Von der Leyen spricht wie die Verteidigungsministerin Europas
Berlin. Ursula von der Leyen ist eine glühende Europäerin, das ist soweit bekannt. Doch die Rede, welche die Verteidigungsministerin anlässlich der Eröffnung der Präsidiums-Sitzung von Euromil in Berlin hielt, war noch ein ganzes Stück euphorischer als normal. So mitreißend, dass Euromil-Präsident Emmanuel Jacob am Ende sagte: „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir hier noch die deutsche oder doch schon eine europäische Verteidigungsministerin gehört haben.“ Von der Leyen nahm das locker, schließlich ist sie nahe Brüssel geboren, „dem Herzen Europas“, wie sie selbst sagt.
Doch von der Leyen überraschte auf der Konferenz des Dachverbandes der europäischen Militärverbände und -Gewerkschaften auch mit harten Bandagen. Zum Beispiel, als sie ganz tief in die Kiste der US-Rhetorik griff und anmerkte, man müsse Russland „mit Stärke begegnen, um eine Lösung am Verhandlungstisch“ zu erreichen – eine Abwandlung des Postulates von Ronald Reagan, der „Frieden durch Stärke“ erzwingen wollte. So hat man die Ministerin auch selten gehört.
Ohnehin stellte sie die amerikanische Politik und insbesondere die Wahl Donald Trumps mehrfach in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. „Seit diesem Tag hat jeder verstanden, dass wir unsere Probleme in Europa selbst lösen müssen“, so von der Leyen. Es sei interessant gewesen zu sehen, wie diese Erkenntnis in den europäischen Hauptstädten angekommen sei. Von der Leyen stellte klar: „Mehr Europa soll nicht in Konkurrenz, sondern in Ergänzung zur Nato stehen.“
Um den Teilnehmern der Tagung unter Federführung des DBwV die Tragweite der aktuellen Diskussion um das Zwei-Prozent-Ziel und die sicherheitspolitische Ausrichtung der Bundeswehr zu verdeutlichen, spannte sie einen historischen Bogen. Sie berichtete vom politischen und ökonomischen Aufstieg Deutschlands nach der Wiedervereinigung. „Aber was haben wir gemacht? Wir haben unsere Streitkräfte gleichzeitig verkleinert“, beklagte sie. Jetzt müssten die Entscheidungen von damals in einem langwierigen Prozess umgekehrt werden.
Indirekt gab von der Leyen sogar Donald Trump ein bisschen Recht, der ja nicht müde wird, von seinen europäischen Partnern mehr finanzielles Engagement einzufordern. „Wir müssen das machen“, sagte von der Leyen, „aber nicht, weil es der US-Präsident fordert, sondern weil es in unserem eigenen Interesse liegt.“
Wüstner warnt vor einem Zerfall europäischer Strukturen
Ähnlich äußerte sich auch der DBwV-Bundesvorsitzende, Oberstleutnant André Wüstner. Er warnte davor, dass erstmals in der 60 Jahre währenden Geschichte der EU integrative Prozesse nicht nur gestoppt, sondern gar zurückgedreht werden könnten. Gleichzeitig stünde die Europäische Union in der Sicherheitspolitik aber völlig neuen Gefahren gegenüber: Russlands Aggressionen wie auf der Krim, dem Kampf gegen den IS und dem Krieg in Syrien. „Kein europäisches Land hat die Stärke oder die Ressourcen, dem alleine entgegenzutreten“, so Wüstner. Auch er forderte konkrete Schritte. „Während die EU ökonomisch eine Supermacht ist, bleibt sie im Bereich Verteidigung hinter ihren eigenen Erwartungen zurück“, urteilte er.
Die Verteidigungsministerin sieht die Gründe dafür in einer irrationalen Zurückhaltung bei Politikern und Bürgern der Mitgliedsstaaten. Sobald sie von einer europäischen Armee spreche, spüre sie sofort Vorbehalte. „Viele haben Angst, dass sie Ressourcen für ihre eigene Sicherheit verlieren würden. Dabei wollen wir niemandem etwas wegnehmen“, sagte von der Leyen.
Als ein Beispiel für gelungene Integration nannte sie das neue „Europäische Medical Command“. „So etwas hätten wir während der Ebola-Krise (2014, d. Red.) dringend benötigt“, so die Ministerin. „Wir mussten Ebola national bekämpfen. Wir hatten Erfolg, ja, aber wir hätten es besser machen können.“ Den Delegierten rief sie zu: „Wir brauchen mehr Europa!“ Gemeinsame Streitkräfte sieht sie dabei allerdings noch in weiter Ferne. Jetzt gehe es erst einmal darum, die Kooperation in den bestehenden Strukturen zu verbessern.
Und daran, da waren sich alle einig, leistet eben auch Euromil seinen Beitrag. Präsident Jacob verwies eindringlich darauf, dass Soldaten auch in mehreren europäischen Ländern unter stärkeren Restriktionen zu leiden hätten, als es die Menschenrechtskonventionen erlaubten – z.B. bei der Koalitionsfreiheit oder des freien Rederechts. „Der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Soldaten erregt nicht nur wenig Aufmerksamkeit – er wird oft einfach übersehen“, so Jacob.
Auch von der Leyen sprach zum Thema Attraktivität des Soldatenberufs, in diesem Fall konkret über die Bundeswehr. „Wir müssen mindestens so attraktiv sein wie die Mitbewerber aus der freien Wirtschaft. Sonst werden uns die besten Köpfe nicht vertrauen, und sie werden nicht zu uns kommen“, so die Ministerin.
Und dann setzte sie zu einem außerordentlichen Lob für den DBwV an: Der Bundesvorsitzende André Wüstner sei ihr „Ohr an der Truppe“, von dem sie erfahre, was verbessert werden muss. Das veranlasste den überraschten Euromil-Präsident Jacob dazu, seinen internationalen Gästen mal zu erklären, wie gelungene Kooperation zwischen Politik und Interessensverband funktioniert. „Ich glaube, einige von Ihnen verstehen nicht, was hier gerade passiert ist“, sagte er feierlich. „In vielen anderen Ländern wäre es absolut unvorstellbar, dass Minister bei einem militärischen Interessenverband auftreten – und erst recht, sich direkt neben den Bundesvorsitzenden zu setzen.“
Da gab es Applaus und vielfaches Nicken von den Delegierten, die sich anschließend ganz der inhaltlichen Arbeit widmeten. In Diskussionsrunden und Workshops ging es um Themen wie europäisches Beschwerdemanagement (hierzu stellte der Wehrbeauftrage Hans-Peter Bartels die deutschen Strukturen vor), internationale Sicherheit oder medizinische Unterstützung.