„Ich erwarte klare Botschaften vom Bundeskanzler"
Berlin. Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird der prominenteste Redner während der Bundeswehrtagung am Freitag sein. Der DBwV-Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner, der dabei ist, hat im Interview mit der in Düsseldorf erscheinenden Tageszeitung „Rheinische Post" eine klare Position zur Truppe und vor allem zur Finanzierung der Bundeswehr gefordert. Hier lesen Sie das ganze Interview:
„Ich erwarte vom Bundeskanzler klare Botschaften, dass die Ampel-Koalition sich trotz aller Herausforderungen glasklar zur Truppe bekennt. Das beinhaltet auch ein klares Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel und wie er dies abseits eines Sondervermögens erreichen will. Seine Rede, seine Anwesenheit wird nicht nur in Deutschland, sondern sicherlich im Ausland, von Freund und Feind, verfolgt werden", sagt der Bundesvorsitzende.
Verteidigungsminister Boris Pistorius will, dass Deutschland wieder kriegstüchtig wird angesichts neuer Bedrohungen. Ist es wirklich so schlimm?
Boris Pistorius hat recht. Und es ist gut, dass er die Dinge mal beim Namen nennt. Deutschland muss wieder kriegstüchtig werden, um glaubhaft abschrecken und sich im äußersten Fall auch verteidigen zu können. Nebenbei, wer nicht will, dass die Bundeswehr wieder kriegstüchtig werden soll, der möge sogleich auf eine Zukunft in Freiheit, Recht und Frieden verzichten.
Verteidigen gegen wen oder was?
Die Nato schließt mittelfristig einen regional begrenzten, konventionellen Krieg an der Bündnisgrenze nicht mehr aus. Schon heute sind wir hybriden Bedrohungen und sogar konkreten Angriffen ausgesetzt, wenn sie auf Cyberattacken oder Desinformationskampagnen schauen. Russland fährt seine Kriegswirtschaft mit dem Segen Chinas immer weiter hoch und agiert gemeinsam mit anderen Staaten wie dem Iran und Nordkorea, um die regelbasierte Weltordnung, wie wir sie kennen und verteidigen wollen, zu zerstören.
Woran machen Sie das fest?
Russlands Überfall auf die Ukraine ist Ausdruck des imperialistischen Ziels von Kremlchef Wladimir Putin. Er behindert Getreidelieferungen nach Afrika und platziert auch dort gezielt Söldnergruppen, um zu destabilisieren und damit den Migrationsdruck auf Europa zu erhöhen. Das führt bei uns zu den bekannten Herausforderungen. Russland hat ein großes Interesse an einer Ausweitung des Krieges in Nahost, um insbesondere die USA dort zu binden und von seinem Ukraine-Krieg abzulenken. Nebenbei: Wer kann ausschließen, dass es auch kurzfristig zu Söldner-Angriffen auf Nato-Territorium kommen kann, die nicht klar zuzuordnen sind und damit unterhalb der Schwelle Bündnisfall agieren? Von der aktuell steigenden Terrorgefahr oder einem Aufflammen des Konfliktes zwischen Serbien und dem Kosovo ganz zu schweigen. Darauf müssen wir uns gefasst machen und bezogen auf gewaltbereite Diktatoren schlicht bösgläubiger werden.
Wie lange hat Deutschland Zeit, sich gegen gewachsene Bedrohungen ausreichend zu rüsten?
Es ist bereits fünf nach zwölf. Wir sind schon im Rüstungswettlauf mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine, und spätestens bei einem Waffenstillstand für die Zeit danach wird es eng. Wir müssen alles daransetzen, das russische Gewaltsystem in die Schranken zu weisen. Dafür braucht es endlich wieder so entschlossenes Handeln wie unmittelbar nach der Zeitenwende-Rede von Kanzler Olaf Scholz. Und es braucht noch mehr Anstrengungen, insbesondere von der Industrie.
Was meinen Sie genau?
Unsere Verteidigungsfähigkeit wird definiert von der gesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit, einer hoffentlich wieder bald voll einsatzbereiten Bundeswehr und einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie. Politik muss in Gänze verstehen, dass unsere Waffenschmieden Teil unserer Sicherheitsvorsorge sind und nicht die Schmuddelkinder unserer Wirtschaft. Und sie muss dafür sorgen, dass die Industrie in einem höheren Tempo produziert, denn leider brauchen wir von allem mehr: Ersatzteile, Waffensysteme wie Panzer, Haubitzen oder Fregatten und insbesondere Munition.
Hat die Industrie ausreichend Kapazitäten?
Aktuell nicht. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die in Deutschland ansässigen Unternehmen ihre Kapazitäten schnell erhöhen könnten, wenn es entsprechende Aufträge, Rahmenverträge und Perspektiven gibt. Der Verteidigungsminister oder besser Kanzler Olaf Scholz sollte erneut einen Rüstungsgipfel abhalten, um wichtige Signale an die Unternehmen zu senden.
