Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf. Hier konnte sich Franco A. registrieren lassen, obwohl er Bundeswehr-Soldat ist Foto: dpa

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf. Hier konnte sich Franco A. registrieren lassen, obwohl er Bundeswehr-Soldat ist Foto: dpa

15.05.2017
mkl

Wie das Asylverfahren für Franco A. zum leichten Spiel wurde

Berlin. Ein mutmaßlich rechtes Netzwerk in der Bundeswehr, konkrete Anschlagspläne eines Soldaten; eine Ministerin, die der Truppe pauschal ein „Haltungsproblem“ unterstellt, dazu ein Generalinspekteur, der sämtliche Kasernen auf Devotionalien der Wehrmachtszeit untersucht: Die Bundeswehr steht Kopf seit Bekanntwerden des Falls Franco A., jenem Oberleutnant, der sich als syrischer Flüchtling registrieren ließ und womöglich einen Anschlag plante.

Er soll tausend Schuss Munition gehortet und sich in Österreich eine Waffe besorgt haben. Angeblich standen die Namen von Justizminister Heiko Maas und des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck auf einer „Todesliste“, die ein Komplize führte. All das ging offenbar seit Jahren so, und natürlich sind Fragen erlaubt, ja sogar geboten, warum niemandem etwas auffiel, warum niemand etwas meldete. Warum die beiden Kameraden und ein weiterer Mann erst jetzt verhaftet wurden.

Doch die Einseitigkeit, mit der sich Medien wie Politik auf die vermeintlichen Verfehlungen innerhalb der Truppe fokussieren, klammert den zweiten, mindestens ebenso wichtigen Akteur in diesem unwürdigen Spiel einfach aus: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das dem deutschen Soldaten einen Schutzstatus gewährte, obwohl dieser nicht einmal arabisch spricht.

Genau wie die Bundeswehr hätte das Bamf das Doppelleben des Franco A. erkennen und enttarnen müssen. Und auch hier gehen die Fragen weit über den Einzelfall hinaus. Müsste nicht ein Amt, das in Millionen Fällen über den Asylstatus von Menschen entscheidet, nach einem solch unglaublichen Fehler noch viel mehr in der Kritik stehen? Ist ähnliches vielleicht schon früher, gar mehrfach passiert? Gibt es hier nicht mindestens genau so viel aufzuarbeiten wie bei der Bundeswehr?

Einer, der diese Fragen klar mit „Ja“ beantwortet, ist Bishan Shayan. Der gebürtige Afghane lebt seit vielen Jahren in Deutschland und war als militärischer Sprachmittler an drei Einsätzen in Afghanistan beteiligt. Dort hat er dafür gesorgt, dass es zu keinen interkulturellen Konflikten zwischen anderen Soldaten und den Einheimischen kommt. Er hat anschließend selbst für kurze Zeit als Übersetzer beim Bamf gearbeitet.

Sein Fazit: Bei Weitem nicht alle Entscheider und Dolmetscher sind für den Einsatz ausreichend vorbereitet und qualifiziert.  Vor allem die teils mangelhafte sicherheitstechnische Überprüfung der Dolmetscher gibt ihm zu denken. „Wer als militärischer Sprachmittler für die Bundeswehr arbeitet, wird vom MAD komplett überprüft. Für die Arbeit im Bamf reicht ein einfaches Führungszeugnis“, beklagt er.

Die Geschichte von Shayans Arbeit im Bamf wirft ein Schlaglicht auf eine vollkommen überforderte Behörde, die sich nicht einmal helfen lassen will. Und die, das zeigen Recherchen der „Welt am Sonntag“, immer mehr auf Schnelligkeit statt auf Qualität bei der Überprüfung von Asylanträgen setzt.

