Das Magazin "Die Bundeswehr" und der Vertrauenskredit des Ministers
Die erste Ausgabe der „Bundeswehr“, die Anfang Dezember 1956 als „Kind der Vernunftehe des DBwV und des Dortmunder Lensing-Verlags“ erschien, war keineswegs perfekt. So beschrieb es Arno Taulien, einer der Väter und über ein Vierteljahrhundert Chefredakteur.
Die Eile, mit der in weniger als einem halben Jahr die Zeitschrift mit einer Auflage von 75.000 Exemplaren nach den Worten ihres Chefredakteurs „ins Leben getreten“ wurde, erklärt sich nicht allein aus dem Informationsbedürfnis der zu dieser Zeit rund 5000 Verbandsmitglieder. Gerüchte hatten die Runde gemacht, das Bundesministerium für Verteidigung oder gar die Gewerkschaft ÖTV könnten dem Verband mit einem offiziellen Sprachrohr zuvorkommen, welches dann unter dem nicht geschützten Titel „Die Bundeswehr“ firmieren würde. Demgegenüber beanspruchte der DBwV „als erste und einzige berufsständische Organisation zur Interessenvertretung der deutschen Soldaten“ das „Erstgeburtsrecht“ für eine neue Soldatenzeitung.
Vom Coup des DBwV überrumpelt
In der Bonner Ermekeilkaserne war man von diesem Coup des jungen Verbandes überrumpelt. Dort ging man davon aus, dass eine Zeitschrift unter dem Titel „Die Bundeswehr“ mit den offiziellen Stellen des Bundesverteidigungsministeriums identifiziert wird. Es wurde ernsthaft erwogen, der Verbandszeitschrift diesen Titel nicht zu genehmigen. Dafür existierte jedoch keine rechtliche Handhabe. Franz Josef Strauß, seit Mitte Oktober 1956 Verteidigungsminister, konnte schließlich für ein Grußwort gewonnen werden.
Darin äußerte er sich zuversichtlich, dass die Zeitschrift beitragen werde, „den Soldaten als festes Glied in unsere demokratische Staatsordnung einzubauen“. Den Bundesvorsitzenden Molinari mahnte er mit unmissverständlichen Worten, dass seine Zustimmung ein „Vertrauenskredit“ sei, der in der Erwartung gewährt worden sei, „dass Inhalt, Niveau und Zusammensetzung dieses Organs dem entspricht, was wir im Inland und was wir auch im Ausland unter deutscher Bundeswehr verstehen“.
Bikinidame ruft Tugendwächter auf den Plan
Bereits im Mai 1957 kam es durch die Skandalisierung eines harmlosen „Spindbildes“ zu einer ersten Belastungsprobe. Die Abbildung einer mit einem Bikini bekleideten Dame im Campingambiente erregte die Gemüter konservativer Tugendwächter. Sie entfesselten eine Kampagne, in die sie sogar den Bundespräsidenten einschalteten. Auf eine an den Verteidigungsminister gerichtete Intervention des Aachener Generalvikars musste dessen Staatssekretär Rust klarstellen, dass die Zeitschrift von einer unabhängigen berufsständischen Organisation herausgegeben werde, auf die der Bundesminister für Verteidigung von Amts wegen keinerlei Einfluss besitze und aus diesem Grund keine Möglichkeit habe, „ex officio“ gegen den Verlag und die Redaktion vorzugehen.
Inhaltlicher Konfliktstoff ergab sich aus dem Selbstverständnis der ehrenamtlich arbeitenden Chefredakteure Karl-Erich Berg (Dezember 1956 bis März 1957) und Arno Taulien (April 1957 bis März 1982). Demnach sollte „Die Bundeswehr“ nicht lediglich der internen Kommunikation und Mitgliedergewinnung dienen, sondern die politischen Ziele und sozialen Forderungen des DBwV gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Ministerialbürokratie offensiv vertreten. Der Vorstoß, einen arbeitsfreien Samstag für die Soldaten einzuführen, sowie die Kritik an der geplanten Bevorzugung von Akademikern bei Beförderungen und an der Absicht, Beamten der Bundeswehr militärische Dienstgrade zuzuerkennen, wurden im Ministerium als Grenzüberschreitungen angesehen. Maßregelungen und sogar eine Strafversetzung des Chefredakteurs Arno Taulien „aufgrund höchster Weisung“ waren deutliche Signale. Dass Minister Strauß die Delegierten der 3. Hauptversammlung des DBwV im Juni 1959 nachdrücklich an die mit dem Namen des Verbandsorgans verbundene Verantwortung erinnerte, ließ sich als Warnung verstehen.
Schwerer Vorwurf
Schwerwiegend war der Vorwurf des „fahrlässigen Landesverrats“ durch einen im August 1962 im Verbandsorgan veröffentlichen Beitrag über die erste Raketenbasis der Bundeswehr, das Flugabwehr- und Raketen-Bataillon 21 in Opherdicke-Hengsen (Kreis Unna) und die dort stationierten Überschall-Flugabwehrraketen zur Bekämpfung hoch fliegender Ziele vom Typ „Nike Ajax“ und „Nike Hercules“. Der Text enthüllte kein Geheimnis. Arno Taulien berichtete, dass man im Verteidigungsministerium an den aktuellen Fotos Anstoß genommen hatte. Welche existenzbedrohenden Folgen eine solche Beschuldigung haben konnte, zeigte das Vorgehen gegen die „Spiegel“-Redaktion im Herbst desselben Jahres.
