Strategischer Kompass der EU: Schnelle Verlegefähigkeit ist nur eines der Ziele
Am 15. November 2021 wurde den Außenministern der EU-Mitgliedsländer der erste Entwurf des Strategischen Kompasses präsentiert. Der Strategische Kompass ist ein Grundlagendokument der EU, das auf politisch-strategischer Ebene die Entscheidungsfindung der EU im Bereich GSVP/GASP weiterentwickeln und beschleunigen soll. Der Strategische Kompass wurde während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 auf den Weg gebracht und soll im März 2022 während der französischen Ratspräsidentschaft abgeschlossen sein, um die Europäische Union zukünftig in die Lage versetzen zu können, weltweite Krisen mit einem Vorausblick von sechs bis 24 Monaten erfassen zu können.
Der Entstehungsprozess des Dokuments lässt sich in zwei Phasen unterteilen: in die Dialogphase Januar 2021 bis September 2021 sowie in die Schreibphase Mitte September 2021 bis Dezember 2021. Dabei sollen die EU-Mitgliedsländer zuerst über die vier Hauptthemen Krisenmanagement, Resilienz, Fähigkeiten und Partnerschaften in den Austausch gehen, um dann im Anschluss die Ergebnisse zu verschriftlichen.
In einem Artikel der „FAZ“ vom 11. November 2021 wird der Hohe Vertreter Josep Borrell dahingehend zitiert, dass die Europäische Union ihre Rolle als weltpolitischer Akteur zunehmend realpolitisch aufwerten will im Bereich der militärischen Fähigkeiten. Borrell fasst die aktuelle sicherheitspolitische Gesamtlage der Europäischen Union mit dramatischen Worten zusammen, da man die „Rückkehr der Machtpolitik“ nicht nur mit militärischen Mitteln erlebe, sondern auch mit Cyberangriffen, der Instrumentalisierung von Migranten, privaten Armeen und der Kontrolle über Rohstoffe via Seltene Erden.
Schnelle Verlegefähigkeit von bis zu 5000 Soldaten
Darauf will die EU reagieren: Mit einer „Rapid Deployment Capacity” soll bis 2025 eine schnelle Verlegefähigkeit von bis zu 5000 Soldaten aufgebaut werden. Bis zu diesem Zeitpunkt soll auch der Bau eines militärischen EU-Hauptquartiers abgeschlossen sein, das neben den EUTM-Ausbildungsmissionen zwei kleinere oder einen mittleren Kampfeinsatz führen kann – im Sinne der Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato. Die von der EU bislang nicht eingesetzten Battle Groups sollen „substanziell modifiziert“ werden, das heißt, Soldaten sollen gemeinsame an Einsatzszenarien orientierte Übungen abhalten.
Mithilfe des Artikels 44 des EU-Vertrages soll es willensfähigen EU-Mitgliedstaaten ermöglicht werden, eine „Koalition der Willigen“ zu formieren, um Militäreinsätze schnell auf den Weg zu bringen. Durch die neu geschaffene „Friedensfazilität“ sollen all diejenigen EU-Mitgliedstaaten substanzielle Zuwendungen aus einem gemeinsamen Budget erhalten, die sich an laufenden EU-Missionen beteiligen. Einem Gastbeitrag vom Hohen Vertreter vom 12. November zufolge soll der Strategische Kompass unter anderem das Ziel verfolgen, militärische Operationen in dreifacher Weise einsatzfähiger und effizienter zu gestalten:
- Modularer Ansatz: Anhand von vorher definierten Einsatzszenarien soll die Truppenzusammensetzung festgelegt werden.
- Klare Richtlinien sollen Auftrag und Umfang der Streitkräfte festlegen.
- Priorisierung der Mängelbeseitigung zur Überwindung der beeinträchtigten operativen militärischen Fähigkeiten.
Offen bleibt, ob der politische Wille von den EU-Mitgliedstaaten aufgebracht werden kann, die sicherheitspolitischen Herausforderungen in einem fluiden geopolitischen Umfeld frühzeitig zu antizipieren und proaktiv zum eigenen Nutzen umzumünzen. Fraglich ist ebenfalls, ob die Begleitung und Umsetzung des Strategischen Kompasses durch die neue Bundesregierung im Sinne eines vernetzten Ansatzes ministerienübergreifend erfolgt, indem zum Beispiel ein nationaler Bundessicherheitsrat eingerichtet wird.