Europas Soldaten wollen mit einer Stimme sprechen
Wo sich nach dem Zweiten Weltkrieg belgische Besatzungsoffiziere erholten, erfolgte im September 1972 die offizielle Gründung des zunächst noch westeuropäischen Soldatenverbandes.
„Wir wollen heute eine Organisation gründen, die alle Militärpersonal-Organisationen in den westeuropäischen Ländern vertritt und den Namen ‚EUROMIL‘ trägt.“ Mit diesen Worten eröffnete am Mittwoch, dem 13. September 1972, der Präsident des vorläufigen Präsidiums, Christian Sørensen, feierlich die erste Mitgliederversammlung der „Europäischen Organisation der Militärverbände e.V.“ Nach einer Vorbereitungszeit von mehr als drei Jahren vollzogen etwa dreißig Delegierte und Gäste aus Belgien, Dänemark, Italien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland in Bergisch Gladbach offiziell den Gründungsakt. Zwei norwegische Verbände waren durch Beobachter vertreten. Ort des Geschehens war das Haus Lerbach – seit 1961 Sitz des aus dem nationalen Jugendsekretariat der Europäischen Bewegung hervorgegangenen Gustav-Stresemann-Institutes (GSI), welches in dem 1898 im Neorenaissancestil erbauten Herrenhaus die Bildungsstätte „Europäische Akademie Lerbach“ betrieb. Die Geschichte des schlossähnlichen Areals weist einen weiteren Bezug zu dem Gründerkreis auf, dessen sich die Organisatoren seinerzeit nicht bewusst gewesen sind : 1945 hatten die Belgischen Streitkräfte das im Besitz der Familie von Siemens befindliche Anwesen vorübergehend konfisziert und es zwischen 1949 und 1954 als Erholungsheim für belgische Offiziere genutzt.
In seiner Eröffnungsrede zog Christian Sørensen eine positive Bilanz der Aufbauzeit von EUROMIL. Rechtliche und organisatorische Fragen seien gelöst worden, um nach der Zustimmung der Delegierten zum Statut und der formellen Anerkennung der Grundsätze mit diesem Tag eine handlungsfähige europäische Organisation zu bekommen. Die Verhältnisse in den Ländern seien verglichen worden, um sich gegenseitig durch den Austausch von Erfahrungen zu helfen. EUROMIL habe bereits in dieser Zeit „tatsächlich gewirkt“.
Die Gründungsveranstaltung trug weniger repräsentativen, sondern eher Arbeitscharakter. Prominentester Gast war der Präsident des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, der Bundestagsabgeordnete Dr. Ernst Majonica. In den 1960er-Jahren gehörte er zu den maßgeblichen jüngeren Außenpolitikern der Union und war zehn Jahre außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Durch seine positive Haltung zur sogenannten. „neuen Ostpolitik“ der Regierung Brandt/Scheel war er allerdings seit 1969 in seiner Partei zum Außenseiter geworden. Den schroffen Ablehnungskurs des größten Teils seiner Fraktion zur Öffnung gegenüber den Staaten des Ostblocks trug er nicht mit. Majonica befürchtete, dass die Verweigerungshaltung die Bundesrepublik unweigerlich in einen Gegensatz zur westlichen Politik führen würde und sie auch im eigenen Lager zu isolieren drohte.
Darüber hinaus zeigte das politische Bonn lediglich ein geringes Interesse. Die SPD-Bundestagsfraktion ließ sich durch einen Mitarbeiter des Arbeitskreises Sicherheitspolitik vertreten, das Bundesministerium der Verteidigung entsandte den streitbaren Fregattenkapitän Hans-Joachim Fried vom Presse- und Informationsstab. An dessen polarisierenden Äußerungen – unter anderem, dass „hinter jeder Radaugruppe ein evangelischer Pastor stehe“ – hatte sich 1968 eine Debatte im Deutschen Bundestag entzündet.
Aktuelle Ereignisse verdrängten die historische Tat der Gründung eines europäischen Dachverbandes der Soldatenverbände aus den Nachrichten. Der Terroranschlag auf die israelische Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in München und die misslungene Geiselbefreiung lagen wenige Tage zurück. An diesem 13. September 1972 kündigte Innenminister Hans-Dietrich Genscher die Aufstellung einer Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes zur Bekämpfung von Terroranschlägen, der GSG 9, an. Erstmals besuchte ein polnischer Außenminister die Bundesrepublik, wo es bis dahin entsprechend der Hallstein-Doktrin nicht einmal eine Botschaft des Landes gab.
