Die Demokratie muss wehrhaft sein
Die Terrorangriffe in Paris und die unbeschreiblichen Attacken skrupelloser, religiös verblendeter Verbrecher auf die Menschlichkeit, nicht nur in unserer Nähe, verfehlen ihre Wirkung auf uns nicht. Die Menschen besinnen sich auf das, was unsere freiheitliche Gesellschaft inmitten ihrer Vielfältigkeit und Gegensätzlichkeit lebens- sowie liebenswert und deswegen friedlich macht: unsere Bürgerrechte und Grundfreiheiten, die in Deutschland im Grundgesetz verbrieft sind. Brutale Kräfte stellen im Namen des Islam diese nicht nur in Frage. Diejenigen, die sie mit Leben füllen, werden mit dem Tod bedroht oder gar getötet. Das beleidigt nach Auffassung so gut wie aller Muslime nicht nur den Propheten Mohammed und ihre Religion, sondern ist zeitgleich Verrat an den Werten des Islam selbst.
Im Fokus steht nach den Morden in der Redaktion des „Charlie Hebdo“ die Meinungs- und Pressefreiheit, die – wie es die Bundeskanzlerin in ihrer wichtigen Regierungserklärung Mitte Januar sehr deutlich gemacht hat – neben der Unantastbarkeit der Würde des Menschen in Artikel 1 des Grundgesetzes zu den „größten Schätzen“ unserer Gesellschaft gehört.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung berührt uns im BundeswehrVerband dreifach: Als Bürger genießen wir es und als Interessenvertreter brauchen wir es. Meinungsfreiheit ist nicht nur Eckpfeiler der Inneren Führung in der Bundeswehr, sondern auch, neben Artikel 9 des Grundgesetzes, der die Koalitionsfreiheit festschreibt, Existenzgrundlage einer Organisation wie dem Deutschen BundeswehrVerband als Interessenvertretung aller Menschen der Bundeswehr. Drittens haben wir Soldatinnen und Soldaten geschworen, „das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Damit gehören wir zu denjenigen, die ihr Leben zu geben bereit sind, um jeden gewalttätigen Angriff von außen auf diese Werte abzuwehren. Wir haben ein besonderes Verhältnis zu diesen Werten und auch aus diesem Grund ist die Verbundenheit mit den Polizisten, die ihr Leben verloren, als sie sich den Terroristen in Paris entgegenstellten, groß.
Nach der Betroffenheit kommt die Konsequenz. Wie verteidigen wir unsere Lebensweise? Wie schützen wir unsere Werte gegen Attacken von innen und außen? Der Begriff der Sicherheit lässt sich immer weniger in „innen“ und „außen“ unterteilen – nicht nur, weil unsere französischen Kameraden auf den Straßen Frankreichs patrouillieren. Mehr denn je ist vernetzt zu denken, zu planen und zu handeln, aus gutem Grund althergebrachte
Denkweisen und Strukturen in Frage zu stellen. Spannungsvoller als zuvor kommt das Dilemma zum Vorschein, mit der Herstellung von Sicherheit und dem Schutz von Werten und Grund rechten eben diese möglicherweise gleichzeitig zu gefährden. Der uns vertraute Begriff der „wehrhaften Demokratie“ kehrt mit einer neuen Färbung ins breitere öffentliche Bewusstsein zurück.
Es ist gut, dass in Deutschland der Prozess der Erstellung eines Weißbuches zur Sicherheitspolitik Deutschlands beginnen wird. In diesen müssen all diese Aspekte einfließen, wenn das Vorhaben ernst gemeint und erfolgreich sein soll. Dabei wird es uns – natürlich – auch und besonders um die Aufgaben und damit um Struktur und Ausstattung der Bundeswehr gehen. Aber diese können erst dann abgeleitet und nachhaltigen Bestand haben,
wenn wir uns alle im Klaren darüber sind, was wir wollen, wie wir das erreichen – und was uns das wert ist.
Im Kern geht es immer um den Schutz unserer Grundwerte und -freiheiten. Und dieser wird uns vermutlich zukünftig weit mehr kosten als bisher.
Mit kameradschaftlichen und kollegialen Grüßen
André Wüstner