Der lange Kampf für das Koalitionsrecht der Soldaten in Europa
Seit seiner Gründung setzt sich EUROMIL in den europäischen Institutionen für die Rechte des europäischen Bürgers in Uniform ein.
Mit der Gründung der Dachorganisation EUROMIL verfolgten die beteiligten Soldatenverbände das zentrale Ziel, den Soldaten in allen europäischen Demokratien zu ermöglichen, ihrer Stimme durch eigene Berufsverbände Gehör zu verschaffen. Damit sahen sich die Akteure im Einklang mit der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wozu ausdrücklich auch das Recht eines jeden Menschen gehörte, „zum Schutze seiner Interessen Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten“. Eine entsprechende Formulierung enthält auch die 1950 unterzeichnete und 1953 in den Mitgliedstaaten des Europarates in Kraft getretene „Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“. Dieses grundlegende Recht stand allerdings unter dem Vorbehalt, dass im Interesse der nationalen oder öffentlichen Sicherheit für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der Staatsverwaltung die Ausübung dieses Rechtes Einschränkungen unterliegen kann. In der Praxis bedeutete es, dass einzelne Staaten die Bildung von Berufsverbänden der Soldaten verboten. In Großbritannien und einigen südeuropäischen Ländern sah die politische Führung im „Bündewesen im Heere“ eine „Nebenregierung“, welche die Kommandogewalt der militärischen Vorgesetzten beeinflussen oder gar durchkreuzen könne. Es regierte die Furcht vor einer Lockerung der Disziplin und Schwächung der Streitkräfte.
Positive Erfahrungen
Gegen dieses Vorurteil setzte sich EUROMIL zur Wehr. In einer 1980 im niederländischen Amersfoort verabschiedeten „Resolution zur Vereinigungsfreiheit und Koalitionsrecht“ verwiesen die Mitgliedsverbände auf die positiven Erfahrungen mit soldatischen Berufsverbänden Belgiens, der Bundesrepublik Deutschland, Dänemarks und der Niederlande. In keinem Fall habe die Wahrnehmung des Koalitionsrechtes die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte beeinträchtigt – im Gegenteil : „Alle Soldaten wollen die Demokratie, die sie schützen, erleben.“
Die in einigen Ländern praktizierte Einschränkung des Rechtes der Soldaten, sich gewerkschaftlich oder in Berufsverbänden zu organisieren, führte nach Ansicht von EUROMIL-Präsident Jørn Kristensen dazu, dass sich Soldaten aller Dienstgrade als „zweitklassige Bürger“ fühlten. Dies bewirke eine Entfremdung von den demokratischen Werten und der Gesellschaft, die erwartet, im Ernstfall verteidigt zu werden. Die Streitkräfte würden gerade für die benötigten gut ausgebildeten Fachkräfte unattraktiv. Bei sozialen Spannungen innerhalb der Streitkräfte fehle eine Instanz, die vermittelnd eingreifen könne, sowie ein „Frühwarnsystem“, das die Führung über Probleme informieren und geeignete Vorschläge zur Steigerung der Attraktivität des Soldatenberufs einbringen kann. Soldaten dieser Länder zeigten sich immer weniger bereit, sich damit abzufinden. Um deren Rechten Geltung zu verschaffen, setzte EUROMIL auf die Mitwirkungsrechte der zwischenstaatlichen Organisationen in Europa.
Die älteste ist der Europarat mit Sitz in Straßburg. Mit Ausnahme der Russischen Föderation und von Belarus gehören ihm gegenwärtig alle europäischen Staaten an (der Vatikanstaat verfügt über Beobachterstatus). Zum Schutz der Menschenrechte, der pluralistischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit war er 1949 gegründet worden. Eines der zwei im Statut verankerten Organe des Europarates ist die Parlamentarische Versammlung. Sie setzt sich aus Abgeordneten zusammen, die durch die nationalen Parlamente aus ihren eigenen Reihen heraus benannt werden. EUROMIL gelang es hier, wichtige Fürsprecher im Ringen um die Anerkennung des Koalitionsrechtes der Soldaten zu finden. Nachdem weder das Ministerkomitee noch die Parlamentarische Versammlung Bedenken formuliert hatten, wurde EUROMIL am 28. März 1979 in die Liste der nichtamtlichen Organisationen mit beratendem Status beim Europarat eingetragen. Damit erhielt die Dachorganisation der europäischen Soldatenverbände die Möglichkeit, am Entscheidungsprozess des Europarats teilzunehmen.
Entscheidung im Europarat
Schwierig gestaltete sich indessen der Vorstoß, die Parlamentarische Versammlung zu einer Erörterung des Vereinsrechts der Soldaten zu veranlassen. Dem späteren EUROMIL-Präsidenten Jens Rotbøll war es 1980 gelungen, die dänische Delegation für diese Initiative zu gewinnen. Die Voraussetzungen erschienen zunächst günstig. Ein Jahr zuvor hatte die Versammlung „Polizeibeamten, Militärpolizisten, Streitkräften und Milizen, die polizeiliche Aufgaben erfüllen“ das Recht zugestanden, berufliche Organisationen zu gründen und sich darin zu engagieren. Zwei Jahre wurde der Vorschlag in verschiedenen Gremien des Europarats mit wechselndem Erfolg diskutiert, bis der Präsident der Parlamentarischen Versammlung, José María de Areilza, eine Debatte dieser Frage im Europarat endgültig ablehnte. Es kann davon ausgegangen werden, dass er als Spanier der Vereinigungsfreiheit für Soldaten ablehnend gegenüberstand. Daraufhin nutzte die dänische Delegation die einzig verbliebene Chance. Der Führer der kleinen liberalen Gruppe, Björn Elmquist, brachte bei der Plenarversammlung einen Antrag zur Tagesordnung ein. Er konnte mit der Unterstützung von vielen Abgeordneten aus den Ländern rechnen, in denen das Koalitionsrecht bereits zum Alltag in den Streitkräften gehörte. Eine Ablehnung war hingegen von der britischen Delegation zu erwarten. Mit der denkbar kleinsten Mehrheit von einer Stimme entschied die Parlamentarische Versammlung am 29. September 1982, den Rechtsauschuss mit der Behandlung dieser Frage zu beauftragen.
