Den protokollarischen Höhepunkt der Sitzung des vorläufigen EUROMIL-Präsidiums im Dezember 1971 in Bonn bildete ein Empfang durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Kai-Uwe von Hassel.(v.l.n.r: Christian Sørensen, Anton Pieter de Laat, Kai-Uwe von Hassel, Hermann Stahlberg, Heinz Volland). Foto: DBwV/Archiv

08.09.2022
Von Michael Rudloff

„Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“

In einem kleinen Ort an der Mosel wurde die offizielle Gründung der Europäischen Organisation der Militärverbände vorbereitet.

Hatzenport ist eine kleine an der Terrassenmosel gelegene Ortsgemeinde, die von Weinbau und Tourismus lebt. Wahrzeichen des kleinen Ortes mit seinen rund 600 Einwohnern sind die weithin sichtbare gotische Pfarrkirche St. Johannes und ein Fährturm aus dem 19. Jahrhundert. In idyllischer Lage zwischen Koblenz und der Burg Eltz betrieb das Bundeswehr-Sozialwerk das Hotel „Mosella“ – ein einfaches Haus mit rustikalem Ambiente. In der Abgeschiedenheit dieses Ortes wurden am 5. und 6. Juni 1972 die letzten organisatorischen Vorbereitungen für die offizielle Gründung der Europäischen Organisation der Militärverbände EUROMIL getroffen. Im Mittelpunkt der Beratungen des vorläufigen Präsidiums von EUROMIL stand der von Präsident Christian Sørensen und Vizepräsident Heinz Volland gemeinsam vorgetragene Lagebericht mit einer Bilanz der in den vergangenen anderthalb Jahren geleisteten Arbeit.

Die Zeit drängte; hatten doch die Gründer von EUROMIL im Dezember 1970 den Auftrag übernommen, innerhalb von zwei Jahren eine konstituierende Mitgliederversammlung vorzubereiten. Kernpunkt war die Bestimmung der Aufgaben und Ziele sowie der nationalen und internationalen Ansprechpartner der in Gründung befindlichen Organisation. Das vorläufige Präsidium hatte auf seiner ersten Sitzung Mitte März 1971 in Bonn beschlossen, mit allen Verteidigungsministern der NATO, dem Europäischen Parlament und Massenmedien Kontakt aufzunehmen. Ebenso wichtig war es, durch Gespräche und Verhandlungen weitere Verbände zur Mitarbeit zu gewinnen, um als repräsentative Vertretung der Rechte der Soldaten in den Streitkräften europäischer Demokratien ernstgenommen zu werden.

Kein leichtes Unterfangen

Dies gestaltete sich schwieriger als in der Anfangseuphorie angenommen. Von den dreißig zur Mitarbeit eingeladenen soldatischen Organisationen und Berufsverbänden erklärten sich trotz aller Sympathiebekundungen nur wenige zu einem Anschluss an einen europäischen Dachverband bereit. Während der zweijährigen Gründungsphase zeigte sich, dass selbst in den beteiligten Verbänden die internen Widerstände unterschätzt worden waren. In Luxemburg konnte man sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, gemeinsam die Interessen unterschiedlicher Dienstgrade zu vertreten. Auch die schwedischen und norwegischen Verbände, deren Vertreter anfangs von der Idee einer gemeinsamen europäischen Organisation begeistert waren, zogen sich zurück. Der spätere EUROMIL-Präsident Jens Rotbøll, der an den Verhandlungen seitens des dänischen Verbandes beteiligt war, führte dies auf ein Unbehagen innerhalb der norwegischen und wohl auch schwedischen Verbände mit einer befürchteten Dominanz des Deutschen BundeswehrVerbandes zurück. Erinnerungen an den zu dieser Zeit 25 Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieg waren bei vielen Mitgliedern noch lebendig. Unter der Hand habe es eine Sorge vor einem beherrschenden Einfluss des mitgliederstarken und finanzkräftigen deutschen Verbandes gegeben. Um entsprechende Befürchtungen nicht zu befeuern, hielt sich der DBwV zurück und setzte sich für einen EUROMIL-Präsidenten ein, der nicht aus Deutschland kam, auch wenn man eine EUROMIL-Präsidentschaft nicht für alle Zeit ausschließen wollte.

Ein Durchbruch konnte im September 1971 erreicht werden, als der italienische Soldatenverband „Associazione Nazionale Autonoma dei Militari“ nach einem Gespräch seines Präsidenten und mit dem EUROMIL-Vizepräsidenten Heinz Volland in Bonn seinen Beitritt zu EUROMIL erklärte. Auf der Präsidiumssitzung am 16./17. Dezember 1971 folgte der italienische Verband der Offiziere der Luftwaffe dem Beispiel. Bei diesem Treffen der Spitzenvertreter von zehn Verbänden aus fünf europäischen Ländern wurde deutlich, wie unterschiedlich die materiellen und rechtlichen Bedingungen für die Angehörigen der Streitkräfte selbst in den politisch eng verbundenen Ländern „Kerneuropas“ waren. „Diese Unterschiede durch gemeinsame Eingaben an die Parlamente der infrage kommenden Länder auszugleichen und die bereits auf politischem, technologischem und kulturellem Gebiet praktizierte Zusammenarbeit in Europa zu unterstützen“, bildete nach Ansicht des Präsidenten Christian Sørensen das Hauptanliegen des Zusammenschlusses europäischer Militärverbände, der zu dieser Zeit nach eigenen Angaben die Berufsinteressen von mehr als 250.000 Soldaten vertrat.

