Oberster Diplomat und wohl bald Bundespräsident: Frank-Walter Steinmeier. Foto: DBwV/ Willem gr. Darrelmann

Oberster Diplomat und wohl bald Bundespräsident: Frank-Walter Steinmeier Foto: DBwV/ Willem gr. Darrelmann

05.01.2017
Jan Meyer

Steinmeier: „Ziel ist Anhebung des Verteidigungshaushalts“

Der Krieg in Syrien, die Krise in der Türkei, Donald Trump als neuer US-Präsident: Lauter gute Gründe für die "Die Bundeswehr", das Gespräch mit dem Außenminister zu suchen. Auch und gerade, wenn er demnächst Bundespräsident wird.

Herr Minister, der „vernetzte Ansatz“ ist der Leitgedanke des deutschen Engagements in Krisenregionen. Welche Erfolge sehen Sie bei der praktischen Entwicklung? Wo gibt es Nachholbedarf?

Frank-Walter Steinmeier: Wir sind mit unserer Politik immer dann besonders erfolgreich, wenn wir in einer Gesamtstrategie unterschiedliche Perspektiven, Ansätze und Projekte zusammendenken: Stabilisierungsmaßnahmen des Auswärtigen Amtes zusammen mit Einsätzen der Bundeswehr und Entwicklungsprojekten des Entwicklungshilfeministeriums, an manchen Orten auch ergänzt um den Einsatz deutscher Polizisten – und all das abgestimmt mit den Projekten, die unsere Partner in EU und Vereinten Nationen leisten.

In vielen Ländern funktioniert das schon sehr gut: In Somalia geht die Pirateriebekämpfung auf See Hand in Hand mit einer militärischen EU-Ausbildungsmission, Stabilisierungsmaßnahmen und europäischen und nationalen Entwicklungsprogrammen. Mit den neuen Leitlinien für das Krisenengagement der Bundesregierung wollen wir die Koordinierung zwischen diesen Maßnahmen weiter verbessern.

Wie erklären Sie sich das Komplettversagen der internationalen Staatengemeinschaft in Syrien? Wie können solche Katastrophen in Zukunft verhindert werden?

Der Bürgerkrieg in Syrien sucht mit all seinem Schrecken, seiner Gewalt und der Grausamkeit seinesgleichen. Aber der Konflikt ist auch sehr komplex: Da haben wir es mit einem nur schwer durchschaubaren Gewirr von Interessen und Akteuren zu tun, in dem es natürlich um die nackte Macht geht, aber auch um religiöse, ethnische und ideologische Gegensätze, die sich nicht einfach so überbrücken lassen.

Hinzu kommt: Anders als früher folgt aus verhandelten Vereinbarungen zwischen den beiden Großmächten USA und Russland nicht mehr automatisch eine klare Marschrichtung aller Beteiligten. Dass so viele Akteure beteiligt sind – gerade auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft Syriens – macht die Versuche, den Konflikt einer Lösung zuzuführen, so unglaublich schwierig.

Das bedeutet aber nicht, dass wir einfach aufgeben: Deutschland steht ganz vorne bei der humanitären Hilfe. Wir drängen auf Zugang für internationale Hilfslieferungen und Helfer, auf Feuerpausen und Möglichkeiten der Evakuierung. Und wir brauchen dringend eine Rückkehr zu einem politischen Prozess – sonst wird der Konflikt kein Ende finden.

Wie bereitet sich die internationale Staatengemeinschaft auf die Zeit nach dem IS vor?

Es lässt sich nicht absehen, wann die Terrormiliz in den Gebieten, die sie in Syrien und Irak noch in ihrer Gewalt hat, endgültig geschlagen sein wird. Sehen kann man aber, dass unsere Strategie, IS politisch, militärisch und weltanschaulich anzugehen, Wirkung zeigt. In Syrien und im Irak konnte IS schon massiv zurückgedrängt werden. Auch in Mossul gibt es Fortschritte im Kampf gegen IS.

Schon jetzt müssen wir aber auch für den Tag danach planen. Deshalb haben wir in der internationalen Anti-IS-Koalition von Anfang an eine Führungsrolle für den so wichtigen Bereich der Stabilisierung übernommen. Wir wollen den Menschen in den Gebieten, die von IS befreit sind, schnell eine Perspektive für die Zukunft bieten. In Mossul planen wir bereits mit den nationalen und lokal Verantwortlichen, wie das gehen kann. Das ist ein ganz essenzieller Teil unseres umfassenden Ansatzes im Kampf gegen IS. Denn Terrorismus und islamistischer Extremismus sind militärisch allein nicht zu besiegen – weder in Europa noch im Irak und in Syrien.

In Kürze wird Donald Trump sein neues Amt als Präsident der Vereinigten Staaten antreten – ein  Mann, den Sie im Vorfeld aus nachvollziehbaren Gründen als „Hassprediger“ bezeichnet haben. Welches Miteinander können Sie sich vorstellen? Was wird auf Ihren Nachfolger im Amt zukommen?

