zur Gefahr eines Atomkriegs oder wie die erforderliche Resilienz in europäischen Gesellschaften hergestellt werden kann.
Tagungsleiter Oberstleutnant a.D. Josef Rauch befand, dass die unterschiedlichen Perspektiven der Experten aus den drei Ländern auf den Krieg in der Ukraine und die strategische Einordnung bisherigen Handelns von Politik, Militär und Wirtschaft den Blick der Teilnehmer auf die Dimension des Konfliktes geweitet habe. Die Forderung, jetzt den Ukraine-Krieg einzufrieren – wie es neulich aus Deutschland zu hören war – lassen Zweifel an der entschlossenen Unterstützung der Ukraine aufkommen.
Den Bodenseekongress nahm der DBwV-Landesvorsitzende am Ende zum Anlass, um von der Kameradschaft ERH Westlicher Bodensee Oberstleutnant a.D. Eckart Lakowski mit der Medaille für 40 Jahre Mandatstätigkeit und Oberst a.D. Eberhard Möschel für Verdienste um den BundeswehrVerband mit der Verdienstnadel in Silber auszuzeichnen.