Ministerin Ursula von der Leyen mit dem Herausgeber des Verbandsmagazins, Jan Meyer, in ihrem Berliner Büro. Foto: gr. Darrelmann/DBwV

Ministerin Ursula von der Leyen mit dem Herausgeber des Verbandsmagazins, Jan Meyer, in ihrem Berliner Büro. Foto: gr. Darrelmann/DBwV

04.01.2016

Flüchtlingshilfe nur noch bis zum Sommer

Die Verteidigungsministerin im Interview: Ursula von der Leyen über die Grenzen der Amtshilfe, die Ziele des deutschen Einsatzes gegen den IS und die notwendigen Reformen im eigenen Ressort

Die Bundeswehr: Frau von der Leyen, Sie sind jetzt seit zwei Jahren im Amt. Haben Sie es sich so vorgestellt? Was war die eindrücklichste Erfahrung?

Ursula von der Leyen: Ich hatte am Anfang nur eine ganz grobe Vorstellung von der Aufgabe. Das war auch bei meinen anderen Ministerämtern so. Man muss sich immer mit Hochdruck einarbeiten. Dass mein kurz nach Beginn geäußerter Satz, „Wegschauen ist für ein Land wie Deutschland keine Option. Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen“, so schnell mit Leben gefüllt würde, damit hatte damals kaum jemand gerechnet. Die Welt um uns herum hat sich enorm verändert und mit ihr die Aufgaben für die Bundeswehr.

Ab Januar gilt die neue Arbeitszeitverordnung für Soldaten. Was ist aus Ihrer Sicht das Wesentliche an dieser Neuerung? Welche Erwartungen haben Sie an den Start?

Hier geht es um einen echten Kulturwandel. Vor allem geht es um Transparenz im Umgang mit der Lebenszeit der Soldatinnen und Soldaten. Die Frage ist doch, ob die Organisation mit Zeit aast. Es sollte nicht so sein, dass Soldatinnen und Soldaten ihren Dienstherrn mit Zeit subventionieren, das kommt mit der Einführung der Regelarbeitszeit auf den Prüfstand. Einsatz bleibt natürlich Einsatz. Die Regelung betrifft also den Grundbetrieb. Soldatinnen und Soldaten haben wie alle anderen auch Familie und nur eine Gesundheit. Immer im Dienst zu sein ist für niemanden gut, am Ende auch nicht für den Arbeitgeber. Aber die neue Regelung hilft bei der klaren Balance zwischen Dienst und Freizeit. Am Anfang wird es ruckeln, aber 14 europäische Länder haben es bereits geschafft, und wir werden das auch schaffen?...

Dieser Tage nehmen Tornados der Luftwaffe ihre Aufklärungsflüge über syrischem Territorium auf. Nachdem Deutschland die Anti-IS-Koalition nur indirekt unterstützt hat, ist das eine neue Qualität. Wir beschreiben ja den „Ring of Fire“, der IS wandert – können Sie sich vorstellen, dass wir künftig auch Libyen stabilisieren, gegebenenfalls mit einer Ausbildungsmission?

Es gibt eine ganz klare Regelung, dass in Libyen zunächst einmal der politische Prozess greifen muss. Ich halte nichts davon, sich vorweg in Gedankenspielen zu ergehen. Hier braucht es eine Einheitsregierung, die in der Lage ist, eine Einladung an die Staatengemeinschaft auszusprechen. Die Frage, ob und wie sich Deutschland in diesem Fall an einer Mission beteiligen könnte, würde sich erst dann stellen.

Wie definieren Sie die Ziele der Syrien-Mission? Wann sehen Sie den Auftrag für die Bundeswehr als erfüllt an?

Die Ziele der Mission spiegeln sich ganz klar in der UN-Resolution 2249 wider, die sagt: Der IS ist zu bekämpfen. Die Staatengemeinschaft will ihn aus seinem Herrschaftsgebiet vertreiben. Auch, um ihm seine Rückzugsräume zu nehmen und zu verhindern, dass er aus seinen Gebieten in Syrien und im Irak heraus weltweit Terroranschläge orchestrieren kann. Das ist das militärische Ziel. Daneben muss von Anfang an ein Prozess der politischen Aussöhnung und des schnellen wirtschaftlichen Wiederaufbaus laufen.

Sie haben Anfang Dezember Klartext gesprochen und lassen nun prüfen, ob der Personalumfang der Bundeswehr vergrößert werden muss. Wann erwarten Sie da Ergebnisse? Welche Argumente haben Sie für den Koalitionspartner, der die Notwendigkeit dazu nicht sieht und lieber die Bundespolizei verstärken will?

Ich finde es ganz wichtig, dass wir nicht innere Sicherheit gegen äußere Sicherheit ausspielen, denn wir wissen, dass das ganz eng miteinander zusammenhängt. Das eine kann nicht zu Lasten des anderen ausgehöhlt oder aufgestockt werden. Dazu kommt eine zweite Komponente: Die Bundeswehr ist sehr stark gefordert bei dem Thema Fluchtursachenbekämpfung, von Afghanistan über Syrien, den Irak bis hin nach Mali. Daneben sind weitere Aufgaben da wie der Mittelmeereinsatz, die Flüchtlingshilfe oder unser herausgehobenes Engagement in der Nato.

