Landesverband Süd auf der Nürnberger Sicherheitstagung 2016
Die „Thomas Dehler Stiftung für Freiheit“ veranstaltete am 15. und 16. September zusammen mit weiteren Stiftungen, Gesellschaften und Verbänden, darunter dem Deutsche BundeswehrVerband, die traditionelle Nürnberger Sicherheitstagung im dortigen Presseclub.
Wieder war es gelungen kompetente Referenten zu gewinnen, die sicherheitspolitische Risiken in und um Europa aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten. In seiner Begrüßung stellte der Münchner Rechtsanwalt und ehemalige Bundestagsabgeordnete Hildebrecht Braun heraus, dass der sicher geglaubte Frieden in Europa in den letzten Jahren immer unsicherer geworden sei. Um sich greifende Krisenherde rücken näher an Deutschland und Europa heran und zwingen die Staaten mehr für ihre Sicherheit zu tun.
Daran anknüpfend stellte Günter Heiß, Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt und dort zuständig für die Koordination der Geheimdienste, in seinem Beitrag fest, dass Europa längst nicht mehr nur von Freunden umgeben sei. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen in den letzten 15 Jahren haben deutlich zugenommen und der internationale Terrorismus stellt eine zusätzliche Bedrohung dar, der schwer zu begegnen ist.
Mit den Anschlägen in Frankreich, Belgien, Ansbach und Würzburg habe der IS die Verwundbarkeit Europas gezeigt. Der Verfall der Staatsgewalt im Irak, in Libyen und Syrien haben dem IS erst den Nährboden gegeben und so zur Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr beigetragen. Die Rolle Russlands im Ukrainekonflikt bereitet Heiß Sorgen. Er ist überzeugt davon, dass Russland wieder als Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA wahrgenommen werden will. Sicherheitsrisiken seien nicht allein durch nationales Handeln sondern nur gemeinsam in einem europäischen Ansatz wirksam und glaubhaft zu begegnen.
Realisierungsmöglichkeiten einer europäischen Armee zeigte Professor Sven Bernhard Gareis vom George C. Marshall European Center für Sicherheitsstudien aus Garmisch-Partenkirchen auf. Er bekräftigte, dass die europäischen Staaten in der Außen- und Sicherheitspolitik enger zusammenarbeiten müssten. Mit nationalstaatlichen Ansätze und Interessen bei der Krisenbewältigung führen nicht zu zeitnahen notwendigen Lösungen. „Die USA erwarten, dass Europa selber für seine Sicherheit sorgen kann.“
Er führte weiter aus, dass über Pooling und Sharing oder Smart Defense viel gesprochen werde, ohne eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik werde dies nicht zu realisieren sein. Der auflebende Nationalismus in einigen europäischen Ländern lässt nicht auf baldige Einigung hoffen.Theo Sommer, ehemaliger Herausgeber der „Zeit“, befasst sich in seinem Vortrag mit der Bedeutung von Atomwaffen in Gegenwart und Zukunft. Zahlenmäßig haben die nuklearen Gefechtsköpfe nach dem Kalten Krieg zwar deutlich abgenommen, dagegen sei trotz Atomwaffensperrvertrag die Zahl der Länder angestiegen, die über solche Waffen verfügen. Im Fall Nordkorea sei unklar, welche Zwecke damit verfolgt werden. Mit dem Besitz von atomaren Sprengköpfen hielten sich die Länder für unangreifbar. Eine globale Nulllösung bei Atomsprengköpfen ist wünschenswert, aber für absehbare Zeit für unrealistisch. Sorge bereitet die Unklarheit darüber, ob der „islamische Staat“ Zugang zu Kernwaffen hat, da Terroristen des IS bei der Verfolgung ihrer Ziele keine Hemmschwelle haben.