Im Vorfeld der Gründung von EUROMIL hatte sich der DBwV dem Deutschen Rat der Europäischen Bewegung angeschlossen ; dadurch wurde Heinz Volland Mitglied des Vorstands dieses parteiübergreifenden Netzwerkes. Über den Zuwachs durch „einen der aktivsten und lebendigsten Verbände in der Bundesrepublik“ erfreut, beschwor Präsident Majonica im Hauptreferat der Gründungsversammlung die Verantwortung der Soldaten und ihrer Interessenvertretungen für die Friedenssicherung des größer werdenden Europas. Mit der Gründung von EUROMIL werde in das zusammenwachsende Europa mit einer Standesorganisation „ein weiteres Stück Demokratie“ eingefügt. Majonica ging von der Entwicklung zu einer multipolaren Welt aus, die durch die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, China und Japan dominiert wird. Ein zersplittertes Europa könne den Machtzentren nichts entgegensetzen und werde aus der Weltpolitik ausscheiden. Selbst wenn der als illusorisch anzusehende Fall eintreten würde, dass die Sowjetunion den Staaten ihres Hegemonialbereichs die außenpolitische Freiheit zugesteht, bliebe sie immer noch als militärische und politische Macht bestehen. Ein demokratisches Westeuropa, dem es nicht gelinge, zur Wirtschaftspolitik eine gemeinsame Außenpolitik zu entwickeln, die im Rahmen der NATO eine bestimmte Funktion auch innerhalb der Verteidigungspolitik hat, bleibe ein Anhängsel der beiden Supermächte. Ein europäischer Bundesstaat könne hingegen zum gleichberechtigten Partner der USA werden.
Organisatorisches stand im Mittelpunkt der Mitgliederversammlung am Nachmittag des 13. September, die Heinz Volland leitete. Den eigentlichen Gründungsakt von EUROMIL bildete die Abstimmung über den Satzungsentwurf, auf den sich das vorläufige Präsidium Anfang Juni 1972 in Hatzenport geeinigt hatte. Die „letzten technischen Satzungsprobleme“ waren in der Präsidiumssitzung am Vortag gelöst worden. Festgelegt wurde, dass jeder Mitgliedsverband in Abhängigkeit von seiner Mitgliederzahl bis zu fünf Delegierte zu den Mitgliederversammlungen entsenden darf. Definiert wurden die Aufgaben des Präsidiums, das die Interessen von EUROMIL zwischen den alle zwei Jahre stattfindenden Mitgliederversammlungen vertritt. Es sollte über die Mitgliedsbeiträge beschließen, die Finanzen nach Haushaltsplan verwalten und die Beschlüsse der Mitgliederversammlung ausführen. Paragraf 1 legte den Sitz der Organisation auf das Land und den Ort fest „wo sich das Sekretariat befindet“. Bis 1995 war dies Bonn, wo Guido Daleman im Gebäude der Bundesgeschäftsstelle das Sekretariat leitete.
Als internationaler Dachverband nahm EUROMIL für sich in Anspruch, eine Million Soldaten zu repräsentieren. Ausdrücklich beschränkte sich die Organisation nicht lediglich auf die Vertretung der Interessen des Militärpersonals, sondern ebenso auf die der ehemaligen Militärangehörigen beziehungsweise der Familien dieser Gruppen. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte folglich auch der Bund der Reservisten der Bundeswehr (VdRBw), den Heinz Volland in Bergisch Gladbach mit Vollmacht vertrat. Der Deutsche Soldatenbund Kyffhäuser und der Verband deutscher Soldaten nahmen als Beobachter teil.
Einstimmig bestätigte die Mitgliederversammlung das bisher provisorische Präsidium und wählte Christian Sørensen zum Präsidenten sowie Heinz Volland zu einem der vier Vizepräsidenten. Auf seiner ersten Sitzung am 14. September teilte das nun reguläre Präsidium die anstehenden Aufgaben auf mehrere Arbeitsgruppen auf. Eine PR-Gruppe unter der Leitung des Chefredakteurs der „Bundeswehr“, Arno Taulien, sollte die Pressearbeit koordinieren, eine „Kontaktgruppe“ Regierungschefs und Verteidigungsminister über EUROMIL informieren. Fragen des Dienstrechts in den Armeen standen im Mittelpunkt einer weiteren Gruppe, deren Leitung der Belgier Lucien van den Berghe übernahm.
Bei der Wahl des Niederländers Antoon de Laat zum „Schatzkanzler“ von EUROMIL dürfte eher der Wunsch bei der Bezeichnung Pate gestanden haben. In realistischer Einsicht in die zu erwartenden finanziellen Einnahmen, zu denen neben dem DBwV die Verbände aus Dänemark, Italien, Belgien und den Niederlanden beitrugen, arbeiteten alle Vorstandsmitglieder ehrenamtlich. Auch wenn EUROMIL keine Schätze zu verwalten hatte und mit beschränkten Mitteln haushalten musste, hatten die westeuropäischen Soldaten „eine Organisation erhalten, die flexibel genug war, um zu überleben und unter sich zunehmend verändernden Bedingungen wirken zu können“.
Der Autor dankt Guido Daleman, Jens Rotbøll und Emmanuel Jacob für wichtige Hinweise und Dokumente.