Wie weiter in der Sahel-Zone?
Bamako/Gao. Die Ministerin reist in den Einsatz: Mit einem grauen Truppentransporter der Luftwaffe startete Annegret Kramp-Karrenbauer am Sonntag (6. Oktober) gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden Oberstleutnant André Wüstner und einer kleinen Parlamentariergruppe zu den deutschen Soldaten nach Niger und Mali. Ihr Ziel: Ein echtes, unverfälschtes Bild der Einsatzrealität zu erhalten, selbst sehen, was los ist, worum es geht.
Erste Station: der deutsche Luftstützpunkt in Niger. Neben Briefings und politischen Gesprächen stand hier der Austausch mit den Kameradinnen und Kameraden im Mittelpunkt. Hier spielt die innenpolitische Nabelschau vom Wochenende rund um die Frage, ob die Verteidigungsministerin auch „Kanzlerin kann“ keine Rolle – im Missionsgebiet geht es um die Entwicklung der Lage und die Wirksamkeit des internationalen Engagements.
Deutlich brisanter als in Niger stellt sich die Lage in Mali dar. Nicht von ungefähr gilt der Einsatz dort als die gegenwärtig gefährlichste Mission der Bundeswehr. Das Risiko von Terroranschlägen oder Entführungen ist enorm. Über all das informierte sich die Delegation um Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, und das kam national wie international gut an. Ein Offizier vor Ort sagte anerkennend: „Der Ministerin geht es hier offensichtlich nicht um Bilder und mediale Aufmerksamkeit, sondern um die Sache. Und das ist gut!“
Die politischen Ziele für die Region klingen erst einmal gut: Stärkung der Regierungsführung, Entwicklung der Landwirtschaft, Verbesserung der Wasserversorgung, beispielsweise. Zudem soll eine Bleibe- sowie Rückkehrperspektive für die jeweilige Bevölkerung geschaffen werden.
Schaut man genau hin, so stellt man fest, dass vor Ort eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure beinahe ebenso viele unterschiedliche Ziele verfolgt. Die Vereinten Nationen wollen beispielsweise mit der Mission MINUSMA den Friedensprozess in Mali begleiten und absichern. Die EU bildet im Rahmen der Mission EUTM die dortigen Streitkräfte aus, die französische Mission BARKHANE bekämpft in der westlichen Sahel-Zone den Terror. Die ohnehin weitgehend wirkungslose regionale Aktion „G5 Sahel“ ist hier noch gar nicht berücksichtigt.
Das Ergebnis ist ein Verlust an Effektivität, der seinesgleichen sucht. Oberstleutnant Wüstner schätzt ein: „Der aktuelle Ansatz sollte dringend überprüft werden. So ineffektiv wie jetzt sollte es nicht weitergehen.“ Natürlich sei das Engagement der Deutschen in Niger im Bereich der Ausbildungshilfe von Spezialkräften oder den logistischen Fähigkeiten bis zum strategischen Verwundetentransport hervorragend. Dennoch müsse das gesamte Engagement in der Region in ein ganzheitliches Konzept eingebunden sein, um Nachhaltigkeit zu erzeugen.
Der Blick auf die politische Situation insbesondere in Mali, den Flickenteppich an Ethnien und die kaum operationsfähigen UN-Truppen zeigt, wo die zentralen Herausforderungen liegen. Da ist zunächst die ressourcenschwache und überdehnte UN-Truppe. Dann die Kultur, die weitgehend frei von Verständnis für Staatlichkeit im europäischen Sinne ist. Und schließlich die organisierte Kriminalität und alles, was sich als „Terror“ bezeichnen lässt. Gerade Letzteres, in den Worten von Annegret Kramp-Karrenbauer das „Krebsgeschwür des Terrorismus“, bleibt die große Herausforderung in der Region, ein Problem, für das es auch nach Jahren internationalen Engagements noch keine Lösung gibt.
„Wenn sich die Sicherheitslage Jahr für Jahr verschlechtert, dann sollte doch der Letzte verstehen, dass die Art der Therapie für das besagte Krebsgeschwür dringend zu überprüfen ist. Und natürlich geht es auch darum, welchen Effekt man mit einer Mission tatsächlich erzielt, was wir Deutschen mit unseren Fähigkeiten wirklich erreichen. Ich habe da meine Zweifel“, sagte Oberstleutnant Wüstner. „Unsere Truppe leistet wie so oft Hervorragendes in der Region, ich denke beispielsweise an die bodengebundene Aufklärung, aber genauso wichtig wäre, dass man aus den Aufklärungsergebnissen Folgerungen zieht. Das sehe ich aufgrund der schwachen UN-Operationsführung von MINUSMA nur begrenzt bis gar nicht.“
Die Ausbildung der malischen Streitkräfte im Ausbildungscamp Koulikoro läuft zwar grundsätzlich gut, allerdings ist die Nachhaltigkeit schwer prüfbar. Zu wenig weiß man über Einheiten, die nach abgeschlossener Ausbildung, teilweise neu strukturiert, zum Einsatz kommen. Zumindest wurde bei den Gefechten und Anschlägen der vergangenen Monate deutlich, dass es die malischen Streitkräfte schwer haben gegen die asymmetrisch agierenden Terroristen. Ob der Kampf überhaupt auf diese Weise zu gewinnen ist, bleibt fraglich.
All das treibt nun die neue Verteidigungsministerin und die mitgereisten Bundestagsabgeordneten um. „Ein einfaches 'weiter so' darf es nicht geben. Spätestens, wenn der erste Kamerad fällt oder schwer verwundet wird, werden die Fragen nach dem Wofür und Wie in aller Tiefe aufgeworfen. Und da gäbe es aktuell keine guten Antworten“, warnte der Bundesvorsitzende. Dass die Verteidigungsministerin vor Ort in Vorträgen und Gesprächen mit diesen Fragen konfrontiert wurde, ist gut. Überhaupt ist gut, dass sie diese Einsätze nicht einfach weiter verwalten will - zumindest ist das der Eindruck der Truppe vor Ort.
In den nächsten Monaten wird sich herausstellen, ob es sich bei der aktuellen Reise lediglich um eine Bildungsreise handelt, vielleicht sogar mit Blick auf Kramp-Karrenbauers Ambitionen in Richtung Kanzleramt, oder ob die Reise tatsächlich eine Anpassung des deutschen Engagements in der Region zur Folge haben wird. Wie auch immer. Die entscheidende Frage muss die Regierung beantworten, international abstimmen und dem Parlament, der Gesellschaft sowie der Truppe erläutern: Wie soll es in der westlichen Sahel-Zone weitergehen? Das bis spätestens Ende Mai 2020, denn dann läuft das aktuelle Mandat aus.