Vom Dienstherrn allein gelassen
Er gehörte zu den ersten Bundeswehrsoldaten, die 1999 im Kosovo eingesetzt waren. Dort erlitt Stabsfeldwebel G. (Name ist der Redaktion bekannt) ein Einsatztrauma. Seine Wehrdienstbeschädigung aufgrund einer PTBS wurde erst im Jahr 2019 anerkannt. Auch wenn jeder Fall individuell und unterschiedlich ist, zeigt sein Beispiel doch sehr gut, wie beschwerlich der Weg für die Betroffenen sein kann, bis sie adäquate Unterstützung erhalten.
„Für mich sind Trigger gewesen, wenn ich zu Beerdigungen musste. Man kann sich nicht immer davor drücken. Vor diesem Loch zu stehen, war für mich die Hölle. Wer mich nicht kannte, dachte: Da steht ein deutscher Soldat, der steht wie eine Eiche.“ Stattdessen sei Stabsfeldwebel G. angesichts der Erinnerungen einfach nur versteinert gewesen und wollte da weg. „Ich kann dieses Gefühl gar nicht beschreiben. Man hat ja im Kosovo nicht nur Erwachsene aus dem Boden gezogen, sondern auch alte Menschen, Kinder, Frauen, Schwangere, da war alles drin. Und das lässt mich nicht los.“
Grauenvolle Bilder
Der Panzergrenadier tat ab Mai 1999 im Rahmen des KFOR-Einsatzes seinen Dienst im Kosovo. Fünf Monate lang wurde der damalige Oberfeldwebel als Führer ungebundene Gruppe immer da eingesetzt, wo Not am Mann war. Er formuliert es so: „Immer da, wo es heiß war, waren wir mittendrin statt nur dabei.“ Das war oft genug dort, wo proserbische Einwohner von Albanern drangsaliert wurden, wo ihre Häuser angezündet und die Familien aus dem Feuer geholt werden mussten, wo Heckenschützen unterwegs waren und UÇK-Kräfte entwaffnet werden sollten.
Besonders prägend waren für den damals 32-jährigen Familienvater aber die Exhumierungen: Er begleitete Mitarbeiter von BKA und Scotland Yard zu Aushebungen von Gräbern, um die Kriegsverbrechen zu dokumentieren. „Da kann dich keiner drauf vorbereiten. Vor allem der Geruch… Im Einsatz registriert man das nicht so, weil man da einfach funktioniert.“
In Deutschland habe es dann niemanden interessiert, ob ihm die Erlebnisse zu schaffen machten, und so war er nach der Rückkehr in seiner Situation ziemlich allein. „Man selbst merkt es nicht sofort, das ist ein schleichender Prozess. Ich bin nun auch noch Panzergrenadier, die haben ja sowieso ein Problem, mal zu sagen: Mir geht’s nicht so gut, ich brauche mal Hilfe. Einsatznachbetreuung im heutigen Sinne gab es damals noch nicht. Das soll nicht heißen, dass man sich um uns nicht gekümmert hat, aber das haben die Kameraden, der Spieß und der Chef gemacht. Da gab’s ‘ne Dose Bier im Kameradenkreis und auf die Frage: Alles klar? Die Antwort: Ja, geht.“
Zwei gescheiterte Ehen
Kurz nach dem Einsatz ging die erste Ehe kaputt. G. merkte, dass er verschlossener wurde und auch immer empfindlicher gegenüber Dingen, die ihm früher nichts ausgemacht hatten. „Allein bei Aldi in der Schlange zu stehen, war manchmal schon ein Problem. Wo ich aus heutiger Sicht unmöglich reagiert habe.“ Der Soldat schränkte sein Leben zusehends ein, bald konnte er keine Konzerte mehr besuchen, Menschenmassen waren ihm suspekt, er war leicht reizbar und irgendwann wurde ihm einfach alles zu viel. Dann scheiterte die zweite Ehe. „Im Dienst habe ich funktioniert, da gab es keine Probleme, aber das Privatleben ist mir aus den Händen geglitten. Als es anfing, dass meine Kinder mich nervten, wusste ich, dass ich etwas tun musste. Dass irgendwas nicht richtig war.“
Er meldete sich beim Truppenarzt und unterzog sich 2010 einer psychosomatischen Behandlung aufgrund des Verdachts auf Burnout und Depression. Der Psychologe machte aber auch einen PTBS-Schnelltest mit ihm, das Ergebnis ließ eine Posttraumatische Belastungsstörung vermuten. Das stand auch im Abschlussbericht, doch der Dienstherr ging diesem Verdacht nicht nach. G.: „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass irgendjemand von der Bundeswehr damals diesen Fall aufgenommen hätte und gesagt hätte: Moment mal, dem gehen wir nach, vielleicht liegt ja da eine PTBS vor. Da ist gar nichts passiert.“
Nach 19 Jahren die Diagnose
Erst als der Stabsfeldwebel 2018 in einem Seminar über Burnout saß, kam die Erkenntnis: Der eingeladene Psychologe berichtete dort von den ersten PTBS-Fällen, die nach dem Kosovo-Einsatz festgestellt worden waren bei Soldaten, die Zeugen von Exhumierungen und Massengrab-Aushebungen gewesen sind. „Da ist bei mir ein Schatten gefallen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das erzähle. Da war ich erstmal für fünf Minuten versteinert. Dann habe ich gesagt: Ich war einer dieser Soldaten, die ’99 am Massengrab standen. Mich hat keiner behandelt. Mich hat auch keiner dazu befragt.“ G. ging noch einmal zum Truppenarzt. Innerhalb einer Woche hatte er einen Termin zum Test im Zentrum für seelische Gesundheit in Hamburg. Die Diagnose war eindeutig: PTBS nach Einsatztrauma.
