„Eine Europäisierung der sozialen Rahmenbedingungen in Auslandseinsätzen darf nicht zu einer Verschlechterung führen“
Die Idee von europäischen Streitkräften ist mal wieder im politischen Diskurs angekommen: Mitte September, nur kurz vor der Bundestagswahl, sprach sich der Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet in einem Interview mit dem Deutschlandfunk unter dem Eindruck der Evakuierungsoperation in Afghanistan dafür aus, dass Europa in Krisensituationen über eigene verteidigungspolitische Kapazitäten verfügen müsse. Die Arbeitsgruppe der SPD-Verteidigungsexperten im Deutschen Bundestag hatte bereits im März 2020 in einem Positionspapier eine 28. Armee für die Europäische Union eingefordert.
Das zeigt: Das Thema Europa kann vom Deutschen BundeswehrVerband natürlich nicht ignoriert werden. Im Vorfeld der im Dezember stattfindenden 21. Hauptversammlung haben wir mit dem Schatzmeister des DBwV, Hauptmann a.D. Jörg Greiffendorf, als Mitglied des Bundesvorstands themenverantwortlich für das Themengebiet Europa, und Oberstleutnant a.D. Thomas Sohst, ehemaliger DBwV-Landesvorsitzender West, über das europapolitische Engagement des Verbandes gesprochen.
Herr Greiffendorf, Sie sind Themenverantwortlicher für das europapolitische Engagement im DBwV. Wo steht der DBwV aktuell in seinem europapolitischen Engagement und wohin möchte er?
Hauptmann a.D. Jörg Greiffendorf: Mit Blick auf die im Dezember 2021 stattfindende Hauptversammlung ist die Europa-Community innerhalb des DBwV bereits Anfang des Jahres aktiv geworden und hat die bei der 20. Hauptversammlung geforderte Evaluierung dem Bundesvorstand vorgelegt. Diese wurde angenommen. Außerdem wurden die europapolitischen Leitanträge geschärft, aktualisiert und im Rahmen der 15. Bundesvorstandssitzung einstimmig angenommen. Das verbandliche Engagement in den Dachverbänden EUROMIL, CESI und EBD wird durch die Europa-Community bewältigt.
Inhaltliche Schwerpunkte auf europäischer Ebene liegen auf der Bewältigung der Corona-Pandemie, der Evaluierung des beendeten Afghanistan-Einsatzes der Nato aus europäischer Sicht auch mit Blick auf den Europäischen Strategischen Kompass sowie die Begleitung gesetzlicher Rahmenverordnungen der EU-Kommission und des Europäischen Parlamentes wie der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie, um nur einige zu nennen.
Gerade bei den Fragen um die Arbeitszeitrichtlinie sind wir gespannt, wie die jüngste Rechtsprechung Eingang finden wird. Ausnahmen für Militärisches Personal werden wir nicht zulassen. Hier müssen wir unsere Positionen europäisch einbringen.
Bei der Frage „EU-Wehrbeauftragtensystem“ sind wir gespannt, ob jüngste Entwicklungen unsere Positionen stärken oder schwächen.
Stichwort EUROMIL. Herr Greiffendorf, nächstes Jahr, am 13. September 2022, feiert EUROMIL seinen 50. Geburtstag. Welche Themen bewegt EUROMIL aktuell und welche Themen bewegt der DBwV bei EUROMIL?
Greiffendorf: EUROMIL ist auch nach 50 Jahren ein Aktivposten im europapolitischen Werkzeugkasten des DBwV. Ähnlich wie der DBwV steht das aktuelle Engagement von EUROMIL im Kontext des Corona-Doppeljahres 2020/2021. EUROMIL setzt sich aktuell unter anderem mit verbandsübergreifenden Kooperationen von Militär- und Polizeiverbänden, dem Klimawandel, aber auch aktuellen EUGH-Urteilen auseinander. Bei allen Fragen um militärische Themen ist EUROMIL in Brüssel ein gefragter Gesprächspartner.
Der DBwV betrachtet, kommentiert und ergänzt hingegen aus seiner nationalen Perspektive die europapolitischen Themen, die uns unsere Mitglieder mit auf den Weg geben. DBwV und EUROMIL nehmen am 24. und 25. November beispielsweise gemeinsam mit der Soldaten und Veteranen Stiftung mit einem Stand an der Berlin Security Conference teil, um erneut eine breite Fachöffentlichkeit von der Notwendigkeit ihrer Forderungen zu überzeugen. Nach der BSC werden wir darüber hinaus in der Bundesgeschäftsstelle des DBwV die nächste Vorstandssitzung von EUROMIL beherbergen. Im kommenden Jahr werden sowohl ein Festakt am Gründungsort und -tag als auch eine Präsidiumssitzung unter dem Eindruck der Gründung vor 50 Jahren stehen.
Herr Sohst, die EU-Kommission bietet bis April 2022 interessierten EU-Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihre Ideen zur Ausgestaltung der Europäischen Union mitzuteilen. Welche Möglichkeiten bietet sich hier dem DBwV und den europäischen Interessenverbänden EUROMIL und CESI, um ihre Forderungen für eine reformierte Europäische Union im Bereich der Interessenvertretung der Soldatinnen und Soldaten zu präsentieren?