Der Krisenbeauftragte der Bundesregierung im Auswärtigen Amt, Markus Potzel, zog Bilanz über den Afghanistaneinsatz. Er selbst war 2014 bis 2016 deutscher Botschafter in Kabul und hat das Ende von ISAF sowie den Übergang zu Resolut Support miterlebt. Nach 9/11 basierend auf mehreren UN-Resolutionen versuchte die internationale Gemeinschaft den von Afghanistan ausgehenden Terrorismus auszumerzen und das Land zu stabilisieren. In Spitzenzeiten waren dabei bis 140.000 Soldaten im Einsatz. Ab 2011 wurde schrittweise die Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben. Es sei zwar gelungen, den Terrorismus von Al-Quaida weitgehend einzudämmen, eine nachhaltige Stabilisierung des Landes kann nicht festgestellt werden. Nach seiner Einschätzung wären die Flüchtlingsströme von Afghanistan nach Europa ohne die weitere Präsenz von ausländischen Truppen im Rahmen der Mission Resolut Support noch deutlich größer. „Aufwand und Nutzen des ISAF-Einsatzes standen in einem ungünstigen Verhältnis, weil zu viel Wert auf militärischen Einsatz und zu wenig auf den zivilen Wiederaufbau gelegt wurde.“ Auch wenn sich Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen seit 2001 deutlich verbessert hätten, seien die afghanischen Sicherheitskräfte in vielen Teilen des Landes noch nicht in der Lage, die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten.
Alexander Golts, russischer Kolumnist und Leiter einer systemkritischen Internetseite der „Moscow Times“, überraschte in seinem Eingangsstatement mit der These, dass ein neuer Kalter Krieg begonnen hätte. Nachdem es offensichtlich nicht gelungen sei, ihn zu verhindern, ist die Frage, wie die Staaten am besten damit umgehen sollen. Die einzige Stärke Russlands sei sein Arsenal an Nuklearwaffen, das zur Abschreckung weiter ausgebaut werden solle. Im Grenzbereich zum Baltikum habe Russland sieben neue Divisionen stationiert und somit auch konventionell gegenüber der NATO aufgerüstet. Nach seiner Ansicht ist Deutschland der Staat in Europa, dem Präsident Putin am meisten vertraut. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sei mit seiner Initiative zur Abrüstung auf dem richtigen Weg zurück zur Entspannung. Die nächsten Jahre seine entscheidend für den Erhalt des Friedens.
„Die EU nach dem Brexit“ beschäftigte die Volkswirtin und Autorin Gerlinde Sinn. Mit dem absehbaren Austritt eines der Gründerländer und zunehmender nationalistischer Positionen einiger „junger“ Mitgliedsländer sei der Zusammenhalt in der Europäischen Union auf eine existenzielle Bewährungsprobe gestellt. Das Königreich habe eine Wirtschaftskraft wie die 20 kleinsten EU-Mitgliedsstaaten zusammen. Der Austritt hat deshalb Folgen für alle. Das Ausmaß wirtschaftlicher Konsequenzen werde maßgeblich abhängen davon, ob und wie ein mögliches Freihandelsabkommen mit den Ländern der EU ausgestaltet werde. Betroffen davon ist maßgeblich auch die deutsche Wirtschaft, die innerhalb der EU die engsten Handelsbeziehungen mit Großbritannien unterhält. Es ginge jetzt maßgeblich darum, zu welchen Konditionen der Brexit erfolgt. Die Einführung von Zöllen wäre sowohl für England als auch Deutschland wirtschaftlich schädlich. Gleichwohl könnten sich bei wirtschaftlichem Erstarken der Briten nach dem Austritt national orientierten Mitgliedsstaaten ermutigt fühlen, die Europäische Union zu verlassen.
Brigadegeneral Stefan Linus Fix, Unterabteilungsleiter in der Abteilung Planung im Bundesministerium der Verteidigung, stellte Aufgaben und Strukturen nach dem Weißbuch 2016 der Bundesregierung vor. Durch die Annexion der Krim habe man sich innerhalb der NATO wieder deutlich mehr auf Landes- und Bündnisverteidigung konzentriert. Der Einsatz von vier NATO-Bataillonen im Baltikum sei ein sichtbares Zeichen der Entschlossenheit des Verteidigungsbündnisses, seiner Zielsetzung nachzukommen. Mit Blick auf personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr räumte er ein, dass hier deutlicher Nachsteuerungsbedarf bestehe.
