Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Die politischen Schwerpunkte hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede skizziert. Foto: picture alliance/dpa

Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Die politischen Schwerpunkte hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede skizziert. Foto: picture alliance/dpa

31.05.2020
Yann Bombeke

Kanzlerin vor EU-Ratspräsidentschaft: „Europa kann gestärkt aus der Krise hervorgehen“

Berlin. In wenigen Wochen, am 1. Juli, übernimmt Deutschland für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Auch wenn die Covid-19-Pandemie in Deutschland und im restlichen Europa abzuklingen scheint: Sicher ist, dass sich Europa noch lange mit den Folgen der Krise beschäftigen muss.
 
„Die Corona-Pandemie hat unsere Welt auf den Kopf gestellt – und so auch die Planungen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Veranstaltung in der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung zur „Außen- und Sicherheitspolitik in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft“. Vor wenigen Wochen sei es unvorstellbar gewesen, in welchem Maße die Pandemie das Leben in der Europäischen Union beeinflussen würde. Freiheitliche Demokratien seien gezwungen gewesen, umfangreiche Maßnahmen wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zu erlassen. „Diese Entscheidungen gehörten zu den schwersten meiner ganzen Amtszeit als Bundeskanzlerin“, sagte Merkel, die das Corona-Virus als „demokratische Zumutung“ bezeichnete.

Die Kanzlerin machte deutlich: Auch wenn die Krisenbewältigung in den Mittelpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft gerückt sei, wolle man dennoch die zuvor geplanten Schwerpunkte und Zukunftsthemen weiterverfolgen. Dabei nannte Merkel die Frage des klimaneutralen Wiedererstarkens der Wirtschaft, das Vorantreiben der Digitalisierung und die Stärkung Europas als Stabilitätsanker in der Welt.

Mit Blick auf die Herausforderungen durch das Corona-Virus sagte die Kanzlerin, dass Europa noch näher zusammenrücken müsse. „Wir müssen einander helfen, wo immer dies möglich ist. Denn wir wissen, dass es Deutschland auf Dauer nur dann gut geht, wenn es auch Europa gut geht“, sagte die Unionspolitikerin. Merkel gab sich zuversichtlich, dass Europa sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen könne: „Damit wird diesem Anspruch gerecht werden können, gibt es für mich ein Leitmotiv, und zwar: europäischer Zusammenhalt und europäische Solidarität – gerade auch in dieser Pandemie.“ Es sei dieses Leitmotiv der gemeinschaftlichen und zukunftsgerichteten Krisenbewältigung, das die deutsche EU-Ratspräsidentschaft prägen werden, so Merkel.

Die Bundeskanzlerin verwies auf die Hilfsleistungen unter den europäischen Partnernationen zu Beginn der Pandemie. Für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sei aber weit mehr erforderlich. In den kommenden Tagen würden weitere Beratungen im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs geführt. Deutschland und Frankreich würden dabei gemeinsam und zielorientiert agieren, kündigte die Kanzlerin an.

Europa als Stabilitätsanker

Merkel warnte aber auch vor einer Verschärfung bestehender Konflikte und Probleme durch die Corona-Krise, die damit auch eine Belastung für die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU sei. „Umso mehr müssen wir die Werte, für die wir innerhalb der Europäischen Union stehen – Solidarität, Demokratie, Freiheit und Schutz der Würde jedes Menschen – auch in der Welt vertreten“, so die Regierungschefin. Gerade in einer destabilisierten Welt sei es im europäischen Interesse, als Stabilitätsanker dienen zu können. „Ich sehe unsere deutsche Ratspräsidentschaft als Chance, Europa als solidarische, handlungsfähige und gestaltende Kraft weiterzuentwickeln, die Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt übernimmt“, sagte Merkel.

Ein außenpolitischer Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werde das europäische Verhältnis zu China sein. In der Gestaltung der Beziehungen dürfe es nicht nur um den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gehen, sondern auch darum zu erkennen, wie entschlossen China einen führenden Platz in den Strukturen der internationalen Architektur beansprucht. Mit Blick auf Fragen der Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, auch im Zusammenhang mit der aktuellen Lage in Hongkong, mahnte Merkel einen „offenen, kritisch-konstruktiven“ Dialog an.

Ein weiterer außenpolitischer Schwerpunkt sei Afrika. So ist für Oktober ein Gipfel mit der Afrikanischen Union geplant. Neben der vertieften Zusammenarbeit werde es dabei um das gemeinsame Vorgehen gegen das Corona-Virus gehen.

Wichtigster Partner der EU seien aber weiterhin die Vereinigten Staaten von Amerika. Merkel sagte, sie sei sich bewusst, dass „die Zusammenarbeit mit Amerika derzeit schwieriger ist, als wir uns dies wünschen würden“. Trotz der Differenzen, etwa in Klima- oder Handelsfragen, gab sich Merkel aber optimistisch: „Dennoch bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die transatlantischen Beziehungen, die Zusammenarbeit und das Bündnis mit den USA und in der NATO ein zentraler, tragender Pfeiler unserer Außen- und Sicherheitspolitik sind und bleiben.“ Europa und die USA seien in Fragen der globalen Ordnung oder von Frieden und Stabilität aufeinander angewiesen.

Merkel unterstrich, dass Europa nicht neutral sei, sondern Teil des politischen Westens. Das präge auch das Verhältnis zu Russland. „Es gibt zahlreiche wichtige Gründe, gute Beziehungen mit Russland anzustreben. Dazu zählen die geografische Nähe und gemeinsame Geschichte, globale Herausforderungen und wechselseitige Wirtschaftsbeziehungen“, sagte die Kanzlerin. Seit Beginn ihrer Kanzlerschaft bemühe sie sich um einen kritisch-konstruktiven Dialog und ein friedliches Miteinander. „Grundlage dafür kann nur das Verständnis davon sein, dass in den internationalen Beziehungen nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gelten“, sagte Merkel.

Russland habe aber in seiner unmittelbaren Nachbarschaft „einen Gürtel ungelöster Konflikte“ geschaffen und „die ukrainische Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert“. Das Land greife zudem westliche Staaten mit hybriden Mitteln an – auch Deutschland. Falls Fortschritte im Minsk-Prozess ausblieben, müssten die bestehenden Sanktionen aufrechterhalten bleiben, so Merkel.

Im Zeichen der Corona-Krise beschwor die Bundeskanzlerin eine Stärkung Europas nach innen, „damit wir auch nach außen in der Welt als solidarischer Stabilitätsanker auftreten können“. Ihren Vortrag schloss Merkel mit einem bekannten Zitat von Konrad Adenauer: „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“

Die vollständige Rede der Bundeskanzlerin finden Sie HIER.

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