Seine Partei, die gute alte Tante SPD, will in den Umfragen nicht über 20 Prozent kommen. Aber Olaf Scholz glaubt daran, dass das Rennen auf den letzten Metern entschieden wird. 41 Prozent der Deutschen halten ihn nach einer Umfrage für einen kompetenten Krisenmanager. Damit liegt er deutlich, Stand Ende Juli, vor seinen Konkurrenten Annalena Baerbock (Die Grünen) und Armin Laschet (CDU). Foto: Picture Alliance

Seine Partei, die gute alte Tante SPD, will in den Umfragen nicht über 20 Prozent kommen. Aber Olaf Scholz glaubt daran, dass das Rennen auf den letzten Metern entschieden wird. 41 Prozent der Deutschen halten ihn nach einer Umfrage für einen kompetenten Krisenmanager. Damit liegt er deutlich, Stand Ende Juli, vor seinen Konkurrenten Annalena Baerbock (Die Grünen) und Armin Laschet (CDU). Foto: Picture Alliance

08.08.2021
Von Frank Jungbluth

Olaf Scholz: „Landes- und Bündnisverteidigung bleibt die Kernaufgabe der Truppe”

Olaf Scholz tritt an der Spitze der Sozialdemokraten für die kommende Bundestagswahl an: Der amtierende Vizekanzler und Finanzminister war schon Arbeitsminister, SPD-Generalsekretär und Erster Bürgermeister in Hamburg. Jetzt strebt der 63-jährige Jurist ins Kanzleramt. Im Interview mit unserem Chefredakteur Frank Jungbluth verspricht er, der Bundeswehr wie bisher ein zuverlässiger Partner zu sein, sollte er tatsächlich der 9. Kanzler der Bundesrepublik werden. Am 26. September haben die Wähler die Stimme.

Die SPD ist traditionell mindestens seit dem Godesberger Programm und einigen Verteidigungsministern, die sie in ihrer Regierungszeit gestellt hat, auch nahe an der Seite der Bundeswehr: Bliebe das auch so, wenn Sie ein Bündnis beispielweise mit den Grünen oder auch den Linken eingehen würden? Die Linkspartei will die Bundeswehr ja bekanntlich abschaffen!

Olaf Scholz: Die Bundeswehr und das Konzept des Staatsbürgers in Uniform ist eng verbunden mit der Sozialdemokratie. Mit Helmut Schmidt, Georg Leber, Hans Apel, Rudolf Scharping und Peter Struck hat die SPD überaus erfolgreiche und beliebte Verteidigungsminister gestellt. In meiner Amtszeit als Bundesminister der Finanzen habe ich den Wehretat deutlich erhöht, um mit der Praxis Schluss zu machen, dass die Bundeswehr kaputtgespart wird. Klar ist: Die Welt wird unübersichtlicher, neue Machtkonstellationen entstehen. Die Europäische Union ist der Rahmen, in dem Deutschland seine Souveränität behaupten kann. Gleichzeitig gilt immer: Wir sind Teil der Nordatlantischen Allianz und leisten unseren Beitrag, darauf kann sich jeder und jede verlassen.

Wenn Sie Kanzler in einer rot-grün-roten Regierung würden, wäre für Sie klar, dass das Verteidigungsressort sicher von einem Politiker/einer Politikerin der SPD geleitet würde, oder könnten Sie sich einen Grünen oder Linken an der Spitze des BMVg vorstellen?

Es ist eine kluge Praxis, den Ausgang einer Wahl abzuwarten, bevor man Koalitionen bildet oder einzelne Ressorts verteilt. Klar muss sein: Die Soldatinnen und Soldaten müssen sich auch auf die nächste Bundesregierung verlassen können. Das wird ein Koalitionsvertrag, der unter meiner Führung zustande gekommen ist, unmissverständlich ausdrücken. Wichtig ist mir: Diese Bundestagswahl ist eine besondere: Erstmals seit 1949 tritt niemand an, der bereits Kanzler oder Kanzlerin ist. Und die politische Landschaft hat sich so verändert, dass keine Partei mehr damit rechnen kann, 40 Prozent oder mehr zu erhalten. Vieles spricht dafür, dass die nächste Regierung aus einem Dreier-Bündnis bestehen wird. Die Bürgerinnen und Bürger haben eine Wahl. Sie können entscheiden, wen sie an der Spitze der nächsten Regierung sehen wollen – und ich finde, die SPD hat dafür einen ganz überzeugenden Vorschlag.

