Veteran Mike Schestak: „Den Rucksack Bundeswehr, den hab‘ ich immer mit dabei“
1997 entscheidet sich Mike Schestak als junger Mann für die Bundeswehr. Zweimal geht es für ihn in den Einsatz. 1998, da ist er noch Obergefreiter, meldet er sich für den Einsatz in Bosnien. Als Stabsgefreiter geht er 2000 noch mal sechs Monate in den Kosovo. 2005 scheidet er als Stabsunteroffizier aus der Bundeswehr aus. Zwischen damals und heute liegt fast ein ganzes, anderes Leben: Ehe, Tochter, Karriere. Und doch merkt der gebürtige Thüringer, dass die acht Jahre etwas mit ihm gemacht haben. Darüber zu sprechen, fällt ihm schwer.
Warum Bundeswehr und warum in den Einsatz?
Mike Schestak nennt sich selbst „ein typisches Wendekind“. Die Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung erlebt er als junger Mann auf der Suche nach einer Perspektive. Zwei Ausbildungen muss er abbrechen, weil seine Arbeitgeber Pleite gehen. Dann steht er 1997 in Erfurt beim Kreiswehrersatzamt. „Ich habe die Sicherheit erstmal gesucht“, gibt Mike zu. Er hatte Angst abzurutschen. Der Weg zur Bundeswehr sei damals der „leichteste“ gewesen. Erstmal Wehrdienst, erstmal schauen. In genau diese Zeit fällt auch das Oder-Hochwasser. Über 30 000 Soldaten kämpfen mit der Bevölkerung, mit Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und anderen Organisationen um jeden Meter Deich, räumen das Chaos auf. „Da habe ich gesehen, wie toll das ist, wenn man helfen kann, wenn man gebraucht wird. Und das Soldaten in der heutigen Zeit nicht nur für die Landesverteidigung da sind, sondern auch humanitär und im Inland Hilfe leisten können“, erinnert sich Schestak mit Stolz in der Stimme. Er verpflichtet sich für acht Jahre und kommt nach Wildflecken zur Nachschubtransportkompanie.
Mit 19 Jahren fliegt Mike das erste Mal in seinem Leben. Nicht in den Urlaub, sondern mit den Kameraden nach Bosnien-Herzegowina. Sie sind Teil der SFOR. Warum er sich so jung und so kurz nach seinem Eintritt in die Bundeswehr für den Einsatz meldet? „Das ist die Summe aus vielem: Die Kameradschaft, das Abenteuer. Man geht da nicht allein hin, man geht mit seinen Jungs.“ Ihm ist es wichtig zu betonen, dass sie alle gefragt wurden. Er erlebt ein multinationales Umfeld, besonders die Amerikaner mag er. „Man versteht sich, respektiert sich, tauscht Patches“, erinnert er sich. Dass die Amerikaner ihre Gewehre „ganz toll“ fanden, dass weiß er noch gut. „Wir waren glaube ich das erste Kontingent, dass das G36 hatte und das hatte vorher noch kein anderer Soldat gesehen.“ Aber die Soldaten bleiben unter sich, er hatte keinen Kontakt zur Bevölkerung sagt Schestak. Und er habe „nie an dem gezweifelt“ was er und die Kameraden „da unten tun.“ Es war klar, so lange er und „seine Jungs“ da unten sind, bleibt es auch ruhig.
Die Rückkehr
Und trotzdem ist er erleichtert, als er nach sechs Monaten wieder in der Heimat ist. Er erinnert sich an Freude, ein Gefühl von Durchatmen, „weil die Belastung von sechs Monaten wegfällt.“ Aus der Freude wird schnell ein Gefühl der Isolation. Er fällt in ein „Loch“, sagt Mike. Ohne Freundin, alleine lebend, hat er das Gefühl, dass er mit niemandem über seine Erfahrungen sprechen kann. Dabei kommt ihm sein Leben so „unreal“ vor. Er berichtet seiner Mutter, seinen Freunden davon, wie die Menschen „da unten“ leben, dass „vieles kaputt ist“, von der Armut und wie anders alles war, im Vergleich zu Deutschland. Aber die Menschen in seinem Umfeld verstehen einfach nicht. Schestak sagt das ohne Vorwurf, es ist einfach so. Ja, da sind die Kameraden, aber alles kann er denen nicht sagen. Warum, weiß er heute gar nicht mehr so genau. Ein bisschen habe es wohl auch damit zu tun, dass er damals in einer „Männerdomäne“ arbeitet. Aber so richtig kann er nicht erklären, warum er bis heute das Gefühlt hat, dass er die acht Jahre Bundeswehr wie einen „Rucksack“ mit sich herumschleppt, der aber zugeschnürt bleibt. Er weiß nur: Wenn er ihn aufmachen will, dann klappt das oft nicht so richtig. „Ich habe versucht mit jemandem darüber zu sprechen. Aber als ich gemerkt habe, derjenige versteht nicht, was ich mitbringe, habe ich es sein lassen“, sagt der Wahl-Hamburger.
Er lebt heute mit seiner Frau und seiner 9-jährigen Tochter in der Hansestadt. Die weiß, dass Papa mal bei der Bundeswehr war. Sie hat Fotoalben im Keller gefunden, sagt Mike lachend. Er wolle ihr aber erst erzählen, wie das war, wenn sie erwachsen ist. Auch wenn er neue Menschen kennen lernt, dann sagt er maximal, wo er im Einsatz war: In Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Aber das war’s. Vermeidungsverhalten nennt er das. Zugleich wünscht sich Schestak, „dass die Gesellschaft offener auf das Thema Bundeswehr zugeht. Schließlich kennen wir alle jemanden, über irgendjemanden, der bei der Bundeswehr ist. Wir müssen offener darüber reden, was mit Menschen passiert, die im Einsatz waren“, sagt er.
Bis Mike selbst offen ist, auch über seine Einsätze zu sprechen, seine Erlebnisse zu schildern, wird es wohl noch eine Weile dauern. In Nebensätzen finden sich möglicherweise Erklärungen für seine Einsilbigkeit. ER habe zwar „grenzwertige Situationen“ erlebt, aber bei anderen Kameraden seien es „traumatische Situationen“ gewesen. Möglicherweise habe das was mit „Angst und Scham“ zu tun, gibt er zu. Und trotzdem sagt der gebürtige Thüringer „Mir hat die Bundewehr unheimlich Spaß gemacht. Ich habe mich nicht umsonst für 8 Jahre verpflichtet.“ Vielleicht kann er mit seiner erwachsenen Tochter eines Tages über eben jene acht Jahre im Leben des Mike Schestak doch sprechen. Zu wünschen ist es beiden. Optimistisch stimmt eine Aussage von Mike: „Ich habe in den letzten Monaten mehr darüber gesprochen, als in den letzten 20 Jahren", sagt er im Gesichter des Lebens-Interview.