Vor dem Reichstag haben Einsatz-Veteranen Kampfstiefel abgestellt. Das Vergissmeinicht erinnert mit Name und Sterbedatum an diejenigen, die ihre Stiefel nie wieder anziehen werden, da sie im Einsatz gefallen sind. Foto: Bund Deutscher EinsatzVeteranen e.V.

19.10.2021
Franziska Kelch

Der Krieg, ich und die Anderen

In den letzten drei Jahrzehnten haben die Einsatzmandate aus dem Bundestag die Bundeswehr zur Armee im Einsatz geformt. Sie hat einen Typus Mensch geschaffen, mit dem die Bundeswehr selbst, aber vor allem die deutsche Zivilgesellschaft und auch Angehörige sich oft schwertun: Den Einsatz-Veteran und die Einsatz-Veteranin. Wie können Gesellschaft und Veteranen einander näherkommen?

„Wir sollten das Ende des Afghanistan Einsatzes zum Anlass nehmen diese Sprachlosigkeit zu überwinden. Wir müssen über Afghanistan sprechen,“ sagte jüngst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Abschlussappell für den Afghanistaneinsatz. Offen ließ er das wie. Wie kann eine Brücke zwischen den Kriegserlebnissen von Menschen in Uniform, dem zivilen Zuhause und einer breiten Öffentlichkeit gebaut werden? Wer Antworten sucht, kann sie finden, zum Beispiel in den sozialen Netzwerken. Hier äußern sich vermehrt auch Veteranen und Veteraninnen.

Und einige von ihnen schreiben: Tagebücher, Romane, Erinnerungen. Sie geben Auskunft darüber, wie ihre Einsatzrealität ausgesehen hat, häufig reflektieren sie auch das Davor und Danach. So auch der ehemalige Soldat Wolf Gregis, der in dieser Woche seinen Roman „Sandseele“ bei einer ersten Lesung vorstellt.

In einem ungewöhnlichen Projekt des Süddeutsche Zeitung Magazins, erschienen kurz vor Weihnachten 2009 digital und später als Buch, Feldpostbriefe von Soldaten in Afghanistan. Sie geben offen deren Alltagserfahrungen, Gewalterlebnisse, Ängste und Langeweile wieder. Die Briefeschreiber vom Hindukusch sind Mannschafter ebenso wie Offiziere.

Die Mehrheitsgesellschaft kann sich also damit auseinandersetzen, wie das ist: Im Einsatz sein. Was das mit einem macht: Krieg. Man muss nur wollen. Und man muss sich auf die Suche begeben, denn Einsatzerinnerungen und Kriegstagebücher sind keine Bestseller.

Ernst Jünger, Uwe Deißler oder Markus Götz?
Die Stahlgewitter, die Ernst Jünger aus seinen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg geschmiedet hat, waren das, was wir heute Beststeller nennen. Nun taugt Jünger aus verschiedenen Gründen nicht als Vorbild dafür, wie man heute die Erfahrungen von Soldaten und Soldatinnen im Einsatz und im Krieg mit einer Zivilgesellschaft, die Gewalt gemeinhin ablehnt und nicht ausübt oder erfährt, versöhnt. Er sei hier nur erwähnt, um zu verdeutlichen, wie unbekannt Soldaten und wie unbekannt der Krieg der Mehrheit der Deutschen geworden sind. Letzteres ist schön für diese Mehrheit. Für die Akzeptanz von Veteranen, für einen offenen Umgang mit an Körper oder Seele versehrten Soldaten und Soldatinnen ist das ein Problem.
Abhilfe schaffen können hier Aufzeichnungen von Veteranen. Sie können auch als Katalysator für Gespräche zwischen Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien und Freunden dienen. Das zeigen etwa die Rückmeldungen zu dem BuchRandnotizen - Hundert Mann und ein Befehl: Als Berufssoldat in Afghanistan, als Mensch in der Heimat - ein Tagebuch zweier Welten.

Der Autor, Uwe Deißler, Feldjäger, war ab 1997 immer wieder in Auslandseinsätzen. Seine Co-Autorin, Simone Uetz, trifft Deißler beim Spaziergang, man kommt ins Gespräch, beide sind Hundefreunde. Sie ist gerade in der Diplomphase ihres Grafik-Design-Studiums. Geißlers Feldtagebuch, Mails und Fotos aus den Einsätzen sowie Ausschnitte aus Medienberichten, verschmelzen zu ihrem Diplom-Projekt. Aus dem Projekt wird ein Buch.

Auch das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat mit der Kollaboration des Hauptfeldwebels Markus Götz, der als Gruppenführer in einer Kampfkompanie in Afghanistan war, mit dem Historiker Christian Hartmann, ein Einsatztagebuch veröffentlicht.

Götz hatte nach seinem ersten Einsatz 2008 festgestellt, dass er zwar Anekdoten bewahrt hatte, aber das Schlechte verblasst – oder verdrängt – war. Als es für ihn 2010 erneut nach Afghanistan ging, schrieb er an jedem Tag seiner vier Monate „Ereignisse  des  Tages, manchmal  auch  meine  Gefühle  und Gedanken“ auf. Eingebettet in Karten des Einsatzgebietes, Erläuterungen der militärischen Lagen und der politischen Hintergründe, können wir Anteil haben an Götz' Erfahrungen. Und noch eines bietet das Buch für alle, die Militär nicht kennen, aber besser verstehen wollen:

„Gravierender ist, dass der Autor den Slang seines Milieus, eben den der Bundeswehr, spricht – und auch schreibt. Dieser Slang ist geprägt von zahllosen Verkürzungen, Anspielungen, Fremdworten oder auch Sarkasmen." Um zu vermeiden, dass Leser und Leserinnen an diesem „Slang“ scheitern und stattdessen ein besseres Verständnis für die Mentalität und Lebenswelt von Soldaten erlangen, sind auch diese Feinheiten erläutert und kontextualisiert.


Die genannten Beispiele sind nur ein Ausschnitt aus einer Vielzahl an Literatur von und über Veteranen und deren Einsatzerlebnisse. Wenn Sie auf die Bilderstrecke klicken, erhalten Sie zusätzlich einige, ausgewählte Literaturhinweise.

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