Ein deutscher "Tornado"-Aufklärungsjet auf der jordanischen Luftwaffenbasis Al-Asrak. Foto: dpa

Ein deutscher "Tornado"-Aufklärungsjet auf der jordanischen Luftwaffenbasis Al-Asrak. Foto: dpa

11.09.2018
dpa/mkl/yb

Streit um deutsche Beteiligung an möglichem Luftangriff auf Syrien

Berlin. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) prüft laut einem Medienbericht, ob und wie sich die Bundeswehr bei einem erneuten Chemiewaffeneinsatz von Syriens Diktator Baschar al-Assad gegen die eigene Bevölkerung an militärischen Vergeltungsaktionen beteiligen kann. Im Verteidigungsministerium werde erwogen, sich für diesen Fall an der Allianz der USA sowie von Großbritannien und Frankreich zu beteiligen, schreibt die „Bild“. Die drei Länder hatten im April Ziele in Syrien angegriffen und damit nach eigener Darstellung auf einen Chemiewaffen-Einsatz von Assad im syrischen Bürgerkrieg reagiert.

Ursprung der Gedankenspiele des Verteidigungsministeriums sei eine US-Anfrage im Bundeskanzleramt gewesen, schreibt die Zeitung. Anschließend sei im BMVg die grundsätzliche Möglichkeit einer deutschen Beteiligung an Vergeltungsangriffen gegen Assad im Falle eines Chemiewaffen-Einsatzes diskutiert worden. In späteren Gesprächen sei es um Optionen wie Aufklärungsflüge vor einem möglichen Angriff, um eine Schadensanalyse danach sowie um die Teilnahme an möglichen Kampfeinsätzen gegangen. Besonders heikel: Das Parlament solle im Fall eines schnellen militärischen Eingreifens erst nachträglich befragt werden, hieß es weiter.

Der Vorstoß kommt zu diesem Zeitpunkt unerwartet und trifft im politischen Berlin auf breiten Widerstand. Auch innerhalb der Koalition scheint das nun geprüfte Vorgehen offenbar nicht vermittelbar, ganz zu schweigen vom Rest des Parlaments, das ja normalerweise die Bundeswehr in Einsätze entsendet. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles jedenfalls erteilte den Überlegungen am Montag eine deutliche Absage: „Die SPD wird weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zustimmen“, teilte Nahles mit. „Wir unterstützen Außenminister Heiko Maas bei seinen Bemühungen, im Gespräch mit unter anderem der Türkei und Russland eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.“ Maas sagte: „Andrea Nahles hat natürlich vollkommen Recht, dass die Bundesregierung sich natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes und des Völkerrechts bewegen wird.“

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hält einen solchen Einsatz hingegen für eine Option. Kramp-Karrenbauer sagte, die CDU blicke mit Sorge auf die Situation in Syrien und besonders in Idlib. Niemand könne nach den Erfahrungen der Vergangenheit ausschließen, dass es nochmals zu Giftgasangriffen kommen könnte. Dass sich ein Verteidigungsministerium „mit allen möglichen Konstellationen auch auseinandersetzt und vertraut macht, das gehört eigentlich zur Aufgabenbeschreibung eines Verteidigungsministeriums dazu“, ergänzte sie. Eine politische Entscheidung sei damit nicht vorweggenommen.

Auch weitere Unionspolitiker wollten eine militärische Option im Falle eines Giftgaseinsatzes durch das Assad-Regime nicht ausschließen. „Wenn es auch in Idlib zu einem Einsatz von Giftgas käme, müsste Deutschland Bitten unserer Freunde um Unterstützung sehr ernsthaft prüfen, insbesondere wenn unsere Fähigkeiten angefragt werden“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, der „Passauer Neuen Presse“ (PNP/Dienstag). Sein Parteifreund Norbert Röttgen sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Deutschland sollte erwägen, sich unter bestimmten Bedingungen mit seinen Verbündeten USA, Frankreich und Großbritannien an einem Militäreinsatz in Syrien zu beteiligen.“ Wenn es darum gehe, einen neuen schrecklichen Giftgasangriff mit massenhafter Wirkung auf die Zivilbevölkerung zu verhindern, „sollte sich Deutschland dem nicht verschließen“.

„Wir reden hier über einen sehr hypothetischen Fall“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass Streitkräfte in Szenarien planten. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Situation in Idlib sei so, dass man große Sorgen haben müsse, dass sich dort entsetzliche Muster aus anderen syrischen Kampfschauplätzen wiederholen könnten. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, sagte der „PNP“, im Moment würden offenbar nur Optionen geprüft, es seien keine Entscheidungen gefallen. „Diese müssten im Kabinett gemeinsam getroffen werden und auch eine Parlamentsmehrheit hinter sich wissen. Das sehe ich nicht.“

Konkret sehen die Überlegungen im Ministerium laut „Bild“ vor, wie schon bei der Operation „Counter Daesh“ der Allianz gegen Assad zunächst mit „Tornado“-Aufklärungsbildern zu unterstützen. Diese Allianz könnte demnach außer Deutschland aus mindestens den USA, Großbritannien und Frankreich bestehen, weitere Partner sind demnach möglich. Ausdrücklich soll auch die Teilnahme an Kampfeinsätzen ermöglicht werden, bei denen deutsche „Tornados“ Bomben abwerfen könnten, um militärische Infrastruktur auszuschalten. Das würde aber bedeuten, dass sich Deutschland direkt und militärisch gegen Russland stellt, das den syrischen Machthaber unterstützt – mit unabsehbaren Konsequenzen.

Skeptisch ist daher auch der Vorstand Luftwaffe im Deutschen BundeswehrVerband. „Wir haben zurzeit in Al-Asrak vier Aufklärungs-‚Tornados‘ und ein Tankflugzeug vom Typ A310 MRTT stationiert“, sagt der Vorsitzende Luftwaffe, Hauptmann Michael Scholz, „diese Fähigkeiten könnten zur Verfügung gestellt werden, sollte Assad tatsächlich eine rote Linie überschreiten und eine entsprechende Unterstützungsanfrage kommen.“ Das Bundesvorstandsmitglied gibt allerdings zu bedenken: „In einem solchen Fall könnten deutsche ‚Tornados‘ im neuen Einsatzraum auf syrische, russische und iranische Kräfte treffen – damit hätte diese Mission eine völlig neue Qualität.“

Der syrische Bürgerkrieg hatte im März 2011 im Zuge der arabischen Aufstände mit Protesten begonnen, gegen die die Sicherheitskräfte mit Gewalt vorgingen. Daraus entwickelte sich ein bewaffneter Konflikt. Seitdem sind mehr als 400.000 Menschen ums Leben gekommen, Millionen wurden im Land vertrieben oder flohen ins Ausland. Große Gebiete Syriens wurden während des bewaffneten Konflikts massiv zerstört. Nun steht in diesem jahrelangen Krieg offenbar die Entscheidung bevor, russische und syrische Kampfflugzeuge sollen auch am Wochenende wieder Angriffe auf Stellungen in der Provinz Idlib geflogen sein. Das Gebiet gilt als letzter Rückzugsort der sogenannten Rebellen. Schätzungen zufolge halten sich in Idlib etwa 100.000 teils islamistische Rebellen, aber auch rund drei Millionen Zivilisten auf.

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