Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Auslandseinsätze sind nicht mit normalen Dienstgängen zu vergleichen – diese Erkenntnis setzte sich in der Bundeswehr zum Teil erst mit Beginn des Afghanistan-Einsatzes durch. Die ersten größeren Unfälle und Anschläge am Hindukusch waren die Geburtsstunde der Einsatzversorgung.
Als im Dezember 2002 in Kabul eine Sikorsky CH-53 abstürzte und sieben Soldaten starben, war die Bundeswehr im Punkt Versorgung noch nicht in der sicherheitspolitischen Realität angekommen. Mit den zunehmenden Auslandseinsätzen waren die Gefahren zwar stetig angestiegen – doch das Versorgungsrecht der Soldaten, Beamten und Hinterbliebenen war noch in der Zeit stehengeblieben, in der es ausschließlich um Landes- und Bündnisverteidigung ging. Seiner besonderen Fürsorgepflicht konnte der Dienstherr so nicht annähernd gerecht werden. Der spektakuläre Hubschrauberabsturz – und in der Folge der terroristische Anschlag in Kabul im Juni 2003 – sorgten allerdings dafür, dass endlich ein Umdenken einsetzte und das Einsatzversorgungsgesetz auf den Weg gebracht wurde.
Treiber dabei war der DBwV, der schon seit den ersten Bundeswehr-Einsätzen in den 90er-Jahren für eine bessere Versorgung eingetreten war. Als einen der „größten verbandspolitischen Erfolge“ bezeichnete das Gesetz deswegen der damalige DBwV-Bundesvorsitzende, Oberst a.D. Bernhard Gertz. Die Neuregelungen führten zu deutlich besseren Versorgungsleistungen für Soldaten, Beamte und Angehörige des Öffentlichen Dienstes, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzt wurden. Auch wurde die einmalige Unfallentschädigung für Hinterbliebene deutlich angehoben. Das Gesetz trat zunächst rückwirkend ab Dezember 2002 in Kraft, später wurde der Stichtag für Leistungen der Einsatzversorgung – nach langem und engagiertem Einsatz des DBwV - einheitlich auf den 1. November 1991 vorverlegt. „Für Veteranen mit Einsatzerfahrung war das damals ein wichtiges und erfreuliches Signal“, erinnert sich der Stellvertreter des Bundesvorsitzenden, Oberstabsfeldwebel a.D. Jürgen Görlich. „Die bessere Versorgung war schließlich auch ein Ausdruck von Wertschätzung.“
Schon bei der Verabschiedung des Einsatzversorgungsgesetzes war klar, dass die Regelungen nur ein erster Baustein sein konnten. Ende Dezember 2007 trat dann das Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes in Kraft, das für Soldaten unter anderem einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung, Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung und eine Schutzzeit für die gesundheitliche Wiederherstellung schuf sowie die Möglichkeit einer Wiedereinstellung in dem Fall, in dem eine gesundheitliche Schädigung erst nach Dienstzeitende erkannt wird. Gerade für psychisch Einsatzgeschädigte bot das Gesetz damit erhebliche Verbesserungen. Denn einsatzbedingte psychische Gesundheitsstörungen zeigen sich häufig erst Jahre nach dem auslösenden Ereignis. Soldaten auf Zeit hatten damit nach Dienstzeitende die Möglichkeit, wieder zur Bundeswehr zurückzukehren, um zu genesen.
Das EinsatzWVG war ein entscheidender Schritt in der Entwicklung der Einsatzversorgung. Ob sich aber alle Regeln bewährt haben und ob es weitere Verbesserungsmöglichkeiten gibt, will das BMVg aktuell untersuchen. „Der DBwV leistet Rechtsberatung und Rechtsschutz für zahlreiche Einsatzversehrte und wir sind ständig mit betroffenen Veteranen im Gespräch“, sagt Görlich, „Wir kennen daher die Vorzüge und Schwächen des EinsatzWVG genau und werden uns aktiv in diesen Evaluierungsprozess einbringen.“
Auch kurz nach Inkrafttreten des EinsatzWVG war bereits klar, dass es insbesondere im Hinblick auf Soldaten auf Zeit weiterhin Lücken in der Versorgung gab. Das 2011 folgende Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz brachte erneut viele Verbesserungen auf den Weg. Versorgungsleistungen wurden nochmals erhöht, Hinterbliebene von Soldaten auf Zeit bessergestellt. Der Kreis derer, die Anspruch auf Weiterverwendung nach dem EinsatzWVG erhalten, wurde erweitert. Zudem wurde der Grundstein gelegt für die Einsatzunfall-Verordnung, die eine Beweislastumkehr bei psychisch einsatzbedingten Verwundungen regelt und 2012 in Kraft trat. Durch die EinsatzunfallVO ist für Soldaten der Nachweis des Zusammenhangs zwischen Einsatz und Gesundheitsschaden erleichtert.