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestagestages, Dr. Hans-Peter Bartels, machte deutlich, welche Auswirkungen die Weichenstellungen im Weißbuch 2016 auf die Bundeswehrangehörigen habe. Mit Blick auf die Materiallage der Streitkräfte seien gravierende Defizite festzustellen. „In Zeiten der Friedensdividende mussten unsere Streitkräfte infolge von Sparmaßnahmen von der Substanz leben.“ Das schlage sich jetzt in fehlender Ausrüstung nieder – angefangen bei Bekleidung über Taschenlampen, Nachtsichtgeräte, Waffen bis hin zu gepanzerten Fahrzeuge. Die Materialdepots seien leer wie noch nie. Der Ukrainekonflikt führte zu einem Umdenken. Der jetzt in der Trendwende Personal, Material und Finanzen für die Streitkräfte angesetzte Paradigmenwechsel sei zu begrüßen, ist aber zeit- und kostenintensiv.
Frank-Jürgen Weise, Vorsitzender der Bundesagentur für Arbeit und Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ging auf die aktuelle Flüchtlingssituation ein. Die Entscheidung der Bundeskanzlerin im vergangenen Jahr hält er aus humanitären Gründen für unvermeidlich. Als Leiter des BAMF habe er nie daran gedacht, den stärker werdenden Fachkräftemangel mit Flüchtlingen auszugleichen. Viel von Ihnen werden Jahre brauchen, ehe sie in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten.
Eindrucksvoll beschrieb er die Kraftanstrengungen des BAMF, um Registrierung, Identifizierung und den Datenaustausch zwischen den beteiligten Behörden auf eine einheitliche Grundlage zu stellen und damit die Asylverfahren zu beschleunigen. Wegen des Datenschutzes war zusätzliche Gesetzgebung notwendig, um den Datenaustausches zwischen beteiligten Behörden zu ermöglichen. Entscheidungen zu Asylanträgen neu ankommender Flüchtlinge werden aktuell in durchschnittlich eineinhalb Monate getroffen. Altfälle bräuchten deutlich länger.
Doktor Moussa Al-Hassan Diaw, Religionswissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Linz wandte sich dem Thema zu: „Was treibt junge Muslime aus Europa zum IS und was können wir dagegen tun?“. Er ist Mitbegründer eines sozialen Netzwerks, welches sich in österreichischen Gefängnissen seit Februar 2016 um Jugendliche kümmert, die sich dem Dschihad verschrieben haben. Aus eigener Erfahrung berichtete er, dass viele von ihnen in Syrien oder Irak für den IS oder andere Gruppen gekämpft haben. Nach ihrer Rückkehr nach Europa trachteten einige von ihnen danach, Anschläge mit möglichst zahlreichen Toten und Verletzten zu verüben.
Gerade Jugendliche ohne oder mit schlechter Zukunftsperspektive, zu geringer Beachtung und damit fehlender Anerkennung seien für eine Radikalisierung anfällig. Mit deutschsprachigen Werbevideos im Internet suggerieren IS-Werber, dass Kämpfer des IS bei ihrem Einsatz für den Islam Ehre, Respekt, Überlegenheit und Lebensfreude erfahren. Diesen Versprechungen folgend konvertieren Jugendliche aus deutschen und österreichischen Familien zum Islam und lassen sich radikalisieren. Diaw gibt zu, dass ein Lösungsansatz schwierig ist.
Er plädiert dafür, sich stärker um Jugendliche in sozialen Brennpunkten zu kümmern und ihnen eine Perspektive zu bieten.
Der stellvertretende Landesvorsitzende Süddeutschland, Oberstleutnant Josef Rauch, ehrte den Moderator der Tagung, Generalleutnant a.D. Heinz Marzi, für 50 Jahre Mitgliedschaft im Deutschen Bundeswehrverband. Sichtlich überrascht darüber stellte Marzi in seinem Dank seine Überzeugung von der Notwendigkeit einer starken Interessenvertretung wie dem DBwV heraus.