Wie lange kann die Bundeswehr noch Gerät an die Ukraine abgeben, ohne die eigenen Fähigkeiten zu schmälern?
Um es deutlich zu sagen: Die qualitative Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nimmt durch die notwendige Unterstützung für die Ukraine ab. Neubestellungen laufen noch nicht zu. Aber es ist derzeit die richtige Strategie, Russland als Aggressor in der Ukraine in die Schranken zu weisen, bevor er weiter folternd, vergewaltigend und schlachtend durch das Land marschiert. Die Bundeswehr selbst hat durch jahrzehntelanges Sparen einen enormen Rückstand beim Gerät, der Digitalisierung und dem Personal. Hinzu kommt, dass die Ausbildung von bald 10.000 ukrainischen Soldaten, Auslandseinsätze, Bündnisaufträge an der Nato-Ostflanke oder etwa die vorbereitete Evakuierungsmission im Nahen Osten viele Kräfte binden. Diesbezüglich muss man vor der Truppe den Hut ziehen.
Reichen die 100 Milliarden Euro Sondervermögen, um die nötige Aufrüstung zu finanzieren?
Nein. Allen ist klar, dass das erst der Anfang sein kann. Der Inspekteur der Marine brachte es einmal auf den Punkt. Steigt der Verteidigungshaushalt nicht drastisch an, bleibt das Sondervermögen eine Palliativmaßnahme. Wir werden künftig vermutlich mehr als 2% vom Bruttoinlandsprodukt in die Bundeswehr investieren müssen, um verteidigungsfähig zu werden. Denn wer dies ist, schreckt ab. Wer es nicht ist, lädt ein!
Der gesellschaftliche Rückhalt dürfte sich für so hohe Rüstungsausgaben in engen Grenzen halten angesichts der vielen anderen Probleme?
Das könnte sein, ich bin aber aufgrund verschiedener Umfragen zuversichtlich. Dennoch: Wir brauchen eine mentale Zeitenwende in Deutschland. Politik in Gänze, alle Menschen müssen aufwachen. Die Bedrohungen sind real und Ursache für viele Probleme, mit denen wir aktuell zu tun haben. Die Friedensdividende ist Geschichte, so bitter das ist. Die Gefahr eines Krieges ist gestiegen. Und deswegen reicht es auch nicht, wenn der Verteidigungsminister die Dinge beim Namen nennt. Die gesamte Bundesregierung muss das tun und entsprechend handeln.?
Sie haben viel Kritik für Ihren Vorstoß bekommen, Werbung für die Bundeswehr an Schulen zu machen. Bleiben Sie dabei?
Die Kritik war erwartbar und kam von den üblichen Verdächtigen. Was mich selbst überrascht hat, waren mehr als einhundert positive Zuschriften von Bürgern, auch von Lehrkräften. Einige haben mich eingeladen, in ihrem Unterricht oder im Kollegium über die Bundeswehr, Verteidigungspolitik und gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge zu sprechen. Das hat mich beeindruckt und ich werde diesen Einladungen folgen. Wir müssen die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge, das Thema wehrhafte Demokratie gerade auch den jungen Menschen intensiver als bisher näherbringen. Und warum soll man dabei nicht wie in anderen Ländern für den Katastrophenschutz, die Polizei, den Geheimdienst oder die Bundeswehr werben dürfen. Alle, insbesondere die Bundeswehr kämpfen mit sinkenden Zahlen in der Personalgewinnung.
Können Sie das nicht nachvollziehen angesichts der beschriebenen Bedrohungen?
Teilweise. Für viele ist die Bundeswehr mit Ihren über 1000 Berufen einfach nicht auf dem Radar. Grundsätzlich gilt: wenn wir weiterhin frei und in Frieden leben wollen, braucht es Menschen, die unsere Demokratie zur Not auch mit Waffengewalt verteidigen. Denn unsere Werte und unsere Demokratie sind unter Beschuss, im wahrsten Sinne des Wortes.? Ich wünschte mir, dass wieder mehr in den Familien, in der Gesellschaft diskutiert würde, was jeder selbst für unser Land, für unsere Art des Lebens, bereit ist zu tun. Der jüngste Zivilisationsbruch durch den barbarischen Angriff der Hamas in Israel könnte genauso Anlass sein wie die Grauen des Krieges in der Ukraine.
Liegt es auch an der Bundeswehr, nicht attraktiv genug zu sein als Arbeitgeber?