Mitarbeiter beschweren sich über den Druck


Das beginnt im September 2015, zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise. Die Zahl der Migranten hat sich innerhalb weniger Monate vervielfacht. Am 19. desselben Monats übernimmt Frank-Jürgen Weise, zugleich Chef der Bundesagentur für Arbeit, das Bamf. Er gilt als erfahrener Krisenmanager, er ist gelernter Controller, versteht etwas von Zahlen. Und genau von denen handelt sein Auftrag: Er soll das Bamf unter der Last der vielen Asylanträge am Laufen halten.  Sprich: Die Bearbeitungszeiten verkürzen, den Output erhöhen. Es dauert nicht lange, da beschweren sich die ersten Mitarbeiter.

In einem Brief, aus dem die „Welt am Sonntag“ zitiert, beschweren sie sich über „systematische Mängel“, die mit einem „rechtsstaatlichen Verfahren nicht vereinbar sind.“ Die Einarbeitungszeit neuer Entscheider sinkt von drei Monaten auf wenige Tage.

Genau in jenen Tagen im September 2015 beschließt auch Bishan Shayan, helfen zu wollen. Er möchte als Übersetzer arbeiten, mit seiner Erfahrung als militärischer Sprachmittler ist er geradezu prädestiniert für diesen Job. „Ich dachte: Die Feststellung falscher Angaben wird ein geschultes Auge und interkulturelle Kompetenz erfordern“, sagt er heute.

Was er nicht ahnt: Niemand hat daran ein Interesse. Shayan wendet sich zunächst an das Verteidigungsministerium und schlägt eine Art Amtshilfe vor. Alle dem Bmvg unterstellten Sprachmittler, die sich gerade nicht in einem Auslandsaufenthalt befinden, sollen freigestellt werden, damit sie im Bamf helfen können. Als Antwort bekommt er eine Absage: kein Bedarf.

Doch er lässt nicht locker, schreibt auch dem Innenministerium. Das immerhin leitet Shayans Angebot an das Bamf weiter, der gesamte Schriftverkehr mit beiden Ministerien liegt dem Deutschen BundeswehrVerband (DBwV) vor. Die Behörde wird darin gebeten, Stellung zu nehmen und über das Angebot nachzudenken. Das Bamf schreibt Shayan daraufhin direkt an – und sagt ebenfalls ab. Begründung: Festangestellte Dolmetscher könnten nicht eingesetzt werden, nur Freiberufler. Auf einen dieser Jobs könne er sich gerne bewerben.

Das macht Shayan tatsächlich, obwohl er einer festen Arbeit nachgeht. Doch das ist kein Problem, denn erneut bekommt er eine Absage: kein Bedarf. Es ist noch immer Herbst 2015, und man muss dazu wissen, dass Weises Vorgänger schon 2015 um erhebliche Verstärkung für das Bamf gebeten hatte. 900 neue Stellen hatte er gefordert, aber nur 300 neue bekommen. Und trotzdem soll niemand ein Interesse an Amtshilfe gehabt haben, die den Steuerzahler überhaupt nicht weiter belastet hätte?

Zahl der Anträge pro Tag wird fast vervierfacht


Auf Anfrage des DBwV teilt das Bamf mit, dass man Einzelfälle nach so langer Zeit nicht mehr beurteilen könne. Grundsätzlich arbeite man aber „sehr intensiv und gut mit der Bundeswehr zusammen“, sagt Sprecherin Andrea Brinkmann. In Form von Abordnungen hätten zahlreiche Bundeswehr-Angehörige bei der Bewältigung der hohen Fallzahlen geholfen.

Wenige Monate später arbeitet das Bamf nicht mehr nur am Anschlag, sondern steht kurz vor dem Kollaps. Intern, so berichtet es die „Welt am Sonntag“, folgt Mail auf Mail, die ein zügigeres Abarbeiten von Fällen anmahnt. Entscheider werden angewiesen, statt der bisher durchschnittlichen 0,6 Anhörungen pro Tag  künftig vier vorzunehmen.