Oberstleutnant a.D. Thomas Sohst: Die Konferenz zur Zukunft Europas ist eine gute Idee. Bürgerbeteiligung ist notwendig, denn gestalten ist besser als verwaltet zu werden. Dies gilt auf kommunaler, nationaler und auch auf europäischer Ebene. Leider hat sich der Start der Bürgerbeteiligung corona-bedingt um ein Jahr verzögert. Von daher ist die Möglichkeit der Mitgestaltung in vielen Bereichen Europas nicht bekannt. Auch in Deutschland standen andere Themen im Vordergrund. Dies war vermutlich dem Wahlkampf geschuldet, in dem europäische Themen bedauerlicherweise so gut wie keine Rolle spielten. Die Chancen gemeinsamer europäischer Regeln für die nationale Gesetzgebung wird zu wenig dargestellt. Dies sind nüchterne Feststellungen.
Es wird also darauf ankommen, den Diskussionsprozess über das formale Ende der Konferenz im Jahr 2022 aufrecht zu erhalten. Dazu bedarf es auf der einen Seite des gemeinsamen politischen Willens aller Beteiligten und auf der anderen Seite der Bereitschaft, dies aktiv und konkret darzustellen und umzusetzen.
Denken Sie, dass im Anschluss an die EU-Kommissions-Initiative aus dem Jahr 2017 zur Gestaltung der Europäischen Säule der sozialen Rechte, in der Konferenz zur Zukunft Europas die sozialen Rahmenbedingungen für Soldatinnen und Soldaten auf europäischer Ebene essenziell abgebildet werden? Wie profitieren die europäischen Soldatinnen und Soldaten von dieser Konferenz und wie im Besonderen die DBwV-Mitglieder?
Sohst: Im Vergleich zu manch anderen europäischen Staaten sind die sozialen Rahmenbedingungen für den Dienst in der Bundeswehr gut ausgestaltet, auch wenn es aus Sicht des DBwV noch notwendige Verbesserungen sowohl für den Dienst in Deutschland als auch mit Blick auf Einsätze gibt. Es kommt darauf an, die sozialen Rahmenbedingungen für die Menschen in anderen Ländern auf ein vergleichbares Niveau anzuheben. Darüber hinaus gilt es zu verhindern, dass in europäischen Regeln ein niedrigeres Niveau als es in Deutschland derzeit besteht festzuschreiben. Diese Gefahr besteht, da mit Blick auf gemeinsame europäische Einsätze oder gar gemeinsame europäische Streitkräfte eine Einigung auf europäischer Ebene notwendig ist. Deshalb ist ein wachsames Auge des DBwV nach Europa notwendig. CESI und EUROMIL sind dabei behilflich, da dort gleiche Ziele verfolgt werden.
Herr Sohst, in der August-Ausgabe des Verbandsmagazins „Die Bundeswehr“ haben Sie sich bereits dazu geäußert, dass zahlreichen Menschen die Bedeutung von Gewerkschaften im europäischen Gesetzgebungsprozess unbekannt ist. Welche Angebote bietet der DBwV seinen Mitgliedern an, um sich über den europäischen Themenkomplex EUROMIL, CESI, EBD besser informieren zu können?
Sohst: Politik ist ein Geben und ein Nehmen. Als DBwV informieren wir über unser europäisches Engagement auf allen Ebenen. Das fängt auf der Ebene des Bundesvorstandes an, in dem bei jeder Sitzung zu den aktuellen Themen informiert wird. Die dort verteilten Informationen können über die Strukturebenen bis auf Kameradschaftsebene genutzt werden. Darüber hinaus informieren wir die Mitglieder in jedem Magazin und auch im Internet in der Rubrik „Europa aktuell“ zu diesem Themenbereich. Und wir bieten die Teilnahme an Veranstaltungen an, wie zuletzt den 3. Runden Tisch zur Verteidigung. Wir ermutigen, dieses Angebot anzunehmen – denn den Befehl Informationen aufzunehmen kennt der DBwV gegenüber seinen Mitgliedern nicht – und das ist gut so.
Stichwort Ombudsmann: Der DBwV fordert die Einrichtung einer Ombudsmann-/frau-Stelle beim Europäischen Parlament zur Wahrung und Durchsetzung der sozialen und rechtlichen Anliegen der der zivilen und militärischen Angehörigen der Streitkräfte, an die sich ebendiese etwa bei EU-Missionen wenden können., Vorbild soll das Amt der deutschen Wehrbeauftragten sein. Wie sieht hier der aktuelle Sachstand aus?
Greiffendorf: Der DBwV hat sich zu diesem Thema bereits in seinen Leitanträgen für die 20. Hauptversammlung klar positioniert. Darüber hinaus sind politische Gespräche mit Parlamentariern des Europäischen Parlaments geführt worden. Wir loten gerade aus, in welcher Art und Weise die bestehenden Regelungen für die Einzelnen nutzbar sind. Bei der Organisation Frontex scheint es Bewegung in Richtung Europäische Beschäftigte zu geben – auch hier schauen wir genau hin, denn dies könnte Modell für europäische Streitkräfte sein.
Mit Blick auf die im Dezember stattfindende Hauptversammlung: Wie wichtig ist das europapolitische Engagement des DBwV vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Afghanistan, und möglicherweise bevorstehenden Evaluierungen von weiteren Auslandseinsätzen der Bundeswehr, zum Beispiel in Mali durch den neugewählten Bundestag?
Greiffendorf: Es wird spannend, wie die zukünftige Bundesregierung diese für unsere Mitglieder wichtigen Themen inhaltlich angehen wird. Klar ist eins: Die sozialen Rahmenbedingungen in Auslandseinsätzen müssen auf dem aktuellen Leistungsniveau bleiben, sogar verbessert werden. Eine Europäisierung darf nicht zu einer Verschlechterung führen und wird vom DBwV nicht toleriert werden.
Hauptgründe unseres Engagements sind neben dem kameradschaftlichen Miteinander die Verbesserung der Situation der Mitgliedsorganisationen und das Halten beziehungsweise Verbessern unserer sozialen Standards.