In der Tat muss die Bundeswehr attraktiver werden im Wettbewerb um Fachkräfte und motivierte junge Menschen - egal ob für die Streitkräfte oder die Wehrverwaltung. Ich begrüße daher, dass Minister Pistorius das Thema Personal zum Schwerpunkt gemacht hat. So wird es sicher in Kürze ein Bündel an guten Vorschlägen auch unter unserer Beteiligung geben. Klar ist, dass die Besoldung wie andere soziale Rahmenbedingungen oder grundsätzliche Karrieremöglichkeiten wesentlich für Konkurrenzfähigkeit sind, aber es geht um viel mehr. Wie kann beispielsweise der spätere Übergang vom Soldaten auf Zeit in die Wehrverwaltung, den öffentlichen Dienst oder die Wirtschaft besser als bisher gelingen und damit eine bestmögliche Perspektive für die Zeit danach aufgezeigt werden.
Wo sehen Sie gesetzlichen Handlungsbedarf?
Grundsätzlich bedarf es eines Gesetzgebungspakets unter der Überschrift Zeitenwende. Allein die richtige Entscheidung der erstmaligen Stationierung einer kompletten Kampftruppenbrigade in Litauen wird enorme dienstrechtliche Veränderungen nach sich ziehen, von der erhöhten Vergütungssätzen für besondere Belastungen im In- und Ausland, wie sie das Verteidigungsministerium bereits angekündigt hat oder die Frage der umfassenden Einsatzversorgung bei Verwundung und Tod, um nur einige Aspekte zu nennen. Der Minister will in diesem Bereich neue Standards setzen und das ist absolut notwendig, braucht aber die Zustimmung seiner Kabinettsmitglieder und am Ende die des Parlamentes. Nicht zu vergessen, dass die Vollausstattung der Truppe ein eigener Attraktivitätsaspekt für die Nachwuchsgewinnung an sich ist.
Und zur Not muss die Wehrpflicht wieder reaktiviert werden?
Die Bundeswehr muss personell spätestens Ende kommenden Jahres den Abwärtstrend stoppen. Gelingt dies nicht, droht die Einsatzbereitschaft auf der Zeitachse auf ein Maß zu sinken, das kaum zu verantworten wäre. Es liegt an der Regierungskoalition selbst, ob es ihr gelingt das durch Attraktivitätsmaßnahmen im Bereich soziale Rahmenbedingungen, Unterkünfte und nicht zuletzt moderne Ausrüstung zu verhindern. Geling dies nicht, wird Politik nicht umhinkommen, sich über ein Dienstjahr oder die Wehrpflicht Gedanken zu machen. Vielleicht tätet das Verteidigungsministerium gut daran zumindest ein Konzept dafür zu erarbeiten, denn bekanntlich ist es ab und an gut, vor der Welle zu sein.
Dann würde es immer noch Jahre dauern, bis sich etwas ändert?
Stimmt, daher bevorzuge ich die anderen Maßnahmen zur Personalgewinnung.
Es gibt Berichte, wonach Boris Pistorius im Ministerium hart durchgreifen und umstrukturieren will. Richtig so?
Boris Pistorius hatte bereits seinen Leitungsbereich verändert und wird sicherlich die Abteilungen im Ministerium anpassen, um Redundanzen zu beseitigen und die Führungsfähigkeit zu verbessern. Im Bereich Beschaffungswesen hat er bereits erste Pflöcke eingerammt. Fraglich bleibt, ob er die Struktur der Bundeswehr angehen möchte.
Trauen Sie ihm das zu?
Der Minister ist ja noch nicht mal ein Jahr im Amt und trotzdem hat er meines Erachtens erkannt, dass maximale Einsatzbereitschaft neben der materiellen und personellen eben auch eine strukturelle Dimension hat. Ob er das in der verbleibenden Zeit trotz mancher zu erwartender Widerstände angeht, werden wir vielleicht auf der Bundeswehrtagung erfahren. Um auf ihre Frage zu antworten, ja, ich traue es ihm zu. Aktuell hätte er dafür den Rückhalt der Truppe. Und klar, das ist neben der Vorstellung der neuen verteidigungspolitischen Richtlinien das alle umtreibende Thema. Warten wir es ab.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wird an der Tagung teilnehmen. Was bedeutet das für die Truppe?
Die Tagung ist eine der wichtigsten Veranstaltungen für unsere Bundeswehr. Dass der Kanzler zum wiederholten Male kommt, ist Ausdruck einer neuen Wertschätzung, welche sicherlich mit der unserer Welt im Umbruch zusammenhängt. Ich erwarte vom Bundeskanzler aber auch klare Botschaften, dass die Ampel-Koalition sich trotz aller Herausforderungen glasklar zur Truppe bekennt. Das beinhaltet auch ein klares Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel und wie er dies abseits eines Sondervermögens erreichen will. Seine Rede, seine Anwesenheit wird nicht nur in Deutschland, sondern sicherlich im Ausland, von Freund und Feind, verfolgt werden!