Im Bereich Cyber und IT muss sich die Bundeswehr neu ausrichten. Und eine aufgabengerechte Personalausstattung orientiert sich zivil und militärisch nicht an bloßen Zahlen, sondern an den neuen Anforderungen. Wir werden jetzt in Ruhe analysieren, was das für die Dimensionierung der Personalkörper heißt. Erste Ergebnisse erwarte ich in den nächsten Monaten. Gut ist, dass die Leistungen der Bundeswehr im vergangenen Jahr wie kaum je zuvor ins Bewusstsein der Menschen gerückt sind. Wenn das Land viel von seiner Bundeswehr erwartet, dann müssen wir auch in sie investieren. Sonst ist sie im Notfall nicht in der Stärke oder Einsatzbereitschaft da, wie wir sie uns wünschen oder schlicht brauchen.

Welche Ziele haben Sie für die Verbesserung der materiellen Ausstattung der Bundeswehr angesichts der zunehmenden Belastungen?

Wir wollen eine bedarfsgerechte Ausstattung. Das bedeutet auch, dass wir über Jahre entstandene Material-Lücken wieder auffüllen müssen. Deswegen haben wir die Agenda Rüstung auf den Weg gebracht, die sowohl den Materialerhalt als auch den Zulauf modernisiert, beschleunigt und auch da die Probleme offen auf den Tisch legt. Das wichtigste ist aber natürlich, dass der finanzielle Rahmen stimmt, deshalb ist mein Ziel erstens, mindestens die Quote von 1,17 Prozent im Verhältnis zum BIP zu halten, was eine enorme Anstrengung ist bei einer starken deutschen Wirtschaft, und zweitens die Rüstungsinvestitionen auf 20 Prozent zu steigern. Da sind wir noch nicht, und das zeigt auch: Das ist kein Sprint, das ist ein Dauerlauf, den man mit ganz langem Atem antreten muss?...

Wie lange kann sich die Bundeswehr noch im Rahmen der Amtshilfe bei der Flüchtlingshilfe engagieren, ohne an die Grenze der Belastbarkeit zu stoßen oder andere Aufgaben schlicht nicht mehr wahrnehmen zu können?

In der akuten Krise war und ist mir wichtig, dass die Bundeswehr ihr Land nicht im Stich lässt. Und man muss sagen, die Soldatinnen und Soldaten – in der Spitze bis zu 9.000 am Tag – haben Großartiges geleistet. Die Dankbarkeit spürt man im gesamten Land. Jetzt, in der akuten Krise, verschaffen wir den Kommunen und Ländern Zeit, die Strukturen und die Personaldecke aufzubauen, die sie zur Bewältigung ihrer Aufgabe brauchen. Zurzeit füllen wir ihre Lücken. Aber aus einer Amtshilfe in akuter Not darf keine Regelaufgabe der Bundeswehr werden. Ich habe deshalb für mich die Linie gezogen, dass wir bis zum Sommer – wenn die Situation sich aufgrund der ergriffenen Maßnahmen verbessert hat – den Kommunen und Ländern durch unsere Amtshilfe ausreichend Raum verschaffen, um ohne Hektik nach und nach die Lücken aufzufüllen und eigene Strukturen aufzubauen. Dann ist die Bundeswehr ein Jahr in Amtshilfe tätig gewesen. Die Truppe ist schließlich auch in ihrem Kerngeschäft gefordert wie selten zuvor?...

 

"Wenn das Land viel von seiner Bundeswehr erwartet,
dann müssen wir auch in sie investieren."

URSULA VON DER LEYEN


Die Bundeswehr feierte 2015 ihren 60. Geburtstag, der DBwV ist in diesem Jahr dran. Die Kanzlerin hat sich in ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag im Dezember letzten Jahres mit Lob für die Bundeswehr nicht zurückgehalten. Haben Sie diesbezüglich einen Impuls gegeben?

Nein, Angela Merkel weiß wie ich sehr genau, was die Menschen der Bundeswehr, egal ob Soldat, ziviler Beschäftigter, Veteran und Reservist mit ihren Familien für unser Land leisten, im Einsatz ebenso wie zu Hause. Und auch ehrenamtlich sind diese Menschen in Deutschland sehr aktiv, sie bilden die Korsettstangen in vielen Vereinen und Verbänden. Das gilt ebenso für das außerdienstliche Engagement vieler Bundeswehrangehöriger in der Flüchtlingshilfe – darauf muss man stolz sein. Und der DBwV ist mit seinen rund 200.000 Mitgliedern das beste Beispiel für gelebtes Ehrenamt und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung auf vielen Ebenen. Daher freue ich mich auch auf die diesjährige Geburtstagsfeier des DBwV, denn der Verband bringt das Besondere einer Armee in der Demokratie tagtäglich zum Ausdruck.

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