Nach 20 Jahren im Kampf gegen den Terror und als Helfer beim Wiederaufbau ist die Bundeswehr mit dem Rest der Nato-Truppen am 30. Juni endgültig aus Afghanistan abgezogen: 35 Gefallene, insgesamt 59 Tote und 230 Verwundete sind zu beklagen, der Einsatz hat 13 Milliarden Euro gekostet. Wie erfolgreich waren diese zwei Jahrzehnte am Hindukusch dennoch? Oder war der Einsatz ein Fehler?

Der Afghanistan-Einsatz war sicherlich der schwierigste Einsatz der Bundeswehr – die Truppe hat dafür einen hohen Preis gezahlt. Doch der Einsatz war richtig. Ich erinnere noch einmal an die Lage seinerzeit nach den Anschlägen vom 11. September, die von Al- Qaida geplant und vorbereitet worden sind. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus war damals immens und Afghanistan mit den Taliban bot der islamistischen Terrorgruppe Al-Qaida den nötigen Rückzugsraum. Peter Struck hat gesagt: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Er hatte Recht damit. Afghanistan war ein Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus, unter anderem der Einsatz der Bundeswehr hat die Lage verändert. Ist der westlichen Gemeinschaft in Afghanistan alles gelungen? Ganz sicher nicht. Aber dafür trägt nicht die Bundeswehr Verantwortung.  

Beim Empfang der letzten Truppen des Bundeswehr-Kontingentes Ende Juni war kein Politiker vor Ort. War es im Nachhinein ein Fehler, dass kein Vertreter der Regierung oder des Bundestages Flagge gezeigt hat bei der Rückkehr nach Wunstorf?

Ja, das war ein Fehler – den wir korrigieren müssen. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Deshalb ist der Deutsche Bundestag der richtige Ort, um die Soldatinnen und Soldaten nach ihrer Rückkehr noch einmal ausdrücklich öffentlich mit einem Festakt zu würdigen.

Die Richtung, in die die Bundeswehr in Zukunft marschieren soll, ist noch nicht ganz klar: JSOTF Gazelle im Niger, EUTM MINUSMA in Mali – Jordanien, Irak, der Kosovo – 2500 Soldatinnen und Soldaten der Truppe sind heute in 17 Auslandseinsätzen. Bleibt die Bundeswehr auch Einsatzarmee oder konzentriert sie sich doch wieder klassisch auf die Fähigkeit der Landes- und Bündnisverteidigung oder beides?

Natürlich bleibt die Landes- und Bündnisverteidigung Kernaufgabe der Bundeswehr. Aber in Zeiten hybrider Bedrohungen oder international operierender terroristischer Gruppen werden unsere Sicherheitsinteressen eben auch im Cyberspace oder im Rahmen international mandatierter Einsätze wie im Sahel verteidigt. Die Bundeswehr muss so aufgestellt sein, organisatorisch wie finanziell, dass sie dieser Aufgabe gerecht werden kann. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Nato, aber insgesamt müssen wir die Verteidigungspolitik stärker europäisch ausrichten. Mittelfristig brauchen wir innerhalb der EU eine engere Zusammenarbeit und mehr Integration, eine Europäische Armee muss das Ziel sein. Ich weiß, dass wird noch einiger Zeit bedürfen und wichtige Fragen sind noch zu klären, etwa die Frage der Mandatierung. Da liegt viel Arbeit vor uns.

Stichwort Auslandseinsätze: Viele Experten mahnen, die Drohne „Heron TP”, die ab 2022 im Einsatz der Bundeswehr sein wird, dann auch zu bewaffnen. Das kann im Falle von Angriffen auf unsere Soldatinnen und Soldaten Leben retten. Sind Sie dafür oder dagegen? Ihre Partei will sich ja vor der Wahl nicht mehr festlegen.