50 DM fürs Verbandswappen
Mit Umfragen und Wettbewerben band die Redaktion die Leser in die Gestaltung der Zeitschrift und die Ausrichtung der Verbandspolitik ein. 1957 gewann Stabsbootsmann Mommerts aus der Abteilung Marine des Verteidigungsministeriums den Wettbewerb für das Wappen des DBwV. Sein Urheberrecht war mit der Siegerprämie von 50 DM abgegolten. Die Redaktion rief zur Einsendung neuer Texte für Soldatenlieder auf, die den neuen Geist einer Armee in der Demokratie widerspiegelten. Ende der sechziger Jahre ergab eine Fragebogenaktion in den Truppenkameradschaften eine Bestätigung der inhaltlichen Gestaltung, die durch zielgruppenorientierte Rubriken, etwa für Wehrpflichtige und Pensionäre, an die sich verändernde Mitgliederstruktur des DBwV angepasst wurde. Die Zahl der Rückmeldungen war jedoch unter den Erwartungen geblieben. Ein Beitrag zur verbesserten Kommunikation mit den Mitgliedern und innerverbandlichen Demokratie leistete die Aufnahme von Leserbrief-Seiten seit der August-Ausgabe 1980. Wenige Monate später wurden sie zum Austragungsort einer Kontroverse um die Traditionspflege der Bundeswehr, die zugleich den Generationswechsel innerhalb des DBwV offenbarte. Ausgelöst wurde sie durch einen im Februar 1981 an prominenter Stelle veröffentlichten Nachruf auf den am 24. Dezember 1980 verstorbenen ehemaligen Großadmiral Karl Dönitz, den Hitler in seinem politischen Testament zum Reichspräsidenten ernannt hatte.
Soldaten war es durch Verteidigungsminister Hans Apel untersagt worden, in Uniform an der Beisetzung auf dem Waldfriedhof Aumühle teilzunehmen. In einem Brief an den Bundesvorsitzenden Heinz Volland hatte der Minister das Verbot begründet. Auch wenn er nicht verkenne, dass viele Menschen Karl Dönitz für die Rettung von Flüchtenden dankbar sind, verkörpere er zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft, die in der Konsequenz Flucht und Rettung Millionen Deutscher notwendig machte: „Soldatische Pflichterfüllung und militärische Tüchtigkeit sind nicht zu trennen von den politischen Zielen, denen sie dienen. … Ich konnte es nicht zulassen, dass unsere Bundeswehr wegen der Teilnahme einzelner Soldaten in Uniform an den Beisetzungsfeierlichkeiten weltweit Zweifeln an ihren festen demokratischen und republikanischen Bindungen ausgesetzt wird.“
Der von Arno Taulien verfasste, namentlich nicht gezeichnete Nachruf warf dem Minister vor, er habe mithilfe des Uniformverbots „die Staatsbürger in Uniform unsicher und unsichtbar gemacht, die dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen wollten. Vergangenheitsbewältigung per Uniformverbot soll anscheinend das Gegenstück zur Traditionspflege darstellen.“
Reinigender Proteststurm
Gegen eine solche „mit Polemik vermischte Huldigung“ protestierten unter anderem der Generalinspekteur, der Inspekteur der Marine und der Kommandeur des Zentrums Innere Führung. Zahlreiche Zuschriften aus Truppen- und Standortkameradschaften verdeutlichten, dass eine Mehrheit der DBwV-Mitglieder Inhalt und die Tonlage des Nachrufs ablehnte. Gerade jüngere Soldaten stimmten dem Uniformverbot zu. Es wurde gewarnt, den „Begriff des Ewig-Gestrigen“ mit dem der Traditionspflege zu verwechseln. Die Stellungnahme der berufsständischen Interessenvertretung gegen die eindeutige Befehlslage in einer „derart diffizilen, politisch beladenen Frage … schadet dem inneren Zusammenhalt unserer ohnehin heterogenen Soldatengemeinschaft“, brachte es ein Kapitän zur See auf den Punkt. Positiv gesehen hatte der „Sturm“, über den selbst die Londoner „Times“ berichtete, zugleich etwas Reinigendes. Er zwang zu einer Klärung des Umgangs mit Tradition und Geschichte innerhalb des DBwV, die im Verbandsorgan ausgetragen wurde. In dem Vierteljahrhundert, in dem Arno Taulien „Die Bundeswehr“ als Chefredakteur prägte, hat sich das Blatt immer wieder neu erfunden, an veränderte Lesegewohnheiten angepasst, „heiße Eisen“ angepackt und auf politische Entwicklungen reagiert. Den mit dem Namen bei seiner Gründung gewährten „Vertrauenskredit“ hat es eingelöst. Dass seine Beiträge im BMVg auch Widerspruch herausforderten, entspricht der Aufgabe des Verbandsorgans