Auf seiner vierzigsten ordentlichen Sitzung appellierte die Parlamentarische Versammlung des Europarates am 30. Juni 1988 „an alle Mitgliedstaaten des Europarates, den längerdienenden Soldaten aller Dienstgrade – sofern noch nicht geschehen – die Möglichkeit einzuräumen, unter normalen Verhältnissen spezielle Interessenvertretungen zu begründen, sich diesen anzuschließen und darin eine aktive Rolle zu spielen, um so ihre beruflichen Anliegen im Rahmen der übrigen demokratischen Institutionen vertreten zu können.“ Die Wehrpflichtigen blieben in diesem Text außen vor. Was unter „normalen Verhältnissen“ zu verstehen war, blieb der Interpretation der jeweiligen Regierung vorbehalten. Rechtsverbindlich war dieser Appell ohnehin nicht.
Verbündete im Europäischen Parlament
Nicht zu verwechseln ist die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit dem Europäischen Parlament, dessen Grundstein 1952 gelegt wurde. Entschieden setzte sich EUROMIL für eine Ausweitung der politischen Kompetenzen des Europäischen Parlaments im Blick auf die zu gestaltende Europäische Union und für eine Direktwahl der Abgeordneten ein, die 1979 erstmals gleichzeitig in allen Mitgliedsstaaten durchgeführt wurde. Durch dieses Engagement gewann EUROMIL Verbündete unter den Abgeordneten aller Fraktionen. So hob der sicherheitspolitische Sprecher der Fraktion der EVP (Christdemokraten) im Europäischen Parlament, Brigadegeneral a.D. Wolfgang Schall, die Bedeutung von EUROMIL und des Koalitionsrechts der Soldaten in allen Demokratien für deren Motivation hervor und warnte : „Eine politische Führung, die glaubte, heute das militärische Instrument gering schätzen, vernachlässigen, ja verwahrlosen zu können, erlitt immer dann Schiffbruch, wenn die politische Entwicklung morgen sie zwang, plötzlich auf dieses Instrument zurückgreifen zu müssen.“
Bereits vier Jahre vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, am 12. April 1984, hatte das Europäische Parlament mit großer Mehrheit eine Entschließung „zum Koalitionsrecht der Angehörigen der Streitkräfte“ verabschiedet. Sie entsprach weitgehend dem durch Guido Daleman im Auftrag des Präsidiums formulierten Vorschlag von EUROMIL und ging in zwei wesentlichen Formulierungen über den späteren Text des Europarates hinaus. Darin wird das Recht, Berufsverbände zur Wahrung ihrer sozialen Interessen allen Soldaten in Friedenszeiten zugestanden.
Zur Umsetzung dieser Entschließung in die nationale Rechtsprechung der Staaten der Europäischen Union mussten in jahrzehntelangem Ringen zähe Widerstände überwunden werden. In seiner Resolution zur „Europäischen Verteidigungsunion“ forderte das Europäische Parlament im November 2016 die Mitgliedsstaaten auf, ihren Soldaten Vereinigungsfreiheit zu gewähren und Berufsverbänden einen strukturierten Dialog mit den zuständigen Behörden zu erleichtern. Damit machte es sich eine der Grundforderungen von EUROMIL zu eigen.
In Spanien und Portugal zeigte das Engagement von EUROMIL schließlich Wirkung. Seit 2019 berät auch das italienische Parlament nach einem Urteil des Verfassungsgerichts ein Gesetz, das Soldaten gewerkschaftliche Rechte garantieren soll.
Noch nicht überall am Ziel
Lange Zeit wehrte sich Frankreich dagegen, seinen Soldaten das Vereinigungsrecht zuzugestehen. Ein Teilerfolg konnte 2014 errungen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Europarates verhandelte die Klage zweier französischer Militärangehöriger, denen die Mitgliedschaft in für gewerkschaftsähnlich gehaltenen Vereinigungen untersagt wurde. Auch wenn der Gerichtshof immer noch die Möglichkeit selbst weitreichender Einschränkungen der Rechte für diese Berufsgruppen zugestand, so erklärte er doch, dass dies nicht bedeuten dürfe, die Militärangehörigen und ihre Gewerkschaften des allgemeinen Rechts, sich zur Verteidigung ihrer beruflichen und immateriellen Rechte zusammenzuschließen, zu berauben. In der Konsequenz dürfen französische Soldaten zwar militärische Verbände, aber keine Gewerkschaften gründen. Als „Serviceleister“ können diese Verbände zwar ihre Mitglieder rechtlich beraten, aber keinen Einfluss auf Parlament und Regierung ausüben. Auch fünfzig Jahre nach seiner Gründung ist EUROMIL noch nicht überall am Ziel.