Grundsätzlich sollte die Bundeswehr über modernste Technik verfügen, zu der Drohnen zweifellos gehören. Die Bewaffnung dieser unbemannten Flugzeuge ist gesellschaftlich hochumstritten. Die Bundeswehr braucht als Parlamentsarmee eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit, deshalb bin ich dafür, über den Einsatz bewaffneter Drohnen breit und gründlich zu diskutieren und die engen Regeln für den Einsatz solcher Waffen klar miteinander zu besprechen. Diese Debatte steht jetzt an. Dass der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten dabei nicht irgendein, sondern ein entscheidendes Kriterium ist, steht für mich außer Frage.
 
Nukleare Teilhabe: Können die Nato-Partner, vor allem die USA, sich auf uns verlassen? Die Luftwaffe braucht einen neuen Jet als „Tornado”-Nachfolger, um die Bomben aus Büchel im Notfall auch ins Ziel tragen zu können. Gibt es endlich Geld dafür?

Deutschland ist international ein verlässlicher Partner, das wissen unsere Freunde und Verbündeten. Die Entscheidung über die Nachfolge für die „Tornado”-Flugzeuge steht in der kommenden Legislaturperiode an.

Oft versprochen, immer wieder gebrochen: Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, das heißt der Verteidigungsausgaben am Gesamtetat, bleibt in weiter Ferne. Und dann die geplanten Einsparungen im Einzelplan 14 ab 2022. Wer eine einsatzbereite Bundeswehr will, muss das auch bezahlen. Kann die Truppe auch dabei auf den Bundeskanzler Olaf Scholz zählen?

Der Bundeskanzler Olaf Scholz hat als Bundesminister der Finanzen den Einzelplan 14 auf Rekordhöhe gebracht und mit der Sparpolitik des Vorgängers gebrochen. Insofern: Die Truppe kann auch weiter auf mich zählen.

Können sich die Soldaten der Parlamentsarmee Bundeswehr darauf verlassen, wieder mehr als Staatsbürger in Uniform gesehen zu werden? Und weniger als Hort Rechtsextremer, wenn es Vorgänge in die Richtung doch nur im Promillebereich gibt?

Na, das Thema Rechtsextremismus in der Truppe ist sehr ernst zu nehmen. Und ich bin dankbar, dass die Bundeswehr es inzwischen auch sehr ernst nimmt. Jeder Vorfall ist ein Vorfall zu viel – und es ist klar, dass in unserer Medienwelt solche Geschehnisse auch breit und kritisch aufgegriffen werden. Mir ist es aber wichtig, deutlich zu machen, dass die Bundeswehr eine starke Truppe ist, in der viele tolle Männer und Frauen ihren Dienst tun für unser Land, für unsere Sicherheit und für die Sicherheit vieler anderer Länder.
 
Sind sie regelmäßig im Gespräch mit Soldaten? Wenn ja, was hören Sie da?

Natürlich bin ich mit Soldatinnen und Soldaten im Gespräch, auch wenn das pandemie-bedingt natürlich deutlich weniger stattfindet, als es mir lieb wäre. In meiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs hatte ich mit der Führungsakademie und der Bundeswehruniversität noch viel mehr Kontakt. Ich höre eigentlich die gleichen Sorgen, die ich in Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern höre: die Frage, wie wir die Gesellschaft wieder enger zusammenführen können. Wie wir dem Klimawandel am besten begegnen. Wie eine gute Zukunft und ein friedliches Zusammenleben gelingen kann. Als Kanzlerkandidat werbe ich für mehr Respekt in der Gesellschaft, der sich in guter Bezahlung niederschlägt, aber auch und viel mehr in Anerkennung. Auch mehr Respekt für die Truppe. Und ich will die zweite industrielle Revolution kraftvoll anpacken: Unser Land steht vor einer riesigen Aufgabe. 250 Jahre lang basierte unser Wohlstand auf der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas. In nicht mal 25 Jahren wollen wir jetzt klimaneutral wirtschaften – und trotzdem Industrieland bleiben. Damit wir das hinkriegen, müssen wir in den nächsten ein, zwei Jahren alle nötigen Entscheidungen treffen, sonst geht das schief.

Sie haben nicht gedient. Würden Sie Bundeskanzler, wären Sie im Verteidigungsfall Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt in Deutschland. Wie war/ist Ihr Verhältnis zur Bundeswehr?

Sehr gut, eng und vertrauensvoll.