Westeuropa rückt politisch und militärisch zusammen

Mit Hochdruck arbeitete das Präsidium daran, weitere Kontakte zu knüpfen, etwa zum Europarat, dem Europäischen Parlament und zu den Verteidigungsministern der NATO-Staaten. Ausdruck der politischen Anerkennung der sich in Gründung befindlichen Organisation war der Empfang des Präsidiums durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages und ehemaligen Bundesverteidigungsminister, Kai-Uwe von Hassel. In dem 1971 zum NATO-Generalsekretär gewählten langjährigen niederländischen Außenminister Joseph Luns fand EUROMIL einen einflussreichen Verbündeten. Bei einem späteren Treffen unterstrich er die Bedeutung der Soldatenverbände für das Bündnis durch die Koordinierung und Entwicklung der materiellen, sozialen und ideellen Position der Angehörigen der Streitkräfte, womit sie zur Bewahrung und Verbesserung der Effektivität und des guten Rufs der Streitkräfte beitrugen. Damit vertrat der oberste Repräsentant der NATO eine zu dieser Zeit keineswegs in allen Armeen des Bündnisses geteilte Position.

Die Anstrengungen zur Koordinierung und Zusammenführung der Soldatenverbände standen in einem engen Zusammenhang mit der Intensivierung des politischen Zusammenschlusses der westeuropäischen Staaten. Anfang Dezember 1969 hatten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaften in einem politisch bedeutsamen Gipfeltreffen in Den Haag weitreichende politische Beschlüsse über die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit getroffen, die auch die gemeinsame Verteidigung betrafen. In der politischen Einigung Westeuropas wurde die Voraussetzung für eine volle europäische Verteidigungsgemeinschaft gesehen. Ein Jahr später beschlossen zehn europäische NATO-Staaten ein gemeinsames Verstärkungsprogramm für die NATO-Verteidigung. In der Geschichte des Bündnisses war dies die erste rein europäische militärische Gemeinschaftsleistung. Die engere zivile und militärische Kooperation brachte mit sich, dass sich aus dienstlichen Kontakten eine Kameradschaft der „Bürger in Uniform“ und freundschaftliche Bindungen entwickelten. Dabei wurde den Soldaten bewusst, dass sie in den Armeen der Länder mit ähnlichen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu ringen hatten.

Für „EG-Soldaten“ war die Zeit noch nicht reif

Der europäischen Zusammenarbeit auch auf dem Verteidigungssektor maß die seit 1969 regierende sozialliberale Koalition in der Bundesrepublik Deutschland hohe Bedeutung zu. Dem in Äußerungen des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt zum Ausdruck kommenden Optimismus, wonach bereits in den achtziger Jahren eine Art „EG-Soldat“ denkbar sei, vermochte das EUROMIL-Präsidium nicht zu folgen. Erhebliche politische und soziale Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern ließen sich kaum in einem solchen Tempo abbauen. Die erforderliche Bereitschaft zum Kompromiss brachten die in Hatzenport anwesenden Mitgliedsverbände bei der Erarbeitung des Statutenentwurfs für EUROMIL auf, über den die erste Mitgliederversammlung abstimmen sollte. Der auf der ersten Sitzung des vorläufigen Präsidiums zum Vorstandssekretär gewählte Guido Daleman hatte im ersten Entwurf die Satzungen der beteiligten Organisationen ausgewertet. Dabei konnte er seine Sprachkenntnisse einsetzen. In Brügge geboren, hatte er nach seinem Studium an den Universitäten von Leuven und Gent seinen Wehrdienst bei der belgischen Fernmeldetruppe in der Bundesrepublik geleistet. Er übernahm die Koordinierung der Aufgaben und die Organisation der auf den 13. und 14. September 1972 festgelegten ersten Mitgliederversammlung und der für den 12. und 14. September geplanten Präsidiumssitzungen von EUROMIL.

Die zweitägige Klausur in Hatzenport leitete die letzte Etappe vor der offiziellen Gründung von EUROMIL ein. Entgegen Ambitionen von deutscher Seite, den gemeinsamen Dachverband zum Schrittmacher der politischen Ausgestaltung eines vereinten Europas auszubauen, drängten Belgier, Niederländer und Dänen darauf, sich auf die Interessenvertretung der Soldaten aller Dienstgrade zu beschränken. Einen Antrag auf Direktwahl der Abgeordneten für das Europäische Parlament zog der DBwV daraufhin zurück.

Bei allen optimistischen Erwartungen an die neue Organisation plädierte Heinz Volland für eine realistische Sicht: „Wir werden schrittweise weiter vorgehen müssen. Wichtig ist, das Mögliche zu erreichen und nicht über Erklärungen, sondern durch Aktionen. Wir alle, die mit Herzen dieses Europa wollen, sind dazu aufgerufen.“ Von Fehlern dürfe man sich nicht entmutigen lassen, Hindernisse seien zu überwinden. Auch wenn nicht sofort große Erfolge erzielt werden, gelte das chinesische Sprichwort: „Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.“

Der Autor dankt Guido Daleman für wichtige Informationen und für die Beschaffung des Protokolls der Präsidiumssitzung in Hatzenport, das in Brüssel durch einen Wasserschaden verloren gegangen ist.

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