Ein Schützenpanzer Puma bei einer Übung im Gefecht: Das neue Waffensystem des Heeres kann nur schleppend den 50 Jahre alten Marder ersetzen. Für  Oberst André Wüstner, Bundesvorsitzender, sind die kritischen Aussagen von Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, Anlass, erneut auf die mangelhafte Einsatzbereitschaft der Truppe hinzuweisen. Foto:Bundeswehr/Philipp Neumann

Ein Schützenpanzer Puma bei einer Übung im Gefecht: Das neue Waffensystem des Heeres kann nur schleppend den 50 Jahre alten Marder ersetzen. Für Oberst André Wüstner, Bundesvorsitzender, sind die kritischen Aussagen von Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, Anlass, erneut auf die mangelhafte Einsatzbereitschaft der Truppe hinzuweisen. Foto:Bundeswehr/Philipp Neumann

25.02.2022
ANDRÉ WÜSTNER

„Mehr oder weniger blank“

Dass sich ein deutscher Dreisterne-General so drastisch äußert, ist selten. Und wenn er es tut, sollte man genau hinhören!

Generalleutnant Alfons Mais, der Inspekteur des Heeres, hat am Morgen des russischen Überfalls auf die Ukraine seine Frustration über den Zustand der Bundeswehr ausgedrückt. Im sozialen Netzwerk „Linked In“ schrieb er: „...die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da." Die Optionen, die man der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten könne, seien extrem limitiert. „Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage, mit unseren Argumenten durchzudringen (…)“ Jetzt müsse sich die Truppe neu aufstellen – „Sonst werden wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag und unsere Bündnisverpflichtungen nicht mit Aussicht auf Erfolg umsetzen können."

Derart offene Worte kamen nicht überall gut an. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erklärte schmallippig: „Ich kann jedem nur raten, der Verantwortung trägt, alle Kraft momentan darauf zu verwenden, diese Herausforderungen zu erfüllen.“

Nun. Ich bin sicher, dass Generalleutnant Mais genau das tut - und nicht erst seit diesem Tag.  Ich bin aber auch sicher, dass er genau das ausgesprochen hat, was jeder Politiker, jeder aufmerksame Leser des Jahresberichts der Wehrbeauftragten – oder auch nur der Zeitungen – seit Jahren wissen konnte. Mit seinen Sätzen stärkt er, was für den Chef des deutschen Heeres unbedingt notwendig ist: Das Vertrauen seiner Untergebenen.

Ein Vertrauen, das Politik dadurch verspielt hat, dass man der Bundeswehr konsequent die finanzielle und vor allem materielle Ausstattung versagt hat, die für die Bündnisverteidigung notwendig ist. Vertrauen ist übrigens auch die Grundvoraussetzung dafür, dass immer wieder in prekärer Lage das eigentlich Unmögliche erreicht wird. Die unterstellten Soldaten vertrauen Generalleutnant Mais und anderen Truppenführern, deshalb werden sie wie bisher alle Aufträge erfüllen, eben weil diese Vorgesetzten seit Jahren mit Zuversicht, Authentizität und Wahrhaftigkeit führen. Wer immer die Äußerungen von Generalleutnant Mais beurteilt, muss verstehen, dass ein Inspekteur und Truppensteller in diesem Zusammenhang eben nicht nur innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings kommuniziert, sondern sich zugleich an tausende Soldaten richtet.

Wenn ich jetzt von einigen höre, dass Zeitpunkt und Art von Generalleutnant Mais nicht richtig gewählt gewesen seien, dann sind das in der Regel Menschen, die aktuell nicht in Führungsverantwortung stehen, die nicht für Leib und Leben unterstellter Soldaten verantwortlich sind. Und ja, auch in Brüssel mag man die Augenbrauen hochgezogen haben - na und? Deutschland hat im Krisenmanagement seit Mitte der 90er und in den Rückversicherungsmaßnahmen nach der Krim-Annexion (ich denke dabei an die Enhanced Forward Presence und VJTF 2015, 2019 und 2023) zuverlässig geliefert. Wir sorgen dafür, dass in einer EU- Battle Group auch das drin ist, was wir zugesagt haben und wir verstärken nach politischer Entscheidung aktuell gerade in Litauen und anderswo mit einer Geschwindigkeit, die Ihres Gleichen sucht.

Aber ja: Wir müssen heute und künftig mehr können. Wir müssen vor allem die über VJTF und NRF hinausgehenden Zusagen an das Bündnis, Stichwort Nato-Planungsziele, Division bis 2027, zeitgerecht und qualitativ einsatzfähig verlässlich erreichen, soweit es der Verteidigungshaushalt zulässt.

Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft immer noch weit und die Zeit läuft. US-Präsident Biden ist ein bekennender, wenn nicht gar gefühlt der letzte Transatlantiker – anders als große Teile der Gesellschaft in den USA. Das kann man nicht laut genug sagen, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass es ein künftiger US-Präsident den Europäern mehr denn je selbst überlässt, sich um ihre Sicherheitsarchitektur zu kümmern. Dann sollten wir vorbereitet sein.

Es ist daher jetzt höchste Zeit, endlich den Worten Taten folgen zu lassen, unsere Bundeswehr für die Zukunft strukturell und materiell fit zu machen und dazu die notwendigen Finanzmittel für die notwendigen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Geschichte vom „kleiner, aber feiner“ kann die Truppe nicht mehr hören! Nur so kann Politik verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen – und wir könnten unserem im Grundgesetz festgeschriebenen Auftrag wieder gerecht werden. Zu einer solchen Rekalibrierung unseres Bewusstseins hat die Äußerung von Generalleutnant Mais sicher einen Beitrag geleistet. Also: Fangen wir damit an. Wann, wenn nicht jetzt?

 

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