Vor wenigen Wochen haben Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn ein Eckpunktepapier zu einer weiteren Bundeswehrreform in naher Zukunft vorgestellt. Was halten Sie davon?

Worin ich die Herausforderungen für die Truppe in den nächsten Jahren sehe, habe ich bereits beschrieben. Sehen Sie es mir nach, wenn ich an dieser Stelle jetzt nicht in die Debatte über diese Eckpunkte einsteige. Vielleicht so viel: Ein solch wichtiges politisches Großprojekt muss gründlich diskutiert werden und lässt sich schlecht  in den letzten Monaten einer Legislaturperiode angehen, das sollte man wissen.

Sie sind bisher nicht als Außenpolitiker aufgefallen. Wie wichtig ist die Europäische Gemeinschaft für Sicherheit und Stabilität? Wie wichtig sind die USA?

Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen da widerspreche: Die internationale Abstimmung unter Finanzministern ist so eng wie in kaum einem anderen Fachministerkreis. Wir haben hier viel erreicht, wenn ich etwa auf das Thema der internationalen Unternehmensbesteuerung schaue oder den Wiederaufbau in Europa nach Corona. Das Konzept für den EU-Wiederaufbauplan konnte nur in enger Abstimmung mit europäischen Regierungen entwickelt werden. Der Wert der EU für unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und unseren Way of Life kann aus meiner Sicht gar nicht überschätzt werden. Mitte des Jahrhunderts werden wohl zehn Milliarden Menschen diesen Planeten bevölkern. Wir werden uns da nur Gehör verschaffen können, wenn wir als Europäer gemeinsam unsere Stimme erheben. Deshalb ist die weitere Integration der EU so wichtig. Die Vereinigten Staaten und das transatlantische Bündnis sind ein zentraler Pfeiler unserer Sicherheit – denn uns verbindet mit den USA mehr als mit anderen Machtzentren der Welt: Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte, unser Wirtschaftssystem. Deshalb bin ich froh über die Mühe, die sich der neue US-Präsident Joe Biden gibt, das transatlantische Bündnis zu stärken.

Fürchten Sie sich eher vor Russland oder vor China mit Blick auf die globalen Herausforderungen und möglichen Konflikte des 21. Jahrhunderts?

In solchen Kategorien denke ich nicht. In den internationalen Beziehungen gilt: Getanzt wird mit denen, die im Saal sind. Eine starke und souveräne Europäische Union und ein tragfähiges transatlantisches Bündnis sind gute Voraussetzungen dafür, künftige globale Herausforderungen gut zu meistern.

Ihr wichtigster außenpolitischer Partner sind und bleiben die USA, würden Sie Kanzler. Was halten Sie von Joe Biden und seinen ersten – inzwischen 200 Tagen – an der Spitze unseres wichtigsten Verbündeten? Sind Sie ihm begegnet? Welchen Eindruck macht er auf Sie?

Wie gesagt: Es ist eine großartige Nachricht für Europa, wie viel Mühe sich der neue US-Präsident macht, entstandenen Schaden an den transatlantischen Beziehungen zu reparieren und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Wir merken das auf allen Ebenen, auch in der Zusammenarbeit mit meiner US-Kollegin Janet Yellen. Joe Biden ist ein kluger, überaus erfahrener und abwägender Mann. Wir sollten alle froh sein, dass er die Wahlen gewonnen hat.

Der Deutsche BundeswehrVerband (DBwV) ist seit 65 Jahren mit heute 203.000 Mitgliedern Berufsverband und Spitzenorganisation der deutschen Soldaten und Zivilbeschäftigten. Wie wichtig ist Mitbestimmung, das Streiten für bessere soziale Rahmenbedingungen, auch in der Bundeswehr, für Sie? Wie bewerten Sie die Arbeit des DBwV seit seiner Gründung?

Als Sozialdemokrat bin ich ein Fan der Mitbestimmung und finde es großartig, dass es diese Errungenschaft auch bei der Truppe gibt. Die Bundeswehr wird dadurch besser. Mit dem DBwV-Vorsitzenden André Wüstner tausche ich mich regelmäßig aus und deshalb weiß ich auch, welche Themen die Männer und Frauen der Bundeswehr beschäftigen. Für die nächsten 65 Jahre wünsche ich dem Verband alles Gute.

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