Wir müssen damit rechnen, dass die Außenpolitik der neuen US-Administration weniger vorhersehbar sein wird, dass die Amerikaner künftig auch häufiger im Alleingang entscheiden und nationale Interessen mehr in den Vordergrund stellen werden.

Das betrifft jetzt schon die internationale Handelspolitik mit dem von Donald Trump angekündigten Ausstieg der USA aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen, aber wird sich wohl im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik fortsetzen.

Deshalb müssen wir abwarten, wie Präsident Trump sich in der Klimapolitik oder beim Umgang mit den Krisen in Syrien, im Nahen Osten und gegenüber Russland positionieren wird. Ich hoffe, dass die künftige amerikanische Administration das transatlantische Verhältnis zu schätzen weiß – nicht nur gegenüber Deutschland, sondern auch gegenüber Europa insgesamt. Dieses Verhältnis ist das Fundament des Westens; es muss intensiv gepflegt werden – von beiden Seiten.

Herr Trump hat eine Reihe wenig vielversprechender Bemerkungen in Richtung Nato gemacht. Was, glauben Sie, will er wirklich?

Die USA werden künftig sicher noch deutlicher fordern, dass sich die Europäer stärker an der Gewährleistung der eigenen Sicherheit beteiligen. Das ist im Prinzip nichts Neues: Auch mit einer Präsidentin Clinton hätten wir uns auf diese Forderung einstellen müssen und das ist seit Jahren Konsens.

Im wohlverstandenen Eigeninteresse sind wir gut beraten, Europas Fähigkeiten auszubauen. Das Ziel der Bundesregierung ist eine schrittweise Anhebung des Verteidigungshaushalts – gleichzeitig müssen wir aber auch darauf achten, noch mehr Synergien zu schaffen bei den verschiedenen Verteidigungsfähigkeiten der Nato-Partner und zwischen Nato und EU.

Was bedeutet das für die künftige Rolle der Nato?

Gerade im Umgang mit aktuellen Sicherheitsherausforderungen ist es entscheidend, dass Nato und EU ihre militärischen und zivilen Instrumente besser miteinander verzahnen. Das gilt für die Kooperation bei der Cybersicherheit, aber auch für gemeinsame Frühwarnmechanismen und aufeinander abgestimmte Militärübungen. Es ist gut, dass wir beim letzten Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel Anfang Dezember eine entsprechende Erklärung verabschieden konnten, die diese Punkte aufgreift – jetzt kommt es auf die Umsetzung an.

Muss gegebenenfalls die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestärkt werden? Was würde das für Deutschland bedeuten?

Wir müssen die EU so aufstellen, dass sie noch besser Sicherheit für die Menschen in Europa liefern kann. Dafür arbeiten schon heute zivile Experten, Polizisten und Soldaten in 17 Kriseneinsätzen der EU auf drei Kontinenten zusammen.

Auch unter den EU-Mitgliedsstaaten gibt es eine große Bereitschaft, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa voranzubringen. Ich habe dafür mit meinem französischen Kollegen Vorschläge gemacht; auch die Verteidigungsministerin arbeitet hier eng mit ihren französischen, italienischen und spanischen Kollegen zusammen.

Europa ist da auf dem richtigen Weg. Klar ist aber auch: Wir müssen bereit sein zu mehr gemeinsamer Finanzierung. Die Mühe wird sich lohnen: Die Arbeit für einen stärkeren europäischen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit kommt am Ende allen zugute, auch unseren transatlantischen Partnern. 

Wie entwickelt sich das Verhältnis zur Türkei? Ein Nato-Partner, der sich Russland  und China annähert?

Dass die Türkei ihre Beziehungen zu Russland oder zu China aufbaut und pflegt, ist doch ganz normale Außenpolitik. Dagegen ist erstmal nichts zu sagen.

Wenn wir uns die Welt so aufteilen würden, dass wir nur noch mit denjenigen sprechen oder Beziehungen unterhielten, die voll auf unserer Linie liegen, würde unsere Außenpolitik auf ein nettes, aber doch eher kleines Kaffeekränzchen aus Europäern zusammenschrumpfen, und dann noch nicht einmal mit allen.

Aber natürlich geht die Nato-Mitgliedschaft auch mit außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Verpflichtungen einher. Ob sich die Türkei auf Europa und den Westen zubewegt, oder eher nach Osten drängt – das muss sie letztlich selbst entscheiden.

Ihre künftige Rolle als Bundespräsident ist ja dem Wesen nach eine einende. Angesichts des weltweiten Erstarkens von Rechtspopulisten: Was ist Ihr Plan, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu festigen?

Ich glaube, um mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen – dazu gehört auch das Erstarken von Populismus und Nationalismus in Europa – brauchen wir eine lebendige und wache politische Kultur, und zwar auch über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg. Eine Kultur, in der wir uns nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben und die Schuld nicht stets beim Anderen suchen. Sondern in der wir auch mal heftig miteinander streiten können, ohne den Respekt voreinander zu verlieren.

Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann: Das, was wir miteinander hier in Deutschland geschafft haben – die Verbindung von wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Verantwortung – das hat uns weltweit zu einem anerkannten Partner gemacht und dazu können wir selbstbewusst stehen.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick