Flüchtlinge, Nabelschau und mehr
„Flüchtlingskrise“ – die Dimensionen dieser Herausforderung haben endgültig alle Winkel unseres Landes erreicht. Politik und Medien sehen uns in einer der größten europäischen Krisen seit Ende des Zweiten Weltkriegs und sprechen von gewaltigen Aufgaben, die in den kommenden Jahren zu bewältigen sind. Und wie immer, wenn es richtig ernst wird: Die Bundeswehr muss als verfügbares, höchst leistungsfähiges und flexibles Instrument mit in die Bresche springen, um den völlig überforderten Bundesländern und dem Bund logistisch, organisatorisch und personell zur Seite zu stehen. Das ist für die Menschen der Bundeswehr selbstverständlich und Teil ihrer soldatischen Identität. Allerdings ist darauf zu achten, dass wichtige und einsatzrelevante Ausbildungsabschnitte nicht beeinträchtigt werden.
Politik und Gesellschaft müssen wieder einmal erkennen, dass die Bundeswehr nicht nur als sicherheitspolitisches Instrument, sondern auch als zentraler und belastbarer Träger nationaler Risikovorsorge und Krisenbewältigung auch künftig durchhaltefähig sein muss und eine entsprechende Ausstattung benötigt. Es ist erfreulich, dass der Bundeswehr bei der Ersten Lesung zum Haushaltsgesetz im Bundestag für das unkomplizierte Anpacken unter dem Stichwort „Helfende Hände“ wiederholt „von Herzen“ gedankt wurde.
Wer der Rede der Verteidigungsministerin bei der ersten Befassung des Bundestags mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 2016 am 9. September folgte, konnte Ursula von der Leyens ausdrückliches Ansinnen erkennen, auch in der zweiten Halbzeit der laufenden Legislaturperiode die Bundeswehr weiter nach vorne zu bringen. Mit einer „kritischen Nabelschau“ will sie überprüfen, ob die Bundeswehr „gut genug aufgestellt“ ist. Dabei zielt sie auf Nachsteuerung und Optimierung ab. So soll im Zuge einer Organisationsanalyse im Ministerium und im unmittelbar nachgeordneten Bereich eine auf den Punkt gebrachte Aufgabenkritik erfolgen, um insbesondere Prozesse, Strukturen sowie Personalzuordnung und -bedarf überprüfen zu können.
Der Personalkörper soll umfassend mit Blick auf seine Größe und seine Ausrichtung durchleuchtet werden – dies im Zusammenhang mit der in Entwicklung befindlichen Personalstrategie. Unmittelbar in Auftrag gegeben wurde beispielsweise bereits die Erarbeitung einer „FWD-Konzeption“ – das hatte unsere DBwV-Arbeitsgruppe „Junge Soldaten“ vorgeschlagen und gefordert.
Auch bei der „Rüstung“ scheint es stringent voranzugehen. Den Begriff der „Vollausstattung“ hat man hier übrigens durch die Formel einer „an den Aufgaben orientierten, struktur- und bedarfsgerechten Ausstattung“ ersetzt – was auch immer sich dahinter im Detail verbergen mag.
All das kostet Geld. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung sich auf die Verstetigung des Verteidigungshaushalts auf mindestens 1,17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verständigt hat. Und es ist richtig, dass die Ministerin mittelfristig einen 20-prozentigen Anteil des Einzelplans 14 für die materielle Modernisierung der Bundeswehr erreichen – und halten – will. Im Klartext heißt das: Der Verteidigungshaushalt soll bis 2021 auf mindestens 41 Milliarden Euro anwachsen, damit die materiell hohlen Strukturen geschlossen und die dringend notwendige weitere Modernisierung der Bundeswehr vorangetrieben werden kann. Ich bin erleichtert, dass Ursula von der Leyen viele Anregungen aus zahlreichen Gesprächen aufgenommen hat und die Pessimisten Lügen straft. Viele meinten nämlich, sie werde nach der Sommerpause in der zweiten Hälfte der Amtsperiode in den Status-Quo-Verwaltungsmodus übergehen.
Uns allen ist klar, dass die Schwierigkeit im Detail der Nachsteuerung liegt, die wir kritisch begleiten. Aber immer mehr zahlt es sich aus, offen und ehrlich miteinander zu reden, manchmal auch heftig zu streiten. Die Auseinandersetzung um die gemeinsame Sache wird es ganz sicher weiterhin geben, aber auch mit Blick darauf bleibe ich wie immer optimistisch.
Sicherheitspolitik ist der Rahmen für all das, worin sich die Bundeswehr und ihre Menschen bewegen. Derzeit steht eine der großen Aufgaben der Staatengemeinschaft im Blickpunkt: der Kampf gegen den IS. Ob und wie das internationale Engagement dieser Herausforderung gerecht wird, muss gerade mit Blick auf die Ursachen der uns unmittelbar betreffenden Flüchtlingsbewegungen mehr denn je mutig und klar unter die Lupe genommen werden.