Es liegt vielleicht auch an dieser Tempoverschärfung, dass Bishan Shayan im Herbst 2016 doch noch zum Bamf stößt. Er hatte sich erneut beworben und nimmt für die Zeit dort einfach Urlaub. Er übersetzt in Farsi, Dari und Russisch – obwohl er in letzterer Sprache gar keine Überprüfung nachweisen kann. Niemand fragt je danach.

Schnell stellt Shayan fest, dass viele seiner Kollegen nicht annähernd seine Qualifikation besitzen. „Viele von ihnen waren erst seit ein oder zwei Jahren in Deutschland, teilweise selbst als Flüchtling gekommen. Woher wissen wir, dass sie wirklich loyal sind?“, sagt er. Denn das Problem ist: Die Entscheider sind den Übersetzungen und Hinweisen der Dolmetscher ausgeliefert. Macht einer von ihnen einen Fehler oder unterschlägt wichtige Informationen, hat der Entscheider keine Chance, einen mutmaßlichen Betrüger zu stellen. Mehr als einmal warnt Shayan die Entscheider vor Menschen, die vorgeben aus Afghanistan zu kommen – dabei aber ganz offensichtlich nicht die Wahrheit sagen.

So motiviert sind offenbar nicht alle. Shayan berichtet von Kollegen, die ihre festen Jobs kündigten, um auf Honorarbasis beim Bamf anzuheuern. 20 bis 30 Euro pro Stunde soll das Honorar betragen, wer ein paar Monate bleibt, verdient nicht schlecht. „Einigen ging es nur ums Geld. Den Job musst du aber aus Überzeugung machen“, sagt Shayan. Nur so sei sichergestellt, dass die Mitarbeiter hartnäckig nachfragen.

Das Problem mit der Loyalität bemängeln auch viele Mitarbeiter gegenüber der Behördenleitung.  Sie sprechen von „Schnellschuss-Qualifizierung“.  Shayan sagt, selbst viele Entscheider seien mit der Situation vollkommen überfordert. Mit ihren Problemen, auch mit den psychischen Folgen der tagtäglichen Leidensgeschichten der Menschen, stünden sie vollkommen alleine.

Ein Warteraum für bis zu 30 Dolmetscher


Und so ist es auch kein Wunder, dass sich die Behörde einen Mann als verfolgten Syrer verkaufen lässt, der in Wirklichkeit deutscher Soldat ist. Franco A. wusste um die Unzulänglichkeiten des Systems. Er passte den Moment ab, als es am meisten knirschte bei der Behörde, und er wusste eine Geschichte aufzutischen, die nicht so leicht zu widerlegen war. Jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, die Entscheidern und Dolmetschern bleibt.

Bishan Shayan ist noch immer schockiert von den Zuständen im Bamf. Auch der Umgang mit den Dolmetschern sei nicht würdig, klagt er. Während den Entscheidern jeweils ein Büro zur Verfügung stünde, musste er sich in einem Warteraum mit bis zu 30 weiteren Personen aufhalten. Je nach Bedarf wurde er aufgerufen. „Dabei sind die Dolmetscher das wichtigste Glied in der Kette“, sagt er.

Er hat sich zur Aufgabe gemacht, das Verfahren zu verändern. Erneut hat er an die Ministerien geschrieben. Sein Vorschlag:  Er könnte das Bamf bei der Auswahl von sicherheitstechnisch überprüften Sprachkundigen unterstützen.

Auch im Bamf arbeitet übrigens eine Untersuchungsgruppe, die den Fall Franco A. ausleuchten soll. Alle Verfahren, die von beteiligten Personen bearbeitet wurden, kommen auf den Prüfstand. Der Innenminister informierte über die Aktion erst, als sie schon in vollem Gange war. Schnell streute Thomas de Maiziére dann ein Wort, dass sich viele Angehörige der Bundeswehr auch von der Verteidigungsministerin im Fall Franco A. erhofft hatten: „Einzelfall“.

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