Je länger Deutschland Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze schickte, umso klarer wurde, dass die Zahl der psychisch Erkrankten stetig anstieg. Mit den genannten Gesetzen schaffte die Bundeswehr die Grundlagen, um psychisch Einsatzgeschädigte auffangen und im besten Fall wieder in den Dienst zurückführen zu können. „Wichtige Aspekte blieben allerdings lange Zeit außen vor, etwa die Frage, wie Angehörige besser in die Therapien einbezogen werden können“, sagt Görlich. Schließlich seien die Auswirklungen von psychischen Erkrankungen auf das Sozial- und Familienleben regelmäßig gravierend. Auf dem Psychotraumakolloquium 2017 forderte der DBwV darum gemeinsam mit dem Wehrbeauftragten und dem Bundeswehrkrankenhaus öffentlichkeitswirksam die Einbeziehung von Angehörigen in die Therapie von Einsatzgeschädigten.
Das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz aus 2019 griff diese Forderung auf. Es bestimmt, dass die Kosten, die Bezugspersonen bei der Begleitung der Therapie von einsatzgeschädigten Soldaten entstehen, vom Dienstherrn getragen werden. Daneben wurde noch eine zweite wichtige Forderung des DBwV erfüllt: Die Einsatzversorgung gilt nun endlich auch für einsatzgleiche Verpflichtungen. Diesen Missionen liegt zwar kein Mandat des Deutschen Bundestags zugrunde, in mehrfacher Hinsicht sind sie allerdings mit mandatierten Auslandseinsätzen vergleichbar.
Für Angehörige bringt auch das neue Soldatenentschädigungsgesetz, das 2025 in Kraft tritt, spürbare Fortschritte. Wenn Bezugspersonen selbst psychische Probleme entwickeln, weil sie sich um einen psychisch Erkrankten kümmern, ist es nicht immer leicht, einen Anspruch auf Therapie gegenüber der eigenen Krankenkasse durchzusetzen. Die Bundeswehr gewährt Angehörigen in diesem Fall künftig einen eigenen Anspruch auf Therapie.
„Was vom Gesetzgeber in den vergangenen 20 Jahren in der Einsatzversorgung auf den Weg gebracht wurde, ist beachtlich“, bilanziert Görlich. „In der Umsetzung ruckelt es allerdings nach wie vor an zahlreichen Stellen.“
Im vergangenen Jahr hat sich der DBwV deshalb dazu entschlossen, das umfangreiche Forderungspapier „Mission Seele“ zu erstellen, welches der Bundesvorsitzende, Oberstleutnant André Wüstner, Ende September 2020 an den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses und an die Wehrbeauftragte überreichte. In dem Papier werden Defizite im Hinblick auf Versorgung von und Fürsorge für psychisch Einsatzgeschädigte benannt. Ein wichtiges Anliegen ist die bessere Wiedereingliederung von einsatzgeschädigten Soldaten. „Um diesen Veteranen die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern, muss aus Sicht des DBwV der gesamte öffentliche Dienst in die Pflicht genommen werden“, sagt Görlich. Der Weiterverwendungsanspruch, den Einsatzgeschädigte ggf. gegen die Bundeswehr haben, müsse deswegen auf den gesamten öffentlichen Dienst ausgeweitet werden. Der Gedanke dahinter ist klar: Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden vom Parlament getragen – und damit ist auch die Wiedereingliederung von einsatzgeschädigten Soldaten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.