Diese Diagnose zu bekommen, ist für den Soldaten wie eine Befreiung gewesen: „Endlich wusste ich, was mit mir los war und warum ich in den letzten 19 Jahren so reagiert habe, warum so viel in meinem Leben schief gegangen ist.“ Beim anschließenden Termin beim Sozialdienst fiel er jedoch wieder vom Glauben ab. Statt wie erwartet darüber beraten zu werden, wie er in einigen Jahren nach Dienstzeitende abgesichert werde, wer ihn dann weiterbehandeln würde und ob er einen Bundesbehandlungsschein bekomme, wurde ihm nur eine Tabelle vorgelegt mit seinem möglichen Anspruch auf Grundrente.
Der Verwaltungsakt
Dann ging alles nach Düsseldorf, wo er zu einem „reinen Verwaltungsakt“ wurde, wie G. es nennt. Die Benennung von Zeugen, die seine Angaben bestätigen konnten, war kein Problem. Doch auf den Bescheid, dass ihm eine Einsatzbeschädigtenversorgung nach Soldatenversorgungsgesetz zusteht, musste er mehr als ein weiteres Jahr lang warten. Noch weniger kann nachvollziehen, wie sein Anspruch berechnet wurde.
Dass seine Wehrdienstbeschädigung immer wieder auf unter 30 Prozent gedrückt wurde, kann er sich nur so erklären, dass die Bundeswehr dafür nicht aufkommen wolle. G. zitiert aus dem Bescheid: „Grad der Schädigungsfolge unter 25 Prozent ab 1.6.2006 – ich weiß nicht, wie dieses Datum zustande kommt. 30 Prozent ab 1.12.2009 – da bin ich zum Truppenarzt gegangen. Ab 1.7.2011 wieder unter 25 Prozent – da muss ich also wieder gesund gewesen sein. Ab 19.3.2018 wieder 30 Prozent – da habe ich die Überprüfung angeregt, schließlich waren die Behandlungen zwischenzeitlich abgeschlossen.“
Der Verwaltungsakt ist für den Stabsfeldwebel damit aber noch längst nicht zu Ende. Wenn er im September 2024 pensioniert wird, muss er sich sofort um die Überführung seiner Ansprüche kümmern. Dazu sind ein Antrag auf Weitergewährung seiner steuerfreien Grundrente nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz und ein Antrag auf den Bundesbehandlungsschein zu stellen. Hält er die Frist nicht ein, erlöschen seine Ansprüche.
Zwar werde durch das neue Soldatenentschädigungsgesetz, das im Januar 2025 in Kraft tritt, das ganze Verfahren entbürokratisiert, nur falle er nicht unter dieses Gesetz. Es gilt nur für Neu-Fälle und nicht rückwirkend. „Das ist eine sechs mit Anlauf. Da wird man vom Dienstherrn sehr allein gelassen.“
Der an PTBS erkrankte G. relativiert im Gespräch immer wieder die Gräuel, die er damals im Kosovo erlebt und gesehen hat: „Das ist natürlich nicht vergleichbar mit einem Einsatz in Afghanistan, wo Kameraden fallen. Ich war nicht so traumatisiert, dass ich nicht mehr am Leben teilnehmen konnte.“ Bei vielen seien die Einsatzerfahrungen viel schlimmer. „Und wenn man dann wie eine Nummer behandelt wird und sich sogar selbst darum kümmern soll, dass zum Dienstzeitende die Überleitung der Ansprüche funktioniert und dass man nach seiner Dienstzeit weiter behandelt wird, da stimmt doch in der Verwaltung etwas nicht.“ Der Weg zur Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung sei schon beschwerlich genug, sagt G. Er könne aber verstehen, dass das notwendig sei. „Aber hinterher steht man wieder alleine da und muss sein Recht einfordern.“